Trio Infernale von Sylvia und Cancelot
Die reale Drachental-Satire
Im Garten des Magiers

"Och, nööö ..." Der Moordrache stieß einen so abgrundtief genervten Seufzer aus, daß sich die Büsche und Hecken in seiner Nähe wie in einem Orkantief nach hinten bogen. "Ich hoffe doch, dieser Kerl da meint nicht uns damit, wenn er jemanden zu Hilfe ruft!"
Dieser Kerl - der arme, vom Anblick des Drachen fast zu Tode geängstigte Bote, verschluckte vor Schreck den Rest seines angefangenen Satzes und brachte nur noch ein Stammeln hervor.
"Wa ... wa ... was", stotterte er und vergaß auf der Stelle die Nachricht, die er zu überbringen hatte, "Mei ... Mei ... Meister Reigami, da sitzt ein sprechender Drache in Eurem Vorgarten!"
"Tatsächlich?" sagte Reigami beiläufig, als hätte er diese Tatsache eben erst bemerkt, und tätschelte liebevoll seinen wiedergewonnenen Zaubererhut, der ihm im Moment viel wichtiger war als jeder Drache. 
Aber auch die begehrlichen Blicke des Ritters klebten wie angeleimt an dem Hut, der ihn anzuziehen schien wie ein Magnet. So ein herrliches Spielzeug – was gäbe er darum ihn zu besitzen und seine Geheimnisse enträtseln zu können. Unauffällig rückte Canerio ein Stückchen näher an den Magier heran. Es mußte doch schließlich irgendwie möglich sein ...
"Ja ... ja seht doch!" rief der Bote, während ihm fast die Augen aus dem Kopf fielen, und deutete mit zitterndem Zeigefinger auf den geschuppten Koloss, der zwischen den Gemüsebeeten thronte und ihn von oben herab gelangweilt musterte.
So langsam wurde der Drache richtig sauer. Inzwischen hatte er es reichlich satt, ständig von allen so angestarrt zu werden und er wünschte sich nichts sehnlicher, als in seine gemütliche Höhle zurückkehren zu dürfen, wo ihn nicht fortwährend irgendwelche durchgedrehten Menschlinge mit aberwitzigem Tüdelkram belästigten, den sie Probleme nannten.
"Habt Ihr noch nie einen Drachen gesehen?" schnaubte er ärgerlich. "Als wenn das etwas Ungewöhnliches wäre! Was ist denn nun mit diesen Plattlawinen?"
"Plattladinen", korrigierte Reigami und lächelte seinen Hut an, von Canerio dabei dezent beschattet. 
Auch Webolo, der in einiger Entfernung die Goldmöhrenwurzpflänzchen aus den Beeten und vom Wegrand rupfte und eilig in seinen kleinen Rucksack stopfte, ließ ihn nicht aus den Augen, jedoch versuchte er, den größtmöglichen Abstand zwischen sich und diesen seltsamen Magier zu bringen, der ihm immer unheimlicher wurde und seiner Meinung nach nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Besser, man kam ihm nicht zu nahe, wenn man nicht in ein modriges Fass gesteckt werden oder mit Feuerbällen beschossen werden wollte.
"Sind das diese komischen Kerls, von denen Morholt erzählt hat?" piepste er deswegen vorsichtig und trat sicherheitshalber noch einen weiteren Schritt zurück.
Canerio wollte eben zu einer Erklärung ansetzen, doch Reigamis schneidende Stimme kam ihm zuvor: "Morholt?" Er hob überrascht eine Augenbraue. 
"Natürlich ... das hätte ich mir auch gleich denken können, daß dieser alte Giftmischer etwas damit zu tun hat." Ein fieses Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit und ließ es noch eine Spur gemeiner aussehen, soweit das überhaupt möglich war. "Morholt, soso ..."
"Könntet Ihr das nicht später ausdiskutieren?" kreischte der Bote. "Sie werden bald hier sein, die Plattladine ..."
"Halt die Klappe!" fuhr Reigami ihn an. "Ich muß nachdenken! Also Morholt hat Euch geschickt ..." 
Er verfiel in finsteres Brüten. "Wenn ich nur wüßte, was das für einen Grund hat - was will der Quacksalber mit meinem Goldmöhrenwurz ...?"
Offensichtlich kam er zu dem Schluß, daß es auf alle Fälle nichts Gutes sein konnte, was Morholt mit seinem kostbaren Kraut vorhatte – und so warf er schiefe Blicke zu Webolo, der sich, wieder arglos und ungeniert vor sich hin summend, im Garten und an den Beeten zu schaffen machte.
"Faß das bloß nicht an!" zischte Reigami. "Finger weg!"
Der Knappe aber war so vertieft in seine Arbeit, daß er sich in keinster Weise von der Stimme des Magiers angesprochen fühlte. Als er auf den Befehl nicht reagierte, tippte Reigami kurzerhand mit dem Zeigefinger an seinen Hut und schoß einen blauen Feuerball – stark gedrosselte Ausführung natürlich - in seine Richtung. Canerio sah fasziniert diesem Spektakel zu und für ihn stand just in diesem Augenblick eindeutig fest: den Hut mußte er haben, koste es, was es wolle!
Blauglühende Kugeln zischten funkensprühend eine Handbreit neben Webolo in den Boden und fetzten große Brocken Erde aus dem Beet, so daß er sich vor lauter Schreck auf den Hosenboden setzte. Der Rucksack flog in hohem Bogen davon und verstreute das Goldmöhrenkraut in der Gegend.
"Hey, was soll denn das?" Ein verständnisloser Blick traf den Magier. "Ihr habt doch erlaubt, daß ..."
"Ich hab gesagt, du sollst das nicht anfassen!"
"Ja, ja", murmelte Webolo beleidigt, "wißt Ihr vielleicht endlich mal, was Ihr wollt?"
Als er keine Anstalten machte, das bereits ausgerupfte Kraut wieder zurückzulegen, hob Reigami abermals den Zeigefinger drohend in Richtung Hutkrempe.
"Steh auf – oder muß ich dir erst Beine machen, du Würmchen?"
Doch dazu kam er nicht, denn plötzlich wurde ihm von hinten der Hut vom Kopf gerissen.
Er wirbelte herum und sah sich einem triumphierend grinsenden, helmumrahmten Gesicht gegenüber.
"Was fällt Euch ein...!"
Canerio kicherte und quietschte eilig von dannen, bevor die nach vorne schießende Hand des Magiers den Hut greifen konnte.
"Gebt ihn wieder her - aber sooofort!"
Sein Hut - sein kostbarer, unbezahlbarer Hut! Reigami setzte dem Ritter nach, der quer durch den Garten stakelte, rannte dabei fast den Boten über den Haufen und versuchte Canerio irgendwo an seiner Rüstung zu packen. Doch der Ritter schlug Haken wie ein Feldhase, was ihm bei seinem hohen Alter wohl niemand mehr so recht zugetraut hatte – sogar Webolo starrte mit offenem Mund seinem Meister hinterher.
Reigami schaffte es nicht, seinen Hut zu erwischen - geschweige denn den Ritter, der jedesmal, wenn er nach ihm fassen wollte einen weiteren Haken schlug und geschickt auswich, und so warf er sich schließlich völlig entnervt und am Rande der Verzweiflung mit einem gewagten Hechtsprung nach vorne und umklammerte die eisenummantelten Beine des Ritters. Canerio, plötzlich des Bodens unter seinen Füßen beraubt, schlug der Länge nach scheppernd in den Dreck. Den Hut jedoch schleuderte er noch geistesgegenwärtig von sich in Richtung des Boten, der dumm in der Gegend herumstand und sich von Reigamis Rempler erholte.
"Fangt Ihn auf!" schrie er. "Fangt Ihn - um Himmels willen!"
Verwirrt sah der Bote auf und einen schwarzen, spitzen Hut wie ein Geschoss auf sich zurasen - und trat einen Schritt beiseite. 
Und ein staubbedeckter Ritter und ein völlig entsetzter Magier, die nebeneinander in einem Gemüsebeet lagen, mußten zusehen, wie der Hut ins Trudeln geriet und mit der verbogenen Spitze voran in den steinernen Brunnen sauste.
Der Bote guckte ihm mit dümmlichen Gesichtsausdruck in die schwarze Tiefe hinterher.
Anschließend zog er es vor, sich unauffällig zu verkrümeln.
"Mein Hut, mein schöner Hut ..."
Verzweifelt schlug der Magier mit seinen geballten Fäusten auf die Erde, dann hielt er plötzlich inne und sein Blick fiel auf den Ritter, der völlig unbeteiligt neben ihm lag und so tat, als würden die Tomatenpflänzchen in dem Beet gerade seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchen.
"Ihr! Ihr blöder Ritter, Ihr ... nur Ihr seid Schuld daran! Jetzt ist er für immer verloren und ich bin meiner magischen Kräfte beraubt!"
Rasend vor Wut drosch er nun auf den Ritter ein und bearbeitete mit den Fäusten zornig den ohnehin schon verbeulten Helm.
"Aufhören ... bitte!" Canerio fühlte sich wie in der Mitte eines riesigen Glockenturms, in dem gerade ein ausgiebiges Mittagsläuten stattfand, so dröhnten die Schläge auf den Helm in seinen Ohren. "Aufhören, sag ich! Aufhören!"
Moordrache schaute dem Treiben eine Weile amüsiert zu, dann hatte er doch Erbarmen mit dem armen Rittersmann und wandte seine altbewährte Methode an, erhitzte Gemüter zu beruhigen: er packte den durchgedrehten und völlig in Rage geratenen Magier mit spitzen Krallen an der Kutte, lüpfte ihn ein wenig vom Boden hoch und ließ ihn dort so lange baumeln und um sich schlagen, bis ihm die Puste ausging.

Moordrache und seine altbewährte Methode...
© by Sylvia

"Oh, ich danke Euch!" seufzte Canerio und nahm erleichtert den vibrierenden Helm ab.
"Meister!" Endlich kam auch Webolo angerannt und ließ sich neben seinem Herrn auf die Knie fallen. "Habt Ihr Euch etwas getan?"
"Nein, nein, schon gut", lächelte der Ritter. "Habt Ihr genügend von dem Kraut gesammelt, Knappe? Wir sollten von hier verschwinden."
Webolo machte ein schuldbewußtes Gesicht.
"Nein, der Rucksack ist umgefallen", murmelte er betreten. "Aber ich konnte nichts dafür - das war dieser Irre mit seinen blauen Feuerkugeln! Ich werde es schnell wieder einsammeln, macht Euch nur keine Sorgen."
Hastig stand er auf. "Dauert nicht lange!"
Die Gelegenheit, von diesem unheimlichen Ort endlich verschwinden zu können, wollte er natürlich nicht ungenutzt verstreichen lassen, und so eilte er sich, wieder zu den Beeten mit dem Goldmöhrenwurz zu kommen und hopste pfeifend von dannen.
Moordrache grinste ihm hinterher. Doch dann fiel sein Blick zufällig auf das Faß, in das Reigami den Knappen gestopft hatte und das noch immer achtlos zwischen den Beetreihen lag.
Das Fass begann langsam zu rollen.
Diese Tatsache an sich wäre ja noch nichts Ungewöhnliches gewesen - der Moordrache hatte durchaus schon rollende Fässer gesehen. Aber das Fass bewegte sich von allein, und zwar so, als wüßte es, wohin es rollen wollte - und es kullerte zielstrebig hinter Webolo her. 
Der Knappe blieb stehen, um seinen Rucksack aufzuheben - und auch das Fass verharrte bewegungslos. Während er sich bückte, fing er den irritierten Blick des Drachen auf.
"Was ist? Was guckst du so komisch?"
"Nur so."
Moordrache blinzelte und starrte auf das Fass. Nichts rührte sich.
"Nur so, nur so ..." echote Webolo und hopste einige Schritte weiter. Das Fass rollte anhänglich hinterher.
Blieb Webolo stehen, lag auch das Fass still - ging er weiter, rollte auch das Fass mit.
Der Drache ließ vor Staunen über diese Entdeckung den baumelnden Reigami fallen, der daraufhin mit lautem Wehgeschrei in einer Dornenhecke verschwand.
"Du guckst ja schon wieder so - was ist denn?"
"Ööhm, frag nicht mich - frag deine Verehrerin ..."
Moordrache war sich seiner Sache immer noch nicht ganz sicher - vielleicht hatte er ja Halluzinationen oder wie das bei den Menschen hieß...
"Meine was?" Webolo schaute sich verwirrt um, dann schenkte er dem Drachen einen sehr zweifelnden Blick, was dessen Geisteszustand betraf.
"Nichts, nichts - nur Spaß", antwortete der unschuldig und deutete mit der Klaue nach hinten in den Garten, während sich Reigami unterdessen zerkratzt und fluchend wieder aus der Hecke herausarbeitete. "Dort - dort liegt auch noch etwas von dem Kraut. Dort hinten, siehst du’s nicht?"
Webolos Blick folgte der ausgestreckten Drachenklaue.
"Klar seh‘ ich das - ich bin ja schließlich nicht blind!"
Er hüpfte in die angegebene Richtung und sammelte die Pflänzchen ein, während das Fass fröhlich hinter ihm herrollte. Moordrache konnte nur noch völlig perplex den Kopf schütteln.
"Da drüben ist auch noch was!"
Webolo wechselte die Richtung und lief die Beete entlang, während das Fass ihm eifrig folgte.
Doch plötzlich schien ihm etwas einzufallen - seinen Rucksack hatte er liegen lassen! Mit einem Mal rammte er die Hacken in die Erde, vollführte eine Kehrtwendung - und prallte heftig mit dem Fass zusammen, das ihm auf dem Fuße gefolgt war.
"Oh, Verzeihung!"
"Ja, schon gut", winkte Webolo ab. "Ist ja nichts passiert."
Dann legte sich seine Stirn in Falten und er sah sich argwöhnisch um.
"Wer hat hier gerade mit mir gesprochen?"
"Ich ..."
Der Knappe konnte weit und breit niemanden sehen. In einiger Entfernung hockte der Moordrache auf seinen Hinterklauen und starrte zu ihm herüber, während er Reigami daran hinderte, aus der Hecke zu klettern. Und ein Stückchen weiter rappelte sich gerade sein werter Herr und Meister aus dem Tomatenbeet auf und entfernte rötlichen Matsch von seiner Rüstung. Ansonsten konnte er niemanden entdecken.
"Wer ... ist ... ich??"
"Na, ich!"
Die Stimme war eindeutig weiblich - klar und hell und zu einem leisen Flüstern gesenkt. Sie mußte direkt vor ihm sein, aber da war niemand, nur dieses merkwürdige Fass ...
Webolos Blick senkte sich langsam nach unten auf diese hölzerne Tonne und er betrachtete sie grübelnd. Wo kam die denn überhaupt so plötzlich her? Er war sich ganz sicher, daß sie vorhin noch dort drüben an der Gartenmauer gelegen hatte.
"Na endlich hast du mich entdeckt", sagte das Fass erleichtert. "Ja, genau, ich bin’s - ich bin hier."
"Hä?" machte er verwirrt.
Das Fass lächelte.
Webolo sah weg und dann wieder hin, aber es gab keinen Zweifel. Er hätte nicht sagen können, wie das geschah oder wodurch sich das äußerte, denn das Fass hatte ja kein Gesicht, aber er hätte darauf schwören können, daß es ihn anlächelte.
"Ähhh ... hmmm, du bist ein Fass!" stellte er verzweifelt fest.
"Naja", antwortete das Fass, "irgendwie schon - aber auch wieder nicht."
Der Knappe sandte dem Moordrachen einen flehenden, hilfesuchenden Blick.
"Was ist los?" brüllte der Drache zu ihm hinüber.
"Ähhm, dieses Fass hat mich gerade angesprochen ..."
"Was hat es denn gesagt?" wollte der Moordrache interessiert wissen.
"Was es gesagt hat???" Webolo kratzte sich am Kopf. "Hmm, weiß nicht genau ..."
Er wandte sich wieder der sprechenden Tonne zu: "Könntest du das bitte noch mal wiederholen?"
"Aber selbstverständlich", entgegnete das Fass freundlich. "Ich sagte, daß ich eigentlich gar kein Fass bin."
"Es behauptet, es wäre gar kein Fass!" schrie Webolo zum Drachen hinüber, woraufhin sich nun dieser ratlos am Kopf kratzte.
"Ich glaube, es lügt", stellte der Drache dann fest. "Es ist ein Fass! Vielleicht leidet es nur an Persönlichkeitsspaltung."
"Was geht denn hier vor?" Ritter Canerio war inzwischen, immer noch heftig an seiner Rüstung herumpolierend, herangekommen.
"Nun - was ist los, Knappe?"
"Dieses Fass spricht dauernd mit mir - dabei behauptet es steif und fest, es sei gar keines!"
Besorgt musterte Canerio seinen ziemlich verstört aussehenden Knappen und legte ihm die Hand auf die Stirn, als wolle er seine Temperatur fühlen. "Ihr scheint mir ein wenig verwirrt, Knappe", meinte er dann. "Das ist natürlich Unsinn, was Ihr redet, denn ich habe noch niemals von sprechenden Fässern gehört!"
"Ich hab ja gesagt, daß ich gar kein richtiges Fass bin", mischte sich das Fass ein und strahlte den Ritter an. "Reigami hat mich verzaubert – und solange er die Kräfte seines Zaubererhutes besaß, mußte ich ihm zu Willen sein und seine Befehle ausführen."
Das Fass neigte sich ein wenig in die Richtung des Magiers, der noch immer mit der Dornenhecke kämpfte.
"Aber den Hut hat er ja nun inzwischen nicht mehr ... hehehe ..."
Drache, Ritter und Knappe starrten fassunglos auf das braune Holzfass, das in diesem Augenblick aussah, als würde es sich vor Zorn aufplustern, um gleich darauf heftig auf die Hecke zuzupoltern, in der der Magier hilflos strampelnd gefangen saß.
"Wage es ja nicht!" donnerte er, aber das Fass ließ sich nicht im geringsten einschüchtern.
"Du hast mir gar nichts zu sagen!" fauchte es zornig und beschleunigte noch, "jetzt nicht mehr! Du hast keinerlei Macht mehr über mich!"
Moordrache, der das Vorhaben durchschaute, streckte die Klaue aus und hielt das wütende Fass zurück.
"Nun mal langsam", beschwichtigte er und rollte es mit den Spitzen seiner messerscharfen Krallen vorsichtig zurück. "Beruhigt Euch und erklärt uns erst einmal, wo Euer Problem liegt."
"Ja, das solltet Ihr tun!" stimmte Canerio, der alte Stratege und begeisterte Problemlöser, zu und Webolo fragte neugierig: "Was warst du denn, bevor du ein Fass wurdest? Eine Regentonne vielleicht?"
"Ich war keine Regentonne", gab das Fass beleidigt zurück. "Ich war eine Fee."
"Eine Fee?" echote ein dreistimmiger Chor und die Freunde sahen sich entgeistert an.
"Wie hat Reigami es denn geschafft, dich in diese Gestalt zu verwandeln?" erkundigte sich der Moordrache mit einem mißtrauischen Blick auf den Magier.
"Glaubt ihr kein Wort - sie lügt!" kam es aus der Hecke.
"Sie hat doch noch gar nichts gesagt ..."
"Das ist eine lange Geschichte", seufzte die verwandelte Fee traurig. "Und jetzt ist nicht die Zeit, sie zu erzählen. Der Bote sagte, daß die Plattladine anrücken, also solltet ihr lieber schnell das Weite suchen ..."
"Ja, da hat sie völlig recht!" beeilte sich Reigami zu erwidern. "Mit den Plattladinen ist nicht zu spaßen – und ich habe auch meinen Hut nicht mehr, mit dem ich sie hätte aufhalten können. Wenn sie nun meinen Turm plattwalzen oder niederbrennen, ist es allein die Schuld dieser rostigen Blechbüchse! Ja, wenn ich meinen Hut wieder hätte ..." Er schien plötzlich über irgend etwas intensiv nachzugrübeln. "Man könnte natürlich auch dieses Bürschchen da, Euren Knappen, wenn ich das recht verstanden habe, in den Brunnen hinablassen ..."
"Mich?" Webolo riss erschrocken die Augen auf und schüttelte seinen Kopf. "In diesen Brunnen? Nur über meine Leiche!"
"Ritter, so sprecht doch einmal ein Machtwort mit Eurem widerspenstigen Untertan! Ihn in den Brunnen hinunter zu lassen, wäre die einzige Möglichkeit, den Hut wieder zu erlangen, er ist so schmal, daß er sicher in den Schacht passen würde..."
"Ruhe jetzt da hinten. Mein Knappe wird nicht in den Schacht gelassen", giftete Canerio zurück und zu dem Fass gewandt sagte er liebenswürdig. "Können wir Euch nicht helfen, verehrte Fee? Gibt es kein Mittel, Euch zurückzuverwandeln?"
"Nein, gibt es nicht!" schnappte Reigami. "Holt mich lieber endlich aus dieser Hecke raus!"
Der Ritter tauschte einen schnellen Blick mit dem Moordrachen – und in diesem Fall schienen sie sich auch ohne Worte zu verstehen, denn der Drache packte den Magier am Kragen, zerrte ihn aus den Büschen, reckte sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe empor und pflanzte ihn mitten auf die Krone einer riesigen Tanne, die etwas außerhalb der Gartenmauer wuchs und nicht viel niedriger als der Turm des Magiers war.
"So, da oben kannst du zetern, so viel du willst", grinste er und wandte sich wieder seinen Gefährten zu.
"Wo waren wir stehengeblieben?"
"Bei den Plattladinen", erinnerte das Fass. "Ihr müßt hier verschwinden!"
Canerio runzelte ein wenig unmutig die Stirn und sträubte die buschigen, weißen Brauen.
"Der Gedanke, Euch hier allein zurückzulassen, behagt mir gar nicht", brummte er. "Können wir Euch nicht irgendwie helfen?" 
"Das würdet Ihr tun?"
"Selbstverständlich!" Der Ritter warf sich stolz in die Brust. "Ich bin ein Mann der Ehre - und mein Knappe soll zumindest einmal einer werden - es ist unsere Pflicht, zu helfen!"
"Ihr hättet der Heilsarmee beitreten sollen", seufzte der Moordrache resigniert. "Oder der Sozialfürsorge. Die hätten Euch bestimmt mit Kußhand genommen."
"Dummes Geschwätz! Was redet Ihr denn, Drache? Natürlich werden wir diesem Fass ... ääh, dieser Fee beistehen! Also, meine Liebe – erklärt uns, was zu tun ist!"
"Hast du auch einen Namen?" wollte Webolo wissen und starrte das Fass neugierig an.
"Mein Name ist Stibitzi", entgegnete das Fass.
"Stibitzi?" wiederholte der Drache alarmiert. "Ich hoffe doch, daß dieser Name nicht irgendeine unangenehme Bedeutung hat ...?"
Webolo drückte es etwas weniger umständlich aus:
"Sag bloß, du klaust?"
"Nein, natürlich nicht." Das Fass wurde beinahe etwas verlegen und der Knappe hätte schwören können, daß sein Holz einen leichten Rotstich annahm. "Also, ich stehle keine ‘Dinge’ oder Gegenstände oder so etwas...", seufzte sie, "aber ich stehle manchen Menschen die Zeit, deswegen nannte man mich wohl so."
Die Fee erzählte in aller Eile von einer geheimnisvollen Flüssigkeit, die der Magier dazu benutzte, verzauberte Geschöpfe wieder in ihre ursprüngliche Gestalt zurückzuverwandeln. Sie berichtete, daß er die Flüssigkeit, die sich in einem schwarzglänzenden, goldgefassten Fläschchen befand, stets in einer kleinen, eisenbeschlagenen Schatulle in seinem Laboratorium in der Spitze des Turmes aufbewahrte. Canerio hörte aufmerksam zu und erklärte sich sofort bereit, die benötigte Substanz zu besorgen. Während die Fee noch - mangels einem Paar Hände - ein wenig umständlich den Weg dorthin beschrieb, fackelte Webolo jedoch nicht lange und machte sich bereits dorthin auf - schließlich konnte er nicht zulassen, daß sein ehrwürdiger Herr und Meister in voller Rüstung bis ins Dachgeschoss des Turmes steigen und sich zudem noch unvorhersehbaren Gefahren aussetzen mußte. Und was sollte schon dabei sein, eine läppische schwarze Flasche aus einer Dachkammer zu holen? So etwas ähnliches - nur in umgekehrter Richtung - tat er daheim auf der Burg tagtäglich, wenn er des abends für den Ritter den von ihm heißgeliebten "Drachentaler Südhang" aus dem Weinkeller in den Rittersaal hinaufschleppte.
Zu seinem Pech jedoch schlich er sich so schnell von der Gruppe fort, daß er die letzten Worte der Fee nicht mehr hören konnte, die sie am Schluß noch ihrer Beschreibung hinzufügte:
"Und auf eines müßt ihr ganz besonders achten ..."

© by Sylvia
Webolo vor dem Turm-Tor...
© by Sylvia
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Und schon geht's zum 10. Kapitel: Drachentennis
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Denkt bitte daran: auch diese Geschichte nimmt am Drachentaler-Wettbewerb teil.
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