Mein kleiner Freund?? Verwirrt sah Webolo
sich um... konnte es sein, daß der Drache wirklich ihn meinte? Tatsächlich,
jetzt schaute er auch noch herüber und winkte auffordernd mit einer
Klaue - in der anderen bibberte immer noch dieser seltsame bunte Vogel,
der Reigamis Hut angeschleppt hatte. Webolo warf dem Moordrachen einen
fragenden Blick zu, tippte sich mit dem Finger auf die Brust und formte
mit den Lippen "Wer? Ich?"
Als er des Drachen schuppige Augenbrauen jedoch
langsam in die Höhe wandern sah, kam er zu dem Schluß, daß
es besser war, gar nicht erst lange zu fragen, sondern sich schnellstmöglich
zu ihm zu begeben, bevor er wieder auf so absurde Ideen kommen konnte,
wie ihn anzubrüllen oder einfach umzupusten.
Also hüpfte er zu Moordrache hinüber,
der ein wenig abseits des Feuers und der Hütte saß, und erkundigte
sich neugierig nach seinem Begehr. Eine Weile tuschelten sie geheimnisvoll
miteinander und beratschlagten sich mit Hansevogel, und als der Drache
den beiden schließlich seinen Plan erklärt hatte, strahlte Webolo
übers ganze Gesicht und rief eifrig und voller Begeisterung: "Au ja
- das kann ich, kein Problem!"
Auch Crosideria wurde herangewunken und in
das Vorhaben eingeweiht - und ihre Miene wandelte sich anschließend
ebenfalls in ein siegessicheres Grinsen. Natürlich - das war die Lösung!
Eigentlich konnte nun gar nichts mehr schiefgehen...
Während der Drache sich mit Hexe, Knappe
und Vogel beriet und der Rest der Gesellschaft aufgeregt über Stibitzis
Verbleib diskutierte, ruhte Canerios Blick still und begehrlich auf dem
Magierhut, den der Gefiederte erschrocken hatte fallen lassen und der nun
unbeachtet im Staub neben Morholts Hütte lag.
Er riß sich zusammen und schaute angestrengt
in eine andere Richtung. Aber es dauerte nicht lange, und er mußte
wieder den Hut ansehen, der ihn magnetisch - oder vielleicht sogar magisch
- anzuziehen schien.
Sollte er diese Gelegenheit wirklich ungenutzt
verstreichen lassen? Niemand schien sich im Moment sonderlich für
des Magiers ehemalige Kopfbedeckung zu interessieren...
Er überlegte hin und überlegte her,
aber letztendlich siegten seine Neugier und der unbezähmbare Wunsch,
den Hut zu besitzen - und so erhob er sich leise quietschend und knarrend
von seinem Platz am Lagerfeuer und schlenderte mit völlig teilnahmslosem
Gesichtsausdruck langsam zur Hütte hinüber.
Da lag er nun zu seinen Füßen,
der Magierhut - zerknautscht, staubbedeckt und in leicht verblichenem Schwarz
- so als würde er nur darauf warten, daß er endlich einen neuen
Besitzer bekäme.
Noch ein letzter Seitenblick auf seine Gefährten,
ein kurzes Luftanhalten und In-die-Knie-gehen und schnapp - schon hatte
Canerio den Hut und ließ ihn hinter seinem Rücken verschwinden.
Hastig blickte er sich um - nein, niemand schien etwas bemerkt zu haben.
Seine Freunde waren mit völlig anderen Dingen beschäftigt und
schenkten ihm nicht ein bißchen Aufmerksamkeit.
Der Ritter beschloß, sich ein stilles
Eckchen zu suchen, an dem er ungestört den Hut untersuchen konnte
und verkrümelte sich quietschend auf die Rückseite der Hütte,
wo Rosinante und Orhima friedlich und völlig besoffen neben dem leeren
Flammentodfass schnarchten. Er ließ sich zwischen den beiden auf
dem Fass nieder und starrte verzückt seine Beute an, drehte sie in
seinen fahrigen und vor Aufregung schweißnassen Händen und betrachtete
sie von allen Seiten. So völlig unscheinbar sah er aus, doch wohnten
unvorstellbare Zauberkräfte in diesem Hut - und Canerio war wild entschlossen,
sein Geheimnis endlich zu lüften und der neue Meister des Hutes zu
werden.
© by Sylvia
Er zermarterte sich das Hirn und versuchte
sich daran zu erinnern, wie Reigami den Hut zum Zaubern gebracht hatte...
tippte mit den Fingern darauf herum, klopfte mit den Knöcheln den
Rand ab, betastete das Innenfutter, strich mit dem Daumen an der Krempe
entlang... nein, falsche Richtung... anders herum... oder doch lieber so
herum? So sehr der Ritter auch überlegte, er konnte sich nicht mehr
genau darauf besinnen, was der Magier mit dem Hut angestellt hatte. Na
egal, vielleicht war die Richtung auch gar nicht so wichtig...
Er strich und klopfte, knetete und schüttelte...
doch allem Augenschein nach passierte nicht das Geringste. Mißtrauisch
starrte er den Hut an. Machte er etwas falsch? Oder konnte es gar sein,
daß er seine Zauberkraft verloren hatte?
Wieder fingerte er an der Krempe herum - wieder
geschah nichts. Denk nach, denk nach, sagte er sich und grübelte fieberhaft,
wie hat Reigami das gemacht? Seine Überlegungen wurden ein wenig durch
aufgeregte Stimmen und Rufe gestört, die aus einiger Entfernung an
sein Ohr drangen, und er runzelte unmutig die Stirn, weil er sich in seiner
Konzentration gestört fühlte - doch er ließ sich nicht
davon abbringen, weiterhin mit dem Hut herumzuexperimentieren. Irgendwie
mußte er diesem schwarzen, filzigen Etwas doch eine Spur Magie entlocken
können...
Während er sich hinter der Hütte
in aller Seelenruhe mit dem Magierhut beschäftigte, zerrte derweil
auf der anderen Seite von Morholts Behausung Webolo heftig am Ärmel
des Alchemisten, der gerade in eine Debatte mit Bruder TaC vertieft war.
"Meister Morholt, seht doch nur - was ist
das???"
"Wo? Was? Was meinst du, Knappe?"
Er drehte sich um und blickte verwirrt in
die angegebene Richtung und auch TaC verrenkte sich beinahe den Hals um
zu sehen, was Webolo so in Aufruhr versetzte.
"Na, da! Seht doch nur... der Zaun..."
Der Alchemist stutzte.
"Schaut euch das an", hauchte er ungläubig.
Die morschen, verwitterten Zaunpfähle
begannen gerade, sich aus dem Erdboden zu winden, als wären sie lebendig
geworden.
Morholt klappte der Kinnladen nach unten.
Mit aufgerissenen Augen beobachteten sie,
wie ihnen wurzelähnliche Beine und Füße wuchsen und an
den Pfahlspitzen in Windeseile frisches Laub austrieb, das ihnen den Anschein
gab, als würden sie grüne Perücken tragen. Ein Pfahl nach
dem anderen drängte aus der Erde, dann fingen sie an, auf ihren
eben gewachsenen Wurzelstummeln kichernd herumzuhüpfen und schließlich
verschwanden sie hopsend und herumalbernd im nahen Wald.
Webolo blieb vor Staunen der Mund offen stehen
und er rieb sich die Augen, als wolle er einen bösen Traum verjagen,
während TaC aussah, als würde er im nächsten Augenblick
in Ohnmacht fallen wollen. Sein Verstand wollte einfach nicht glauben,
was seine Augen eben gesehen hatten.
"Wa ...wa ... was war das?" stotterte er,
doch auch Morholt hatte keine Erklärung, sondern zuckte nur ratlos
und verwirrt mit den Schultern.
"Die waren ja richtig lebendig!" kreischte
Webolo, einer Panik nahe. "Und sie hatten Arme und Beine und Haare, nein...
eher Äste und Zweige... nein, ach ich weiß auch nicht... Morholt,
Meister Morholt, sagt doch - was war das...."
Sein Mundwerk stand vor Aufregung keine Sekunde
lang mehr still, und so packte Morholt das aufgeregte Kerlchen kurzerhand
und zerrte es hinter sich her zu den anderen Gefährten, die sich vor
der Hütte versammelt hatten. TaC folgte ihnen auf dem Fuße.
Auf einmal spürte der Mönch Tropfen
auf seinen kahlrasierten Schädel fallen.
"Na, was ist das denn?"
Regen? Konnte das sein? Gerade eben noch war
die Nacht sternenklar und wolkenlos gewesen... der Mönch sah zweifelnd
nach oben.
Der Himmel war auch nach wie vor klar. Doch
nur wenige Armlängen über ihren Köpfen hing eine einzelne
dicke, schwarze Regenwolke, die fies auf sie herabzugrinsen schien und
gerade in dem Moment, als TaC den Kopf in den Nacken legte, um nach oben
zu gucken, ihre Schleusen öffnete.
Der Wolkenbruch war fürchterlich. Wie
aus Kübeln schüttete es plötzlich, und bevor sie überhaupt
die Köpfe einziehen konnten, waren TaC, Morholt und der völlig
konfus vor sich hin plappernde Webolo nass bis auf die Haut und standen
bis zu den Knöcheln in einer schnell größer werdenden Wasserpfütze.
TaC ließ Morholt einfach stehen, raffte
mit einer Hand die Kutte bis an die Knie, mit der anderen schleifte er
den kreischenden Knappen hinter sich her, und versuchte so, der Wolke zu
entkommen. Doch gleichgültig, wohin sie sich auch wandten, die Wolke
war ihnen auf den Fersen - solange bis sich die beiden in die trockene
Sicherheit der Hütte retten konnten.
Doch kaum, daß sie das Häuschen
betreten und die Tür hinter sich zugeschlagen hatten, flogen ihnen
auch schon Töpfe und Bratpfannen um die Ohren. Scheppernd und klappernd
sausten sie durch den kleinen Raum, prallten von den Wänden ab und
hüpften wie wild durch die Gegend. Webolo duckte sich geistesgegenwärtig,
um den Wurfgeschossen auszuweichen, während TaC weniger Glück
hatte - ein kupferner Kessel traf ihn mit voller Breitseite und einem satten
"Doing" an der Stirn und säbelte ihn von den Beinen, so daß
er zu Boden ging wie eine gefällte Eiche.
"Ohjeohjeohjeohje", jammerte Webolo und verschanzte
sich unter dem Küchentisch, während eine eiserne Schöpfkelle
knapp neben seinem Ohr vorbeisauste und mit einem Klirren die Fensterscheibe
durchschlug. Glassplitter regneten auf ihn herab. "Meister! Wo seid ihr?"
kreischte er, "Morholt? Rosinante? Hilfe ... Hiiiiiilfeeeeeeee!"
Gedämpft drangen seine verzweifelten
Rufe nach draußen, wo die beiden Drachen das ganze Geschehen aus
sicherer Entfernung beobachteten und Karni von Tiredachan und die beiden
Hexen um die Wette rannten, um der anhänglichen Regenwolke zu entkommen
- und die Rufe drangen auch bis an Ritter Canerios Ohr.
Er sprang sofort auf, als er Webolos Hilfeschreie
hörte - soweit man bei seinen eingerosteten Knochen und Rüstungsteilen
überhaupt von Springen reden konnte, und schickte sich eilig an, nach
seinem Knappen zu suchen.
Das alles konnte keinesfalls natürlichen
Ursprungs sein - soweit war Morholt die Sache klar. Und er hatte auch schon
einen sehr bestimmten Verdacht, wer oder was für das ganze Chaos verantwortlich
war. Suchend blickte er sich um - und tatsächlich kam in diesem Moment
der Ritter hektisch um die Hütte gelaufen, in seinen Händen den
zerknautschten Zaubererhut.
Morholt stürmte wutentbrannt auf Canerio
zu.
"Seid Ihr des Wahnsinns?" donnerte er und
riss dem verdutzten Ritter den Hut aus den Händen. "Laßt diesen
Unfug - aber sofort! Wißt Ihr überhaupt, was Ihr hier angerichtet
habt?"
"Ähhh ...", Canerio schüttelte verwirrt
den Kopf, "angerichtet? Ich?"
"Ja, natürlich Ihr!" Morholt war kaum
noch zu halten. "Treibt hier alberne Spielchen mit diesem dämlichen
Hut... während wir in ernsthafter Gefahr sind und keine Zeit zu verlieren
haben. Stibitzi ist in der Gewalt der Plattladine und Reigami und seine
schwarze Ausgeburt sind hierher unterwegs - oder habt Ihr das etwa schon
vergessen?"
"Ja, aber was hab ich denn ..."
"Schaut Euch doch nur hier um", schimpfte
der Alchemist und machte eine ausladende Handbewegung. Der Blick des Ritters
schweifte über die zusammengebrochenen Reste des Gartenzauns, über
die Löcher im Erdboden, über den überschwemmten Kräutergarten,
der aussah wie eine Reispflanzung, über die zerbrochene Fensterscheibe,
die schlammbespritzte Kleidung und die erschöpften Gesichter der beiden
Hexen ...
Morholt grummelte einige unverständliche
Worte in seinen Bart, Canerios Gesicht jedoch verzog sich zu einem zufriedenen
Lächeln. Der Hut hatte tatsächlich gezaubert - wenn auch nur
Unsinn. Aber er besaß scheinbar noch seine vollen magischen Kräfte.
"Möchte wissen, was es da zu grinsen
gibt", knurrte Morholt und stopfte den Hut in einen der Beutel, die an
seinem Gürtel hingen. "Der ist einstweilen konfisziert!"
Zu dritt - Morholt, Canerio und der Knappe,
dessen Redeschwall mittlerweile eine atemberaubende, nicht mehr zu bremsende
Geschwindigkeit angenommen hatte - zerrten sie den ohnmächtigen Bruder
TaC aus der Hütte, richteten ihn auf und lehnten ihn mit dem Rücken
gegen die Holzbank. Während Webolo ohne Unterlass vor sich hin plapperte,
kniete Morholt sich neben den Mönch und klatschte ihm ein paar Mal
auf die Backe, woraufhin er sogleich einen giftigen Blick von Lady Karni
erntete.
"Seid doch nicht so grob zu ihm!" zürnte
sie und verschwand, um einen nassen Lappen zu holen, den sie auf die Beule
legen konnte, die leuchtend mitten auf TaC's Stirn prangte.
Als sie zurückkam, erwachte der Mönch
gerade wieder stöhnend aus seiner Ohnmacht und hielt sich den schmerzenden
Kopf. Kaaloth, sein kleiner blauer Drache, kam angeflattert und knabberte
besorgt an seinen Ohrläppchen.
"Liebe Güte", seufzte TaC, "ich glaube,
ich hatte einen Alptraum..."
"Das war kein Alptraum", korrigierte Morholt,
aber bevor er zu einer Erklärung ansetzen konnte, fiel ihm der Knappe
ins Wort. "Das war Reigamis Hut", sprudelte es aus ihm hervor, "der Zaubererhut,
Ihr weißt doch... dieser Hut da..."
Morholt schloß die Augen und biß
die Zähne angesichts seines unaufhörlichen Geplappers zusammen.
"Webolo, halt' doch einfach mal den Mund!"
warnte er. Als der Knappe zu ihm hinüberguckte und seine finstere
Miene sah, klappte sein Mund tatsächlich zu.
"Geh und bitte Crosideria und Sylveria, sie
sollen das Pferd und das Kamel wieder auf die Beine bringen - wir müssen
los!"
Webolo trollte sich, aber TaC blinzelte nur
verstört und wehrte mit einer Hand Kaaloth ab, der gerade versuchte,
sein Ohr aufzufressen. "Pferd? Kamel? Hut?"
"Oh, Bruder TaC - geht es Euch wirklich gut?"
fragte Karni besorgt, scheuchte den Drachen von seiner Schulter und kühlte
vorsichtig die Beule.
"Natürlich", brummte er, "das war ja
nur Zufall, daß mich dieses blöde Ding da getroffen hat. Normalerweise
gehe ich nicht so leicht zu Boden!"
Als er Karnis bewundernde Blicke bemerkte,
warf er sich kämpferisch in die Brust:
"Gebt mir nur eine Keule oder einen Knüppel
- und ich werde es diesen Plattladinen schon zeigen!"
"Na, na - übernehmt Euch nur nicht",
spöttelte Morholt. "Niemand muß allein in den Kampf ziehen -
wenn, dann gehen wir alle gemeinsam. Aber wir sollten langsam an Aufbruch
denken, bevor die Nacht sich dem Ende zuneigt. Im Schutz der Dunkelheit
sind wir sicherer. Ich werde schon mal den Ochsen vor den Karren spannen...
werte Lady, würdet Ihr bitte Euer Pferd reisefertig machen?"
"Was?" sagte Karni, indem sie sich nur mit
Mühe aus ihren Träumereien und ihre Augen von Bruder TaC losriß,
der plötzlich einen erstaunlichen Heldenmut an den Tag legte. Morholt
wiederholte schmunzelnd seine Bitte, dann erhob er sich.
"Ich werde Strohkopf anspannen", grinste er.
"Aber ihr solltet Euch lieber beeilen."
Nachdem er den Ochsen angeschirrt und vor den
Karren gespannt hatte, lief Morholt hinter die Hütte, um zu sehen,
ob Webolo und die beiden Hexen in der Zwischenzeit Rosinante und Orhima
auf die Beine gebracht hatten.
Crosideria hockte im Schneidersitz auf dem
Boden und flößte dem Kamel gerade eine bitter riechende, dunkelbraune
Flüssigkeit ein.
"Was gibst du ihr da?" wollte Morholt verwundert
wissen.
"Spezialmixtur", grinste die Hexe. "Das erweckt
Tote wieder zum Leben."
Der Alchemist schnupperte an dem Gebräu.
"Soso, du hast mir noch gar nicht erzählt,
daß du solche Rezepte kennst. Wie nennt sich denn das Zeug?"
"Kaffee..."
"Ah ja, und das soll helfen? Warte, ich kenne
eine schnellere Methode, um die beiden wieder auf die Füße zu
bringen ..."
Er verschwand in der Hütte und kehrte
kurz darauf mit zwei Eimern Wasser zurück.
"Wollt Ihr sie tränken?" wunderte sich
Webolo.
"Nein", erwiderte Morholt, holte aus und schüttete
Rosinante den Kübel mitten ins Gesicht. "Ersäufen!"
Die alte Stute war mit einem Satz auf den
Beinen, schüttelte sich unwillig, wankte ein wenig hin und her und
glotzte Morholt dann mit blutunterlaufenen Augen an.
"Ohhhhhh, macht das bitte nicht nochmal",
stöhnte sie und hatte Mühe, sich gerade zu halten, "und verschont
die arme Orhima ...."
Aber auch das Kamel hatte inzwischen eine
kalte Dusche abbekommen. Orhima versuchte gerade, sich einigermaßen
zu sammeln und ihre langen Beine auseinander zu sortieren, als Canerio,
der auf der Suche nach seinem Knappen war, zu ihnen trat.
"Webolo, du sattelst Rosinante und kümmerst
dich um das Gepäck. Und auch Orhima werden wir als Reittier benötigen
..."
Er wandte sich dem Alchemisten zu.
"Werter Morholt, habt Ihr nicht ein Seil,
aus dem wir Orhima schnell ein Zaumzeug knüpfen könnten, und
etwas, das sich als Sattel verwenden lässt?"
Kurze Zeit später, als der Mond schon
nicht mehr zu sehen war, waren sie schließlich abmarschbereit. Orhima
hatten sie mit einer goldenen Vorhangkordel gehalftert und ihr den bunten
Teppich aus Morholts guter Stube mit Stricken um den Bauch gebunden. Oben
auf ihrem Höcker thronte Webolo, der sich in dieser schwindelerregenden
Höhe sichtlich unbehaglich fühlte. Der Höcker war hoch und
Orhimas Hals ziemlich weit weg und der arme Knappe hatte das Gefühl,
am oberen Ende einer Rutschbahn zu sitzen und in die Tiefe zu starren.
Sein Herr und Meister dagegen saß wie immer auf seiner treuen Rosinante,
die in ihrem momentanen Zustand trotz ihrer Kampfmontur einem stolzen Streitross
nur sehr entfernt ähnelte. Sie sah müde und mitgenommen aus und
ließ mürrisch ihre Unterlippe hängen.
Auf dem Ochsenkarren drängelten sich
zwischen allen möglichen Gepäckstücken, Proviantpaketen
und Ausrüstungsgegenständen Morholt und die beiden Hexen, während
TaC - mit seinem kleinen blauen Drachen auf der Schulter - auf dem Kutschbock
saß und Strohkopfs Leinen in den Fäusten hielt. Zwischen ihnen
allen flatterte unruhig Hansevogel, der Kampfgeier, hin und her. Und zu
guter letzt erschien auch Lady Karni endlich auf ihrem schwarzen Elfenpferd.
© by Sylvia
Nun konnte die Reise endlich losgehen - die
gefahrvolle Reise zum Schlachtfeld der Wirbelmöhren, zu Reigami, dem
schwarzen Drachen und den wüsten Plattladin-Horden.
Canerio hieb Rosinante die Fersen in den Bauch,
was sie zu einem unwilligen Grunzen veranlasste, doch dann setzte sie sich
gehorsam in Bewegung und nach und nach folgte auch der Rest der Truppe.
Die zwei Drachen beobachteten den Abmarsch
und bildeten dann selbst das Schlußlicht dieser seltsamen Karawane
- ein großer blaugrauer und ein äußerst griesgrämig
dreinblickender, der wild in allen Farben blinkte.
Moordrache warf dem mißmutig neben ihm
hertrottenden Khisanth einen neugierigen Blick zu.
"Hey, warum guckst du eigentlich so sauer?"
"Wie würdest du denn gucken, wenn du
als blinkender Regenbogendrache herumlaufen müßtest?"
"Das ist doch kein Grund, so ein Gesicht zu
machen", wunderte sich Moordrache. "Im Gegenteil, ich find' das chic! Bist'n
bißchen sensibel, was?"
"Nee, bin ich nicht - ich kann's nur nicht
ausstehen, wenn alle Welt über mich kichert. Und Morholt hat scheinbar
schon wieder vergessen, daß er mich von diesem Geblinke befreien
wollte."
"Na, komm schon", entgegnete Moordrache aufmunternd.
"Das wird er schon noch - er hat eben andere Sorgen im Moment. Los, wir
drehen mal 'ne Runde, das bringt dich wieder auf andere Gedanken."
"Nee, geht nicht", seufzte Khisi, "mich kann
ja am Himmel jeder meilenweit sehen. Ich würde uns ja nur verraten.
Aber flieg ruhig los - ich pass' inzwischen ein bißchen auf's Fußvolk
auf."
"Okay!"
Nichts lieber als das ... Moordrache ging
dieses ganze Gelatsche mittlerweile schon gehörig auf die Nerven.
Er war ein Drache und zum Fliegen geboren - nicht zum Wandern.
Mit einem erleichterten Seufzer breitete er
die Schwingen aus und erhob sich elegant in die Lüfte, froh, endlich
wieder den Wind unter den Flügeln zu spüren. Schnell schraubte
er sich in die Höhe, ließ den Blick über die nächtliche
Landschaft gleiten und hielt Ausschau nach Reigamis Gemüsegeschwader.
Vor ihm am Horizont brauten sich dicke schwarze Gewitterwolken zusammen.
Während er hoch droben durch die kühle
Nachtluft segelte, fühlte sich weit unter ihm ein Knappe, als würde
er gerade eine Seereise über einen stürmischen Ozean unternehmen.
Webolo war sterbenselend von Orhimas Geschaukel und er klammerte sich kreidebleich
und mit fest zusammengekniffenen Augen an die Stricke, mit denen Morholts
Teppich um den Bauch des Kamels geschnallt war.
Canerio dagegen, der vorausritt, war offensichtlich
wieder mal im Sattel eingedöst, denn er schwankte beträchtlich
von einer Seite zur anderen. Doch Rosinante, die das seit vielen Jahren
gewohnt war, balancierte geschickt seine Schlingerbewegungen aus, indem
sie einfach immer wieder mal einen Schritt zur Seite machte.
Sie war nervös.
Am Himmel türmten sich bereits riesige
Wolkenberge auf und es würde nicht mehr lange dauern, bis ein heftiges
Gewitter losbrechen würde. Doch die Luft war nicht nur von dem nahenden
Sturm aufgeladen, sondern eindeutig von Magie - das konnte sogar Rosinante
spüren.
Sie reckte den Hals gen Himmel und versuchte,
dort oben irgendwo den Moordrachen zu erspähen - umso entsetzter war
sie, als sie wieder auf den Weg schaute und direkt vor ihrer Nase plötzlich
eine dunkle Gestalt auftauchte.
Rosinante sprang vor Schreck beinahe auf den
nächsten Baum.
Entgeistert rammte sie die Hufe in die Erde,
stieß ein schrilles Wiehern aus und bäumte sich auf - und dachte
keinen Augenblick mehr daran, daß sie einen vor sich hin dösenden
Reiter auf dem Rücken trug. Canerio wurde aus dem Sattel geschleudert,
schlug einen Rückwärtssalto und purzelte über Rosinantes
Hinterteil zu Boden, wo er verdattert sitzen blieb und sich über das
abrupte Erwachen wunderte.
Die Stute schnaubte entsetzt, als der hochgewachsene
Fremde auf sie und den Ritter zuschritt. Er war in einen langen, dunklen
Umhang gehüllt und sein Gesicht war nicht zu erkennen, weil es unter
einer Kapuze verborgen lag.
Auch Webolo bemerkte den Fremden und sah,
wie er auf seinen Herrn und Meister zuging. Er zerrte wie wild an Orhimas
Zügeln - sprich an der goldenen Vorhangkordel - und schrie so laut
er konnte "Brrrrrrrrr". Auch wenn er vielleicht nicht immer der tapferste
war - sobald er seinen Ritter in Gefahr glaubte, wurde er zum mutigsten
Knappen unter der Sonne des Drachentals.
Und in diesem Augenblick sah er eindeutig
seinen Meister bedroht.
Webolo verdrängte auf der Stelle den
Gedanken an seinen schwummrigen Magen, ließ die Stricke los, rutschte
auf Orhimas Hals nach unten und hüpfte dann mit einem letzten Sprung
zu Canerio.
"Weg da!" schrie er und kramte in seinem Rucksack
hektisch nach seinem Taschenmesser. "Laß bloß meinen Meister
zufrieden, sonst bekommst du's mit mir zu tun!"
"Was ist denn da los?" brüllte TaC hinter
ihm und brachte Strohkopf zum Stehen. Mit seinem Knüppel bewaffnet
sprang er vom Karren und eilte nach vorne und auf die verhüllte Gestalt
zu. Im Hintergrund legte Karni einen Pfeil an und zielte ebenfalls auf
den Fremden.
"Was ist Euer Begehr?" blaffte TaC und schwang
drohend den Knüppel. "Uns derart zu erschrecken... was wollt Ihr?
Erklärt Euch, Fremder!"
Webolo starrte angsvoll die große, breitschultrige
und unheimlich wirkende Gestalt an und war sich sicher, daß gleich
gelbe Blitze aus dem dunklen Umhang geschossen kamen... oder eine Klaue
mit einem Messer oder noch Schlimmeres - als der Fremde die Kapuze zurückschlug
und eine überraschend melodische, tiefe Stimme sagte:
"Entschuldigt, wenn ich Euch erschreckt habe
- das war nicht meine Absicht. Ich bin allein unterwegs und dieser Wald
ist bekannt für seine Räuberbanden - deswegen suche ich eine
Mitreisegelegenheit und wollte fragen, ob ich mich Euch für eine Weile
anschließen darf. Mein Name ist übrigens Ya Coo Sa und ich bin...
hm, ein einsamer Wanderer."
Die Gruppe musterte erstaunt den jungen Mann,
den der schwarze Umhang enthüllt hatte. Er war athletisch gebaut und
wirklich hünenhaft groß, trug sein blondes Haar zu Zöpfen
geflochten und hatte freundliche blaue Augen, mit denen er nun in die Runde
lächelte.
TaC ließ den Knüppel ein wenig
sinken, zog die Brauen zusammen und musterte den Fremden mißtrauisch.
Sollte er ihm trauen? Wenn es nun ein Wegelagerer
war? Ein Räuber, der ihnen eine Falle stellen wollte? Schon dieser
merkwürdige Name... Ya Coo Sa. Klang ziemlich ungewöhnlich. Aber
irgend etwas sagte dem Mönch, daß der Hüne es ehrlich meinte.
"Wo wollt ihr denn hin?" erkundigte er sich
und betrachtete den Kerl eingehend, wobei er bemerkte, daß sein Umhang
auf der linken Seite ziemlich ausgebeult war. Als sich Ya Coo Sa ein wenig
zur Seite drehte, sah TaC Metall unter dem groben Stoff aufblitzen.
Sofort hob er den Knüppel wieder.
"Ihr seid bewaffnet, Fremder!" stellte er
fest und machte ein grimmiges Gesicht, das - wie er hoffte - eine abschreckende
Wirkung auf den Kerl haben würde. "Falls ihr unlautere Absichten haben
solltet, so seid gewiss, daß Euch das äußerst schlecht
bekommen wird. Gebt Eure Waffen heraus, dann könnt Ihr Euch uns vielleicht
anschließen."
TaC und seine Freunde waren nicht wenig erstaunt,
als Ya Coo Sa bei dieser Bemerkung herzhaft zu lachen anfing. Seine Hand
bewegte sich in Richtung der ausgebeulten Stelle unter seinem Umhang. Der
Mönch drohte ihm sofort wieder mit dem Knüppel, und auch seine
Gefährten rückten näher, um ihm sofort zur Seite zu stehen,
falls es Ärger geben sollte. Auch Canerio erhob sich mit Webolos tatkräftiger
Unterstützung wieder in die Senkrechte.
Der Fremde grinste.
"Keine Angst", versicherte er, "was ich bei
mir trage, ist keine Waffe."
"Sondern?"
Ya Coo Sa schlug seinen Umhang zurück
und enthüllte eine wunderschöne, goldene Leier, die er an seinem
Gürtel trug.
"Oohhh", staunte Webolo, der noch nie ein
so schönes Instrument gesehen hatte, "eine Harfe!"
"So etwas ähnliches", lächelte Ya
Coo Sa. "Ist die Mitreise nun genehmigt? Ihr seht, was ich bei mir trage,
ist völlig harmlos - ich besitze nicht einmal eine Waffe."
"Seid Ihr ein Sänger? Ein Barde?"
"Nun ja ..."
Ya Coo Sa zögerte einen Augenblick, dann
entschloß er sich, lieber gleich die Wahrheit zu sagen. "Eigentlich
bin ich ein Schwarzmagier..."
"Waaah!" Webolo sprang entsetzt zurück
und versteckte sich mit schlotternden Knien hinter Bruder TaC's breitem
Rücken. "Ein schwarzer Magier!"
Die Freunde starrten ihn an, als wäre
er eine Erscheinung.
"Ein Schwarzmagier??"
Ya Coo Sa wirkte beinahe ein wenig verlegen,
als er zu einer Erklärung ansetzte.
"Ja gut, ich sollte zumindest einer werden...
aber ich hatte einfach keine Lust, böse zu sein - und da bin ich eben
von der ehrenwerten Schwarzmagierschule geflogen. Und die Weißmagier
wollten mich danach auch nicht mehr. Natürlich habe ich einige ganz
nette Tricks auf Lager - aber eigentlich singe und dichte ich viel lieber,
als daß ich bösartige Zauber spreche. Soll ich Euch mal eine
Kostprobe geben?" fragte er eifrig.
"Spart Euch das für später auf",
mischte sich Morholt ein. "Im Moment haben wir wenig Zeit für Muße
und Unterhaltung. Wir müssen weiter, Leute - die Zeit rennt uns davon!"
Webolo kletterte notgedrungen wieder auf den
teppichgeschmückten Höcker seines Reitkamels und Canerio hievte
sich mit viel Geächze und Gequietsche auf Rosinantes breiten Rücken,
während TaC auf den Ochsenkarren stieg und dem Fremden mit einer Handbewegung
bedeutete, daß neben ihm auf dem Kutschbock noch Platz wäre.
Mit einem eleganten Satz sprang Ya Coo Sa auf den Karren, was den Mönch
zu neidischen Seitenblicken veranlasste. Als er bemerkte, daß auch
Karni und die beiden Hexen den jungen Mann beobachteten, versuchte er verstohlen,
den Bauch einzuziehen, was sich als beinahe unmögliches Unterfangen
herausstellte – und zu TaC's Leidwesen auch nicht viel Erfolg brachte.
"Wohin wollt ihr denn eigentlich?" erkundigte
sich der blonde Hüne und machte es sich bequem. "Ihr scheint ein merkwürdiges
Trüppchen zu sein - sagt, wohin zieht ihr?"
"In eine Schlacht", erklärte TaC und
schnalzte mit der Zunge, damit Strohkopf sich in Bewegung setzte. "Und
wir werden den Schauplatz bald erreicht haben - falls uns das Wetter nicht
noch einen Strich durch die Rechnung macht."
Er sandte einen sorgenvollen Blick zu der
schwarzen Wolkenwand, die sich vor ihnen am Himmel auftürmte. "Sieht
nicht gut aus... vielleicht sollten wir uns doch einen Unterschlupf suchen."
"Aah, eine Schlacht", hakte Ya Coo Sa begeistert
nach, "interessant, erzählt mir mehr davon! Ich wollte schon immer
mal einen netten kleinen Kampf leibhaftig mitverfolgen, damit ich anschließend
ein Epos darüber verfassen kann."
"Oh, ich glaube, Ihr solltet Euch besser nicht
wünschen, diesem Kampf beizuwohnen", seufzte TaC. "Könnte böse
ausgehen."
Während er dem Schwarzmagier in groben
Zügen schilderte, was sie erwarten würde, platschten schon die
ersten dicken Regentropfen herunter. Aus den zusammengeballten Wolken tauchte
die Gestalt des Moordrachen auf, der eilig neben ihnen landete, die Schwingen
zusammenklappte und Bericht erstattete.
"Möhren über Möhren", seufzte
er. "Soweit das Auge reicht. Sie haben den Turm fast schon erreicht - oder
besser gesagt, das, was von ihm übrig geblieben ist. Übrigens
lungern dort auch schon die Plattladine herum. Nur diesen "angeblich" so
riesigen Drachen konnte ich nirgends entdecken", fügte er ein wenig
spöttisch hinzu.
"Hast du Stibitzi gesehen?" fragte Webolo
sorgenvoll, aber der Drache schüttelte den Kopf.
"Nein, keine Spur von ihr. Bestimmt sitzt
sie noch im Brunnen und langweilt sich, mach dir mal keine Sorgen. Aber
ihr solltet Euch einen trockenen, geschützten Platz suchen, an dem
ihr den Sturm überstehen könnt, der gerade anrückt - über
der Ruine von Reigamis Turm tobt schon ein wahrer Orkan."
Sie hielten sich an Moordraches Rat und suchten
in einer der vielen Höhlen Zuflucht, von denen es hier in diesem felsigen
Gebiet jede Menge gab, während der Drache zu einem erneuten Beobachtungsflug
startete.
Sie steuerten gleich die nächstbeste
Höhle an, die groß genug war, alle Gefährten aufzunehmen
- aber es gab trotzdem ein heilloses Gedrängel, denn Canerio bestand
hartnäckig darauf, daß auch Rosinante mit in die Höhle
durfte.
"Von nassem Wetter kriegt sie Rheuma", brachte
er als Entschuldigung an und ließ sich nicht davon abbringen, sie
durch den Eingang ins Trockene zu bugsieren. Auch Kaaloth und Hansevogel
durften mit hinein, ihre anderen "tierischen" Gefährten dagegen, Orhima,
Leti, Strohkopf - und Khisanth der Drache sowieso - mußten sich draußen
unter den Bäumen Schutz vor dem Unwetter suchen. Als der Sturm bald
darauf richtig einsetzte, breitete Khisi kurzerhand eine seiner mächtigen
Schwingen aus und ließ alle drunterkriechen - seinem Schuppenkleid
machte Regen und Wind schließlich nichts aus.
In der Höhle war es zwar reichlich eng,
aber wenigstens trocken und windgeschützt.
Während sie ein kleines Feuer entzündeten,
grollte draußen schon der erste Donner.
"Können wir jetzt mal eine Kostprobe
auf diesem Dingens da hören?" löcherte Webolo den neuen Reisegefährten.
"Wie heißt das noch gleich?"
"Das ist eine Leier", grinste Ya Coo Sa und
zog das kunstvoll gearbeitete Instrument hervor. "Ja, gern - ich kann Euch
ja wenigstens ein bißchen unterhalten, solange bis der Sturm sich
gelegt hat."
Er schlug probeweise die Saiten an.
"Ich werde Euch die Ballade vom einsamen Magier
vortragen", kündigte er an und errötete zart, als er hinzufügte:
"Von mir selbst verfaßt."
Geschickt strichen seine Finger über
die Saiten der Leier, entlockten ihr zauberhaft klingende Töne und
schon hob er mit melodischer Stimme und theatralischen Gesten eine Art
Sprechgesang an:
"Blitze zittern, Feuer fackelt, rings herum
die Erde wackelt..."
Die Gefährten lauschten gebannt seinem
Singsang - alle bis auf Morholt, der sich unauffällig mit einem der
Lederbeutel beschäftigte, die an seinem Gürtel hingen. Niemand
bemerkte es erst, aber nach einer Weile wurden die beiden Hexen doch auf
sein merkwürdiges Verhalten aufmerksam. Sylveria, die es als erste
gesehen hatte, knuffte Crosideria in die Seite und deutete verstohlen zu
Morholt hinüber. Es sah aus, als hätte er eine Auseinandersetzung
mit diesem braunen Beutel und würde mit aller Kraft versuchen, ihn
am Davonlaufen zu hindern. Die beiden Hexen warfen sich verständnislose
Blicke zu - sie hatten keine Ahnung, was da vorging. Als Ya Coo Sa seinen
Gesang beendet hatte, hielt auch der Alchemist in seinem merkwürdigen
Benehmen wieder inne.
Der Schwarzmagier, der sich mittlerweile warmgesungen
hatte und selten eine so große Zuhörerschar hatte, war nun nicht
mehr zu bremsen und stimmte sogleich das nächste Lied an.
"Ein scha-harfes Auge, si-hich're Hand", schmetterte
er aus voller Brust und griff in die Saiten, "die Sehne i-hist fest a-hangespa-hannt!"
Webolo hing begeistert an seinen Lippen, um
ja keinen Ton zu verpassen, und auch die restlichen Gefährten lauschten
andächtig dem Vortrag. Nur Morholt schien ernsthafte Probleme mit
seinem randalierenden Lederbeutel zu haben ...
"Was ist mit Euch?" fragte Crosideria besorgt.
"Ist Euch nicht wohl, werter Morholt? Stört Euch vielleicht der Gesang?"
"Oh, nein, er singt wunderbar - nur Reigamis
Hut scheint seinen Gesang nicht zu mögen..."
"Der Hut?" erkundigte sich die Hexe verwirrt.
Morholt deutete mit spitzen Fingern auf den Beutel und flüsterte:
"Ja, der Hut - er ist da drin..."
"Ah ja ... und er mag keinen Gesang...", wiederholte
Crosideria kopfschüttelnd.
"Gebt mal her", sagte sie dann resolut und
riß dem Alchemisten den Lederbeutel aus der Hand. "Das werden wir
gleich haben!"
"Nein, nicht!"
Doch es war bereits zu spät. Die Hexe
öffnete das Säckchen und nahm den schwarzen Filzhut heraus. Doch
sie hatte nicht mit dessen Widerstand gerechnet. Der Hut hüpfte und
zog und zerrte mit einer Kraft, daß Crosideria ihn schließlich
loslassen mußte und nur noch zusehen konnte, wie er... schwupp...
auf den Kopf des Schwarzmagiers sauste.
Und da saß er fest.
Ya Coo Sa riß die Augen auf und machte
ein Gesicht, als hätte er sich eben in ein Brennesselgestrüpp
gesetzt - dann sprang er auf und begann, in atemberaubender Geschwindigkeit
auf die Saiten seiner Leiter einzudreschen und gleichzeitig aus vollem
Hals zu singen.
"Durch die Stra-haßen und die Ga-hassen...
kaum ein Auge kann ihn fa-hassen...", deklamierte er, "war er grad dort,
schon ist er da-haa... und niemand sieht, daß er da wa-har..."
Seine Augen wurden groß und größer,
während seine Gefährten ihn ungläubig anstarrten.
© by Sylvia
"Seine Finger sind schne-hell... und auch seine
Hand...", sang er eilig, "... er bewegt sich leise... und ist sehr gewa-handt..."
Ya Coo Sas Miene nahm langsam einen Ausdruck
schierer Verzweiflung an, doch er hörte nicht auf zu singen, wurde
nur immer noch schneller. "Der König der Straße, so wird er
gena-hannt... hiiilfe!"
"Was hat er?" fragte Webolo entgeistert, aber
er erntete nur ratlose Blicke.
"Werter Ya Coo Sa", versuchte Canerio den
singenden Magier zu beruhigen, "geht das nicht etwas langsamer?"
"Tief in einer Höhle si-hitzt... so helft
mir doch... lächelt drinnen ganz verschmi-hitzt", war die atemlose
Antwort. "Einen Topf voll Gold er hütet... der Hut, der Hut! ... willst
du ihn, ganz arg er wütet."
TaC hielt sich entsetzt die Ohren zu. Und
nicht nur wegen dem trommelnden Regen und den Donnerschlägen draußen.
"Da wird einem ja schwindlig bei diesem Tempo
- haltet ein, Magier!"
"Durch die Stra-haßen, durch die Ga-hassen
..."
"He!" protestierte Webolo und starrte fasziniert
auf die Finger des Magiers, die die Saiten kaum noch zu berühren schienen,
"das hatten wir schon mal!"
Ya Coo Sa verzog das Gesicht und sang und
sang. Immer wieder schüttelte er verzweifelt den Kopf und begann,
völlig durchgedreht in der engen Höhle hin- und her zu laufen.
"...denn zaubern kann er und auch flu-huchen...
so helft mir doch! ... wünscht dir Würmer in den Ku-huchen..."
"Das hat etwas mit dem Hut zu tun", rief Morholt.
"Schnell! Wir müssen ihm den Hut abnehmen!"
Der Schwarzmagier war inzwischen völlig
außer Atem. Singend und klampfend ging er vor der verblüfften
Crosideria in die Knie und sein Gesang nahm geradezu schmachtende Töne
an:
"...ein zartes Wesen... sanft und klein...
oh, verzeiht mir, Holdeste! ... leuchtet in die Nacht hinein... zu hiiiilfe!!"
Webolo klatschte hingerissen Applaus, während
Morholt, Canerio und Tac versuchten, Ya Coo Sa den Magierhut herunterzureißen.
"... denn reizt man ihn bei seiner Gie-hier...
nehmt mir diesen verdammten Hut ab! ... wird der Kobold schnell zum Tie-hier..."
In der Höhle entstand im Nu ein Handgemenge.
Der blonde Jüngling schlug mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf seine
Leier ein und sein Gesicht nahm bereits eine bläuliche Färbung
an, während Tac und die anderen beiden versuchten, ihn in eine Ecke
zu drängen. Canerio hechtete auf Ya Coo Sa und umklammerte seine Beine,
um ihn zu Fall zu bringen - und Morholt hängte sich ebenfalls mit
seinem ganzen Gewicht an ihn. Der unermüdlich weitersingende Magier
ging in einem Gewirr aus Armen und Beinen unter, wand sich wie ein Fisch
- doch der Hut saß eisern auf seinem Kopf fest.
Endlich erwischte Tac das verflixte Ding und
riß es herunter.
Keuchend, erschöpft und mit wunden Fingern
und völlig ausgetrockneter Kehle blieb Ya Coo Sa liegen.
"Wasser", ächzte er, "gebt mir einen
Schluck Wasser..."
Karni lief eilig herbei und brachte ihm etwas
zu trinken, während TaC und der Ritter mit vereinten Kräften
den rebellischen Hut in ein Fass stopften.
In diesem Augenblick erschien Khisanths Kopf
im Höhleneingang.
"Packt eure Sachen!" warnte er. "Schnell!
Die Möhren sind gleich da. Wir müssen weiter!"
In aller Eile löschten sie das Feuer,
packten ihre Ausrüstungsgegenstände zusammen und schleppten sie
nach draußen, um im strömenden Regen hastig den Ochsenkarren
zu beladen.
Die beiden Hexen hakten Ya Coo Sa unter, der
sich kaum auf den Beinen halten konnte, und schoben ihn mit vereinten Kräften
neben TaC auf den Kutschbock.
So schnell sie konnten verließen sie
den Wald und zogen weiter auf dem schmalen Pfad, der inzwischen mehr einem
Sumpf glich, Richtung Magierturm. Der Wind peitschte ihnen Regen in die
Gesichter und zerrte an den Umhängen, und Hansevogel war binnen Minuten
so tropfnass, daß er nicht mehr fliegen konnte und Zuflucht auf dem
Karren suchen mußte.
Blitze zuckten über den düsteren
Himmel und die Donnerschläge ließen den Erdboden erzittern,
der inzwischen durch den heftigen Regen völlig aufgeweicht war.
Eine ganze Weile zogen sie auf dem matschigen,
aufgeweichten Pfad dahin. Strohkopf mußte sich plagen, um den Karren
auf dem glitschigen Weg überhaupt vorwärts zu bringen. Die Hufe
der Pferde und des Kamels rutschten immer wieder ab, einmal wäre Orhima
beinahe gestürzt. Und immer näher kamen sie der Ruine von Reigamis
Turm.
Plötzlich sahen sie den Moordrachen, der
von seinem Erkundungsflug zurückkehrte, zwischen den dunklen Wolken
auftauchen.
"Da ist er ja wieder!" rief Webolo fröhlich
und winkte, aber beinahe im gleichen Augenblick blieb ihm einfach das Wort
im Halse stecken.
Denn hinter dem Moordrachen tauchte etwas
auf, das dem Knappen buchstäblich den Atem raubte: ein schwarzer Drache,
der gut und gern eineinhalb mal so groß war wie sein schuppiger Freund.
Und auf seinem Rücken saß Reigami.
Moordrache schien jedoch nicht zu bemerken,
was hinter seinem Rücken vorging. Der lautlose Flügelschlag des
fremden Drachen war in dem tosenden Sturm nicht zu hören.
"Oh, bei allen Göttern...."
Webolo winkte wie verrrückt und versuchte,
ihm Zeichen zu geben. Er sah, wie Moordrache grinste, wohl weil er meinte,
bei dem Gewinke handle es sich um Wiedersehensfreude.
Der schwarze Drache kam näher und näher.
Alle Augen waren gen Himmel gerichtet, als
der Schwarzgeschuppte Moordrache die Klauen in den Rücken hieb.
© by Sylvia
Er schrie auf vor Schmerz, wirbelte herum,
starrte entsetzt auf den dunklen Koloss, der mit der Pranke ausholte, um
ihm den Flügel zu zerfetzen.
Fassungslos starrten sie hinauf in den Himmel,
hörten Reigamis schrilles, abgrundtief böses Gelächter durch
den Sturm dringen und mußten hilflos mit ansehen, wie Moordrache
hoch droben zwischen den Wolken ins Trudeln geriet, wankte... und dann
wie ein Stein nach unten auf den Boden zusauste.
Webolo schlug sich die Hände vors Gesicht
und sein verzweifelter Schrei gellte durch den Regen:
"Oh nein - Mooooooordracheeeee ....."
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