"Das kann doch nicht sein, daß dieser Morholt in so einer
Wildnis lebt!"
Webolo schimpfte schon seit geraumer Zeit vor sich hin, während
er genervt nach Stechmücken klatschte und Gestrüpp und Äste
zur Seite schob, um sich einen Weg durch das Unterholz zu bahnen.
"Das glaube ich einfach nicht! Wieso wohnt der nicht in einem anständigen
Dorf? In einer Stadt? In einer schönen Villa? Einem Schloß?
Wieso müssen wir durch einen Urwald kriechen, um zu diesem Dingensda
zu gelangen?"
Die seltsame Gesellschaft kam nur im Schneckentempo voran, denn
der Wald, durch den sie marschierten, wurde dichter und dichter. Obwohl
es hellichter Tag war, herrschte hier nur dämmriges Zwielicht. Dunkelgrüner
Efeu und Schlingpflanzen überwucherten den Boden und ließen
sie stolpern, und die kreuz- und quer wachsenden Äste und Zweige verdeckten
die Sicht und hinderten sie an schnellem Vorwärtskommen.
Ein stiller Beobachter hätte sich wohl gehörig gewundert
über diese merkwürdige Karawane, die da durch den Wald stapfte.
Allen voran hüpfte ein immerzu vor sich hin schimpfendes Kerlchen
mit einem riesigen Sombrero, unter dem es fast völlig verschwand,
dahinter stakste ein weißbärtiger Ritter in einer völlig
verrosteten Rüstung, die bei jedem seiner Schritte quietschte und
knarrte. Neben sich führte er ein in die Jahre gekommenes Streitroß
am Zügel, das trotz des durchgebogenen Rückens und der ausgetreten
Hufe tänzelte wie ein Rennpferd kurz vor dem Start - begleitet von
Kommandos, die geradewegs aus dem Nichts zu kommen schienen.
"Heb die Hufe höher!" tönte die geheimnisvolle Stimme.
"Die Knie mehr beugen... nein, so wird das nichts! Es soll elegant aussehen
und graziös... nicht, als würdest du eine Grasfläche niedertrampeln!"
Ein resignierter Seufzer kam von oben aus dem grünen Blätterdach,
und die Angesprochene - Rosinante - schickte einen drohenden Blick in die
Höhe, wo über ihr das Kamel schwebte.
"Bist du sicher, daß du von Morholt ein Heilmittel gegen dieses
Schweben bekommen willst?" knurrte sie und blähte die Nüstern.
"Für
den Fall, daß du jemals wieder mit deinen Hufen den Erdboden berührst,
könnte es durchaus sein, daß du dir wünschst, du würdest
wieder da oben in der Luft herumfliegen und für niemanden erreichbar
sein!"
"Schon gut", schnappte Orhima beleidigt. "Ich wollte dir nur helfen.
Du hast mich schließlich gebeten, dir einen solchen Gang beizubringen!
Drache - ich hab Durst! Kannst du mich mal für einen Moment herunterlassen??"
Orhima ruckte an ihrem Ende des Seils, das um ihren Bauch geschlungen
war. Das andere Ende hatte sich Moordrache um eine Klaue gewickelt und
es sah aus, als würde ein überdimensionaler, haariger Luftballon
mit Höcker über ihm herumschweben.
Der Drache verdrehte die Augen gen Himmel, zog seufzend an dem Seil
und Orhima sank langsam zur Erde hernieder, während Ritter Canerio
einen Wasserschlauch von Rosinantes Sattel losband und dem Kamel hinhielt.
"Sei sparsam damit!" mahnte er mit gestrengem Blick. "Das ist unser
letztes Wasser. Wer weiß, wann wir wieder auf eine Quelle oder einen
Bach stoßen."
"Ist es denn noch weit?" nörgelte Webolo. „Ich kann nicht mehr
laufen! Mir tun die Füße weh, meine Arme und Beine sind völlig
zerkratzt... und erst diese blöden blutsaugenden Mücken! Warum
wohnt dieser Morholt mitten im Wald? Warum wohnt er nicht in einem schönen
Dorf? Warum müssen wir dorthin laufen? Warum müssen wir hier
durchs Unterholz walzen? Warum kann uns der Drache nicht fliegen..."
"Warum, warum, warum", blaffte Moordrache und warf dem Knappen einen
drohenden Seitenblick zu. "Halt endlich mal die Klappe, du Floh! Weil ich
nicht mitten im Wald landen und starten kann - geht das nicht in deinen
Schädel rein?"
Webolo machte erschrocken ein paar Schritte zurück, um einen
gewissen Sicherheitsabstand zwischen sich und den Drachen zu bringen. Er
traute ihm nicht und hatte schnell herausgefunden, daß der Drache
ziemlich aufbrausend sein konnte. Vor allem wenn er genau diesen Blick
aufsetzte und seine ansonsten ruhige Stimme zu einem dunklen Grollen wurde,
war es besser, sich nicht in seiner Reichweite aufzuhalten, wenn er nicht
Gefahr laufen wollte, einfach über den Haufen gepustet zu werden oder
unter einer der riesigen Klauen zu enden.
"Ich wollte ja nur wissen, wie weit es noch ist", piepste er und
zog es vor, schnell das Thema zu wechseln. "Wie ist er denn so, dieser
Morholt? Kennst du ihn?"
"Nein, nicht direkt", antwortete der Drache, während er langsam
das Seil aus seinen Klauen gleiten und das Kamel wieder in die Luft steigen
ließ. "Ich kenne ihn nicht persönlich. Aber er ist sehr berühmt
und seine magischen Tränke und Heilmittel sind weithin bekannt. Außerdem
soll er ein guter Erfinder sein, habe ich gehört."
"Und wohl auch ein Einsiedler", mischte sich Canerio in das Gespräch
ein. "Lebt er ganz allein im Wald?"
Der Drache nickte. "Ja, er lebt sehr zurückgezogen, soviel
ich weiß. Er hat nicht so gern Besuch in seiner Behausung - schließlich
braucht er Ruhe zum Arbeiten. Er ist ein mächtiger Alchemist, müßt
ihr wissen!"
"Aha", machte Webolo, der keine Ahnung hatte, was ein Alchemist war.
Als die Gruppe weiterzog, dachte er eingehend über die Worte des Drachen
nach und in seinem Geist formte sich langsam ein Bild von diesem Morholt.
Mächtiger Alchemist... magische Tränke... Webolo sah einen riesigen
Kerl mit schwarzen, zottigen Haaren und besticktem Zauberergewand vor sich,
der drohend irgendwelche düsteren Beschwörungsformeln murmelte
und in einem verwunschenen Turm wohnte.
Er war so in Gedanken versunken, daß er völlig erstaunt
war, als er wieder einen Wust von Zweigen und Blattwerk beiseite schob
und sich dahinter eine kleine, sonnenbeschienene Lichtung auftat.
"Ooohh...", staunte er und ließ vor Überraschung die
Äste los, die zurückschnellten und Moordrache, der direkt hinter
dem Knappen trottete, wie Peitschenhiebe auf die empfindlichen Nase trafen.
"Aua!"
Der Drache zog schon die schuppigen Augenbrauen zusammen und überlegte,
ob diesen Quälgeist von Knappen rösten sollte, doch Webolo hüpfte
bereits unbekümmert auf die Lichtung hinaus.
"He!" schrie der Ritter, der Webolo zwischen den Ästen und
aus seiner Sichtweite verschwinden sah, und versuchte sich am Moordrachen
vorbeizuzwängen. "Wo geht er hin?"
Seine Rüstung schrammte an der schuppigen Drachenflanke vorbei
und hinterließ eine rotbraune Rostspur.
"Laßt ihn nur", schmunzelte der Drache. "Mal sehen, was passiert."
"Mal sehen, was passiert?" rief Canerio. "Haltet ihn doch auf! Was
ist, wenn er sich verirrt?"
Er wollte eilig hinter seinem Knappen herquietschen, doch Moordraches
Klaue hinderte ihn daran.
"Der verirrt sich schon nicht."
"Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein?" knurrte der Ritter
ungehalten. "Ihr seid verrückt, ihn einfach gehen zu lassen! Laßt
mich endlich los!"
Der Drache grinste nur und dachte gar nicht daran, den Griff seiner
Klaue zu lockern
"Wartet einfach noch ein paar Minuten ..."
Mitten auf der Lichtung stand ein kleines Häuschen, eigentlich
eher eine Hütte. Morsche Holzbalken stützten ein verwittertes
Dach, die Tür hing reichlich schief in ihren Angeln, und das ganze
Häuschen sah so baufällig und windschief aus, daß Webolo
sich wunderte, wieso es nicht auf der Stelle einstürzte.
Hinter der Hütte konnte er einen staubigen Hof mit einem Ziehbrunnen
erkennen und einen kleinen Hühnerstall, vor dem zwei braungesprenkelte
Hennen nach Futter pickten. An einem niedrigen, halb eingestürzten
Zaun war eine Ziege angebunden.
Doch war weit und breit kein Mensch zu sehen.
Als Webolo sich voller Argwohn dem Häuschen näherte, suchten
die Hühner gackernd und flügelschlagend das Weite, doch ansonsten
blieb es still. Vorsichtig schlich er zur halb geöffneten Tür
und versuchte, in das Innere der Hütte zu spähen, doch er konnte
nichts erkennen. Auch die Fenster waren mit Holzläden verschlossen.
Hmmm. Er überlegte angestrengt. Irgend jemand mußte doch
hier wohnen ...
Mißtrauisch und zugleich neugierig umrundete er die Hütte,
bog um die Ecke - und prallte unvermittelt mit jemandem zusammen.
Webolo erschrak sich fast zu Tode und fing sogleich an zu kreischen,
wobei er fest die Augen zusammenkniff.
Das war bestimmt der Besitzer der Hütte, schoß es ihm
durch den Kopf. Sicher ein muskelbepackter, übelgelaunter Holzfäller,
nein, schlimmer noch, ein Troll ... ein Menschenfresser ... ein Dämon
... ein riesiges Ungeheuer ... es würde ihn bestimmt mit Haut und
Haaren verspeisen ...
Webolo erstarrte vor Angst zur Salzsäule und war nicht fähig,
sich zu rühren. Er wartete nur noch bibbernd darauf, daß sein
letztes Stündlein geschlagen hatte.
"Waaahhhhhhh ....."
"Du liebe Güte! Was ist mit Euch?" hörte er eine besorgte
Stimme sagen und er spürte, wie jemand ihn an den Schultern packte.
"Ist jemand hinter Euch her? Werdet Ihr verfolgt? Sagt schon... und hört
um Himmels willen mit diesem Gekreische auf!"
Die Stimme klang gar nicht wie die eines Dämons und eines Menschenfressers,
fand Webolo. Eigentlich klang sie sogar recht freundlich.
Er klappte den Mund zu und öffnete versuchsweise ein Auge.
Vor ihm stand ein alter Mann mit langem weißen Haar und weißem
Bart. Er war klein und schmächtig, ja beinahe mager und trug ein weites,
schlichtes Gewand aus grobem Stoff, das von einer ledernen Kordel zusammengehalten
wurde. Sein Gesicht war von unzähligen Runzeln und Falten durchzogen,
und er schien schon sehr alt zu sein.
Doch die klaren, braunen Augen, in die Webolo blickte, wirkten unglaublich
jung und in ihnen lag ein warmes Leuchten.
"Na, nun erzählt mal ... wer will Euch etwas tun?"
"Ich ... ähhh ... hmmm ...", stammelte Webolo völlig entgeistert
und starrte in diese braunen Augen, die ihn in ihren Bann zogen.
"Beruhigt Euch erst einmal", sagte der Alte freundlich, führte
den Knappen zur Vorderseite der Hütte und drückte ihn auf eine
Holzbank, die im Schatten eines Apfelbaums stand.
Er ließ sich neben Webolo auf der Bank nieder, zog eine kleine
Pfeife aus einer der unzähligen Falten seines Gewands und begann,
diese mit Tabak aus einem kleinen Beutel, der an seinem Gürtel hing,
zu stopfen. Als er sie angezündet und ein paar weiße Rauchkringel
in die Luft gepustet hatte, lehnte er sich gemütlich zurück und
sah Webolo aufmunternd an.
"Na, und nun erzählt mal."
© by Sylvia
Und als Webolo sich von seinem Schreck erholt hatte, erzählte
er - und wie! Er erzählte von ihrer Reise und einem verliebten Drachen,
von einem Dimensionstor und einem fliegendem Kamel, von schwarzen Möhren
und einem Schlammbad, und die Worte prasselten wie Hagelkörner auf
den Alten ein.
Dessen Augen wurden immer größer, während er der
verrückten Geschichte des Knappen lauschte, und immer wieder mußte
er ungläubig den Kopf schütteln.
"Und deswegen fliegt Orhima jetzt in der Luft herum", endete Webolo
atemlos. "Und wir müssen unbedingt zu diesem Alchi ... ähhh,
Almi ..."
"Alchemisten?" half ihm der Alte freundlich aus.
"Ähh, ja... zu diesem Alchemisten. Danke. Morholt heißt
er wohl."
Webolo seufzte.
"Wißt Ihr denn nicht, wie wir dort hinkommen könnten?
Der Drache behauptet zwar, es sei der richtige Weg, aber ich glaube, er
schwindelt. Er ist ein alter Angeber, müßt ihr wissen, und er
würde nie zugeben, daß er sich geirrt hat - aber in Wirklichkeit
haben wir uns wohl verlaufen... wir werden diesen Morholt wohl nie
finden."
Der Augen des Alten leuchteten warm, als er auf den vor sich hin
schniefenden Webolo blickte.
"Ihr irrt Euch", antwortete er lächelnd. "Ihr habt ihn schon
gefunden..."
Webolo verharrte für einen kurzen Moment und wurde seltsam still.
"Ihr seid Morholt?" fiepste er dann.
"Gewiß, der bin ich.... doch ihr braucht mich nicht zu fürchten."
Webolo seufzte erleichtert, doch ehe er erneut drauflos plappern
konnte, hörte man aus der Nähe ein vertrautes Quietschen und
Knarren.
"Meister, Meister... hier", rief er und sprang aufgeregt hoch.
"Was ist mit euch, Knappe? Ist Euch etwas zugestoßen?" Keuchend
und krakeelend eilte Ritter Canerio auf seinen Knappen zu.
"Wir haben uns schon Sorgen um Euch gemacht... es ist doch alles
in Ordnung? Und wer ist dieser Kauz dort?"
Webolo sprang empört auf. "Das ist kein Kauz, Meister... das
ist Morholt!"
Ritter Canerio stemmt die Fäuste in die Seiten und sah auf
den Alchimisten hinab. "So, ihr wollt Morholt sein?"
Aus ruhigen Augen und mit einem gelassenen Lächeln blickte
der Alchimist zurück.
"Ja, der bin ich. Nach den Erzählungen des Knappen seid ihr
wohl Ritter Canerio." Morholt stand auf und reichte Canerio die Hand,
die dieser zögerlich ergriff. "Man konnte ja nie wissen" überlegte
der Ritter, "schon so mancher gab sich als Ehrenmann aus und entpuppte
sich später als gemeiner Strauchdieb."
"Ah, da kommt ja auch der Rest Eurer kleinen Gruppe." Der Alchimist
schien sich über seinen "Besuch" richtig zu freuen. Seine Augen leuchteten
vergnügt und ein Strahlen machte sich in seinem Gesicht bemerkbar.
Webolo war regelrecht gefangen von diesem Anblick, soviel Wärme hatte
er nur sehr selten zu spüren bekommen. Wie ein unsichtbares Tuch umwickelte
sie und hüllte ihn ein.
"Moordrache... schön, Euch wiederzusehen. Wie ist es Euch so
ergangen?"
Der Drache warf einen bedeutungsvollen Blick auf seinen "Anhang"
und verdrehte leicht die Augen., doch Morholt lächelte nur verständnisvoll
und nachsichtig.
Rosinante stand wie erstarrt hinter Moordrache und wagte kaum Luft
zu holen. Verzweifelt versuchte sie, sich so klein wie möglich zu
machen um nicht aufzufallen, doch zu spät.
Webolo rannte um den Moordrachen herum, schnappte die Zügel
und zog und zerrte wie ein Wilder. "Nun komm schon, seit wann bist du denn
so schüchtern? Los, vorwärts, ich will dir doch den Alchimisten
zeigen, der ist nett, wirklich - ach, nun hab dich doch nich so, olle Mähre..."
Rosinante stemmte die Hufe in den Boden, schüttelte ihr Mähne
und versuchte Webolo die Zügel aus den Händen zu reißen.
© by Sylvia
"Na, was ist denn Knappe? Benötigt ihr etwas Hilfe?" Morholt
beobachtete interessiert, wie Webolo versuchte etwas hinter dem massigen
Körper des Drachen hervor zu ziehen und in seinen Augen lag ein leicht
amüsiertes Funkeln.
"Dummes Ding, willst du jetzt wohl aufhören mit diesem Theater?"
zischte Webolo Rosinante ins Ohr.
Dem Moordrachen wurde das Gezappel hinter seinem Rücken zu
dumm, mit einem kleinen Schritt, der bei seiner Größe schließlich
einiges an Entfernung bedeutete, trat er zur Seite und sah fragend
auf Rosinante hinab.
"Was soll denn das?" donnerte seine Stimme an ihre Ohren
Mit einem sichtlich blöden Grinsen schaute Rosinante unschuldig
zurück, dann zu Webolo und schließlich direkt zu Morholt.
"Ach.... das ist ja interessant..." Morholt lächelte freundlich
und ging mit langsamen Schritten auf Rosinante zu.
Hilfesuchend blickte diese zu Orhima hoch, doch auch das Kamel begriff
nicht sofort, wieso sich Rosinante plötzlich so merkwürdig verhielt.
"Wir kennen uns, nicht wahr?" Noch immer klang die Stimme des Alchemisten
ruhig und freundlich. Er stand jetzt genau vor Rosinante, abwartend die
Arme vor der Brust verschränkt.
Rosinante grinste, schluckte und scharrte verlegen mit den Hufen
im Boden.
"Woher kennt ihr euch denn?" Moordraches Neugier war sichtlich geweckt,
wusste er doch nur Bruchstücke über seine Begleiter und hätte
gern etwas mehr über sie erfahren
"Dieses Pferd, woher habt ihr es?" fragte Morholt zu Ritter Canerio
gewandt.
Ritter Canerio hob seine mageren Schultern. "Sie stand eines Tages
auf meinem Gut, direkt vor der Stalltür. Da sie nicht zu verscheuchen
war, dachte ich, sie zu behalten, wäre wohl der weiseste Entschluss.
Und seit dem ist sie bei uns."
Morholt lauschte aufmerksam Canerio’s Worten, ließ Rosinante
dabei aber nicht aus den Augen. Und schmunzelte. "Nun, ihr wisst also nichts
über ihre 'Vergangenheit', wenn man so sagen darf?"
"Vergangenheit? Nein, eigentlich nicht. Doch schweigt nicht länger
werter Morholt, erzählt uns was ihr wisst!" forderte Moordrache und
bei dem Anblick seines boshaften Lächelns begann es Rosinante ungemein
in den Hufen zu jucken, was sie mit gesteigertem Scharren versuchte wieder
auszugleichen.
"Nun Moordrache, wie ihr wisst , lebte ich einst in Chatolonien,
bevor ich mich in Euer Tal zurückzog. Damals zog eine wilde Bande
durchs Land, sie nannten sich die 'Plattladine', eine wilde rauhe Truppe,
die stets des Nachts unterwegs war und Hauswände mit ihren teilweise
sehr lustigen Parolen beschmierte." Er machte eine kleine Pause und stopfte
wieder etwas Tabak in seine Pfeife, die inzwischen erkaltet war. Als er
fortfuhr, nahm sein Gesicht einen beinahe verträumten Ausdruck an.
"Die Bürger dieses kleinen Ortes baten mich darum, etwas zu
tun. Der Bürgermeister war hilflos gegenüber dem Treiben dieser
Gesellen, doch man drängte auf eine Beseitigung des Übels. So
machte ich mich daran, ein Pulver zu entwickeln, das die Meute auf alle
Zeit vertreiben sollte."
Ritter Canerio klopfte dem Alchimisten ungeduldig auf seine Schulter.
"Weiter, erzählt ein wenig mehr.."
Plötzlich ertönte von oben eine traurig klingende, von
leisen Schluchzen unterbrochene Stimme.
"Ich möchte eure nette Unterhaltung ja ungern unterbrechen,
aber warum denkt hier denn niemand an mich? Ich bin doch auch noch da."
Fast synchron sah alles nach oben. "Oh du meine Güte, Orhima...
beinah hätten wir dich vergessen!" Webolo hielt sich beide Hände
an den Kopf, rupfte an seinem Sombrero und begann wieder aufgeregt hin
und her zu laufen.
"Och, Moordrache zieh sie doch wieder runter" Und nach einem kurzen
Zögern: "Bitte."
Es folgte ein kurzes Schnaufen , ein kurzer Ruck am Seil und schon
schwebte Orhima nur noch eine Handbreit über der Erdoberfläche.
Rosinante atmete erleichtert auf. Puuuh.... das war knapp. Unauffällig
warf sie Orhima einen dankbaren Blick zu.
"Ach, ist das schööööööön", seufzte
Orhima. Mit einem gekonnten Augenaufschlag sah sie Morholt an.
"Erhabener, Ihr könnt Euch nicht denken, wie froh ich bin,
dass ihr mir helfen wollt."
"Nun, meine Schöne... ich werde mein bestes tun, um Euch wieder
auf die Erde zurück zu holen."
Aus der Hütte des Alchimisten erklang auf einmal fröhliches
Lachen und Geplapper.
"Nanu", entfuhr es Webolo, "ich dachte ihr lebt hier alleine?"
Schuldbewusst zog Morholt ein wenig den Kopf ein und seine Wangen
färbten sich leicht rot.
"Ja, gewiss... alleine... ähm, nun - ab und zu erhalte ich
ein wenig Gesellschaft von zwei netten Freundinnen. Aber wirklich nur ab
und zu..."
"Freundinnen?" klang es im Chor.
Mit einem leisen Knarren öffnete sich die vorderste Tür
des Häuschens. Zuerst sah man nichts, doch dann wirbelte eine lange
Strähne silberfarbenen Haares durch die Luft. Gekicher ertönte
für einen kurzen Moment, verstummte aber sogleich wieder.
"Morholt, lieber lieber Morholt...." rief eine eindeutig weibliche
Stimme und Ritter Canerio zog erstaunt beide Augenbrauen in die Höhe.
"Donnerwetter, das hört sich aber sehr nett an....!" rutschte
es dem Moordrachen heraus .
Morholt seufzte tief. "Kommt raus, meine Lieben. Wir haben netten
Besuch... aber bitte, blamiert mich nicht wieder." Bei den letzten Worten
mischte sich ein heiteres Lachen in die Stimme des Alchimisten.
Als Morholt’s "Freundinnen" vor die Tür traten, war es Orhima,
die mit einem Wort ausdrückte woran eigentlich niemand beim Anblick
der beiden Schönen dachte.
"Hexen", flüsterte sie leise, "das sind ja Hexen...."
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