Der Prophet und der Totengräber von Matthias Wruck
Kapitel 2

Bargum war eine überraschend sauber aussehende Stadt. Und: schon von Weitem konnte er ein geradezu gigantisches Kloster erkennen, das auf einem Hügel am Rand der Stadtmauer thronte.
Die Stimme in seinem Kopf schnaubte verärgert.
"Das hier war einmal das Zentrum meiner Kirche. Kein einziges Kloster dieser Größe haben sie mir jemals wieder gebaut."
"Klingt fast so, als seiest du ein bißchen enttäuscht, oder irre ich mich da?"
"Nein..."
"Aber?"
"Ich bin ein Gott der Bauern geworden. Nur noch die Totengräber auf dem Land glauben noch wirklich an mich, sonst denkt niemand an mich, es sei denn, sie hätten einen Todesfall in der Familie."
Joro hatte einen Geistesblitz.
"Könnte es sein, daß du gesagt hast, daß ich etwas Besonderes sein soll, weil du etwas an dieser Situation ändern möchtest?"
Celestus schwieg eine Weile.
"Nein. Weißt du, ich mag die Menschen eigentlich ganz gerne, aber ich glaube nicht, daß Götter die Welt der Sterblichen aktiv mitgestalten sollten. Ich habe meine Existenz einmal selbst als Mensch begonnen, mußt du wissen."
Joro war überrascht.
"Du bist aszendiert?"
"Ja, das ist schon einige Jahrhunderte her. Woher kennt ein Bauernjunge das Wort "aszendiert"?"
Joro überging das. Er hatte Legenden gehört, vornehmlich von seinem Großvater, der schon vor Jahren gestorben war. Darin hatte dieser ihm erzählt, daß ein Mensch unter gewissen Umständen, so sich genug Leute fänden, die glaubten, daß er die Macht dazu habe, gewisse Dinge zu tun, noch zu Lebzeiten oder nach seinem Tode in den Rang der Götter aufsteigen konnte. Aber Legenden waren eben Legenden, oder?
Celestus mischte sich in seine Gedanken ein.
"Legenden haben immer einen wahren Kern, Joro. Ich war ein einfacher Mann, der unter widrigen Umständen zum Totengräber seines Dorfes wurde. Schon damals bestand diese Welt nur aus Leid und Kriegen und ich bekam in jenen Jahren mehr und mehr zu tun. Krankheiten, Überfälle... die ganze Palette. Irgendwie kam es dazu, daß auch die Menschen aus den Nachbardörfern zu mir kamen, um ihre Toten von mir unter die Erde bringen zu lassen, es mußte sich wohl herumgesprochen haben, daß ich das besonders gut konnte... Obwohl ich immernoch eher glaube, daß es bloß niemand anders machen wollte."
Joro war zugegebenerweise erstaunt, daß er da stand und sich die Lebensgeschichte eines höheren Wesens anhörte. Er nahm jedoch an, daß Celestus seinen Grund dafür hatte, ihm diese Dinge zu erzählen.
"Langweile ich dich?"
"Nein, verzeih mir. Aber ich frage mich, worauf du hinaus willst."
"Dann hör mir halt zu. Also. Eines Tages war ich plötzlich tot. Ich weiß nicht, wie es geschehen ist, aber von einem Moment auf den nächsten war ich auf einmal von völliger Finsternis umgeben. Und ich hörte Stimmen, von überall her, tausende. Ich konzentrierte mich auf diese Stimmen, versuchte sie zu verstehen und mit einem Mal fand ich mich über der Welt schwebend wieder."
Joro verstand auf einmal alles. Weil sich Celestus’ Ruf über eine große Fläche und Land verbreitet hatte, wurde sein Name immer wieder in Verbindung mit dem Begraben genannt, vielleicht war er sogar sprichwörtlich geworden. So hatte er ungewollt eine Funktion als Schutzpatron der Verstorbenen erlangt. Der Rest war klar.
"Du bist wirklich nicht gerade dumm für den Sohn eines Bauern, mein Kind."
"War es so?"
"Ja, ich nehme an, daß es genauso so vor sich ging. Ich begann also, mich um die Seelen der Toten zu kümmern. Und so setzte es sich immer weiter fort."
"Und heute bist du der Gott der Totengräber. Ich frage mich, ob so etwas wohl mit allen bedeutenden Menschen passiert."
Celestus klang unentschlossen.
"Ich glaube eher, daß so etwas nur sehr selten und unter sehr besonderen Umständen geschieht. Aber ich bin fern davon, mich zu beklagen, das kannst du mir glauben." Er kicherte.
"Und was war das jetzt mit den Göttern, das du mir am Anfang sagen wolltest?"
"Ach ja. Nun ja, ich habe niemals selbst an einen Gott geglaubt. Dementsprechend habe ich mich trotz der Tatsache, daß ich selber einer wurde, nicht von dem Standpunkt gelöst, daß ich der Meinung bin, daß Götter sich aus den Belangen der Menschen heraushalten sollten, es sei denn, die Menschen wünschen das. In erster Linie sollen sie doch für sich selber sorgen."
Joro verstand.
"Dann ist es jetzt aber seltsam, daß ich darauf warten muß, daß du mir sagst, was ich tun soll. Oder daß du überhaupt von mir wolltest, daß ich einer deiner Priester werde."
"Ich habe meine Gründe, die du in der Zukunft mit Sicherheit verstehen wirst. Als Erstes möchte ich von dir, daß du einen Gnadenacker errichtest. Hier in Bargum."
"Äh, haben die hier nicht schon einen? Immerhin steht hier doch auch das riesige Kloster und... Moment! Genau das willst du, oder?"
"Du hast eine herrliche Begabung, das Offensichtliche festzustellen, Joro." Celestus lachte laut. "Geh zum Stadttor und suche nach einem Ork, einem kleinen, dicken solchen. Der wird dir das geben, was du brauchst."
"Ausgerechnet ein Ork?"
"Ist daran etwas auszusetzen?"
"Äh, ich denke nicht."
"Dann ist es ja gut. Und jetzt geh!"
Die Gruppe hatte das Stadttor erreicht. Joro unterrichtete Pentos davon, daß er dort bleiben müsse und dieser verabschiedete sich von ihm.
Nun stand er da wie die Ölgötzen und wartete. Kurz bevor er soweit war, wieder zu gehen, stand plötzlich ein Ork vor ihm, in der Tat ein kleiner und sehr, sehr dicker.
"Du Joro?"
"Jupp, du bist der Ork?"
"Genau! Du nehmen, hier!"
Der grüne, dicke und nicht gerade gut riechende kleine Humanoide reichte ihm eine verschmutzte Pranke mit einem noch schmutzigeren Fetzen Pergament entgegen. Die Zeichen darauf waren beim besten Willen nicht zu erkennen.
"Mein Hof. Ich gehen zurück hause. Dunkler Mann gesagt du brauchen jetzt. Tschüß."
Der Ork wandte sich zum Gehen.
"Moment mal, wo ist denn dein Hof überhaupt?"
"Da hinten auf Hügel. Mann gesagt ich putzen und leerräumen, also ich getan. War sehr streng mit mir..."
"Oh, gut, danke."
Während der Ork sich endgültig vom Acker machte, sah Joro in Richtung des Hügels und konnte eine kleine Steinhütte darauf erkennen. Er seufzte und machte sich auf den Weg.
 
© Matthias Wruck
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Und schon geht es hier weiter zum 3. Kapitel...

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