Der Prophet und der Totengräber von Matthias Wruck
Kapitel 3

Der Hof war dreckig. Wenn der Ork tatsächlich geputzt hatte, wollte er nicht wissen, wie es vorher ausgesehen hatte. Oder vielleicht hatten Orks schlichtweg eine andere Auffassung davon, was Putzen bedeutete, in jedem Fall konnte er sich nicht vorstellen, wie dieses Gehöft einmal hatte dreckiger sein sollen als jetzt. Aber das war nicht der Zeitpunkt, sich mit so etwas aufzuhalten, er hatte immerhin eine Aufgabe zu erfüllen. Also krempelte er seine Ärmel hoch und machte sich daran, alles zu reinigen.

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Der Bischof von Bargum saß auf seinem Sessel und schaute gelangweilt auf die Dokumente, die vor ihm lagen. Er war ein fetter, alter Mann mit einer riesigen Warze auf der Stirn.
Die Tür ging auf und ein hagerer, ernst dreinblickender Mann mit einer schwarzen Kutte trat ein.
"Ich habe nun die Bestätigung, Eminenz. Dieser Mann begräbt in der Tat Tote im Namen unseres Herren."
"Tut er das wirklich im Namen des Herren oder behauptet er das nur." Der Bischof sah ihn prüfend an.
"Soweit ich das beurteilen kann, ist der Herr in der Tat mit ihm."
Der Dicke sprang auf und schlug auf den Tisch.
"Wenn das wahr ist, wieso hat er sich dann nicht an uns gewandt sondern direkt vor unserer Haustür einen zweiten Friedhof errichtet?! Müssen wir uns das etwa gefallen lassen?"
"Soll ich ihn anweisen, bei Euch vorstellig zu werden?"
Der Bischof sank zurück auf den Sessel. Der Wutanfall war zwar kurz gewesen, aber die unvermittelte Bewegung hatte ihn spontan ins Schwitzen gebracht.
"Ja! Tu das. Und sag ihm gleich, daß ich mehr als unzufrieden mit dem Geschehenen bin!"

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Der Ordinarius des Bischofs näherte sich dem kleinen Friedhof vor der Stadt, dessen Errichtung Joro fast drei Wochen gedauert hatte. Von dem dreckigen kleinen Bauernhof (Joro vermutete, daß der Ork dort Schweine gezüchtet hatte, aber er fand es nie wirklich heraus) war nichts mehr geblieben. Ein sauber gezogener schwarzer Holzzaun umspannte das Gelände, die Steinhütte war an der Außenmauer mit der roten Sichel des Celestus verziert und die vierzehn Gräber, die der Hof mittlerweile beherbergte waren ordentlich errichtet und sauber gehalten in einer geraden Reihe angeordnet.
Als er näher kam, sah er einen etwas dicklichen Mann mit langen Haaren, der in einer leicht verschmutzten schwarzen Robe vor der Hütte stand und Wasser aus dem Brunnen schöpfte, der auf dem Vorplatz der Behausung stand.
"Seid Ihr Joro Macun, der Priester?"
Der dickliche Mann wandte sich zu ihm um. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
"Ja, der bin ich, wie kann ich euch helfen?"
"Mein Name ist Justin, ich bin der Ordinarius der Oberhauptes der Celestuskirche, dem Bischof von Bargum."
Der Mann lächelte.
"Na, was für eine Überraschung, ich habe bereits erwartet, daß eines Tages einer von euch zu mir kommt. Tretet ein!" Er wies auf die Tür der Hütte.
"Ich bin nicht hier, um mit Euch zu plaudern, Macun. Der Bischof wünscht Euch sofort zu sehen und er ist nicht gerade fröhlich gestimmt!"
Macun schien zu warten und zu lauschen.
"Nein. Nein, ich fürchte, daß ich dem nicht nachkommen kann, werter Justin. Der Friedhof geht vor und der Herr hat mir soeben gesagt, daß ich zuerst mein Tagewerk verrichten soll bevor ich etwas anderes tue. Aber vielleicht wollt ihr mir ja helfen, dann könnte ich eher zum Bischof gehen..."
Der Ordinarius war sichtlich empört.
"Was glaubt ihr eigentlich... Ihr versteht scheinbar nicht, was ich Euch sage..."
"Doch, doch, ich verstehe Euch völlig. Aber ich muß leider darauf bestehen, daß ich zunächst meine Arbeit zu Ende führe. Der Bischof muß also wohl oder übel warten."
Es wunderte Joro nicht im Geringsten, daß der Bürokrat vor ihm entrüstet schnaubte und dann herumfuhr und sich bereit machte zu gehen. Noch während dieser losstapfte, presste er ein "Das wirst du noch bereuen, Bauer" hervor.
"Sagt dem Bischof, daß meine Arbeit hier diejenige ist, die eigentlich die SEINE ist. Wenn er herkommt und mir hilft, werde ich gerne mit ihm reden!", rief er ihm hinterher.
Der Ordinarius schnaubte erneut, sagte aber nichts mehr und eilte nur davon.

Zwei Monate lang geschah nichts. Während Joro täglich seiner Arbeit nachging und nicht gerade wenig Zulauf hatte.
Als er eines Tages erwacht war und sich gerade angezogen hatte, hörte er draußen mit einem Mal einigen Lärm. Er wunderte sich, denn es war noch sehr früh, die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen und draußen vor seiner Hütte war plötzlich lautes Stimmengewirr zu hören.
Seit dem unrühmlichen Besuch Justins war von dem Kloster über der Stadt nichts mehr verlautet. Der Winter war zwar schon fast vorbei, aber ehrlich gesagt hatte Joro so oder so nach wie vor mehr mit Bodenfrost und Eiszapfen am Zaun zu kämpfen gehabt, als daß er sich um die Belange eines ominösen Bischofs hätte kümmern können. Vor dem Einsetzen des kompletten Frostes hatte er noch so viele Gräber ausgehoben, wie ihm sinnvoll erschienen war, und das waren nicht gerade wenige, denn der Zulauf, den er hatte, war immens. Dabei hatte er nie für sich geworben. Die Leute waren einfach von sich aus zu ihm gekommen, zunächst wenige, dann immer mehr, ohne daß er je irgendjemandem angeboten hatte, einen Angehörigen zu begraben.
Jetzt waren schon 49 Gräber belegt und er hatte zusehends Probleme, die alltäglichen Arbeiten alleine zu erledigen. Zudem war es immernoch fast den ganzen Tag dunkel, die Frühlingssonnwende kam näher, aber hier im Norden bedeutete das, daß die Tage trotzdem noch reichlich kurz waren.
Was nun den Lärm anging - irgendwie wußte er instinktiv, daß es etwas mit dem Bischof zu tun haben mußte. Er setzte seine Maske auf und trat vor die Tür.

Draußen standen gut ein Dutzend Soldaten. Sie umringten einen Schlitten, auf dem ein unglaublich fetter, hässlicher Mann in einer schwarzen Kutte mit goldverbrämten Säumen saß. Umso erstaunlicher war allerdings, daß der Friedhof von einer Unmenge an Menschen umringt war.
Der dicke Mann sah ihn missmutig und offensichtlich verärgert an.
Joro fühlte einen trotzigen Zorn in sich aufsteigen, denn er ahnte schon, daß etwas geschehen würde, das gegen ihn gerichtet sein würde.
"Nun, was wollt Ihr von mir?"
"Ich bin der Bischof dieser Stadt und das Oberhaupt der Kirche, von der du behauptest, ihr anzugehören."
"Behauptest?"
Der Bischof überging ihn.
"Ich bin hergekommen, um deinem Treiben hier ein Ende zu setzen. Du hast die Unverschämtheit besessen, hier, direkt vor unserer Haustür dein Lager aufzuschlagen, zu arbeiten und zu predigen in unserem Namen, ohne dafür jemals eine Erlaubnis eingeholt zu haben. Und trotz der Tatsache, daß wir sogar so gnädig waren und dich freundlich aufgefordert haben, bei uns vorstellig zu werden, hast du uns fortwährend ignoriert. Das kann und werde ich nicht mehr dulden."
Die Stimme in Joros Kopf meldete sich mit einem eiskalten Unterton zu Wort.
"Hast du ein Problem damit, jemanden zu töten?"
"Wie meinst du das?"
"Es könnte sein, daß das in Kürze notwendig werden wird."
Der Bischof richtete sich in seinem Sitz auf und verkündete:
"Joro Macun, ich bestimme hiermit im Namen der einigen Celestuskirche...", Celestus rief ein "HA!" in Joros Kopf, und es klang fast wie Erbrechen, "...daß du hier und jetzt deiner Verfehlungen gegenüber der Gemeinschaft der Totengräber wegen ein Ende finden sollst."
Er gab den Soldaten ein Zeichen.
Joro war vor Entsetzen wie gelähmt.
Als die Bewaffneten auf ihn zugestürmt kamen, brach er aus seiner Erstarrung und streckte den ersten mit dem Spaten nieder, den er instinktiv aus einem Erdhaufen vor sich zog. Dieser zerbrach beim Aufschlag und Joro griff ebenso gedankenlos den Hammer an seinem Gürtel und zog ihn aus der Schlaufe. Er wich dem nächsten Soldaten aus und schlug ihm mit dem Hammer auf die Seite des Kopfes, womit er ihm den Schädel zertrümmerte.
Dabei hatte er begonnen, ein Stoßgebet zu sprechen, denn die Todesangst kroch ihm die Knochen hoch, was von Celestus mit einem "jaja, ich weiß, mach halt weiter!" quittiert wurde.
Der Schlag eines weiteren Soldaten, von denen ihn mittlerweile vier umringt hatten und der ihn eigentlich hätte treffen müssen, prallte kurz bevor er ihn erreichte von einer unsichtbaren Wand ab.
Joro fühlte, wie sich seine Glieder mit unglaublicher Stärke füllten und mit neuem Mut beseelt machte er sich daran, sich seine Gegner einen nach dem anderen vorzunehmen. Doch er war eben kein ausgebildeter Kämpfer und mit einem Mal duckte sich einer seiner Gegenüber unter einem Schlag durch, wischte seinen Hammer beiseite und setzte ihm die Schwertspitze an den Hals.
Der Bischof, sichtlich gezeichnet von dem zunächst unvorteilhaft erscheinenden Kampfausgang, grinste nun triumphierend aus seinem fetten, verschwitzten Gesicht.
"Nun, das war es dann wohl, tö..." Weiter kam er nicht.
Eine schwarz belederte Hand hatte seinen Kopf bei den Haaren ergriffen und zog ihn nach hinten. Eine andere hielt ihm einen Dolch aus leicht violett schimmerndem, dunklen Metall an die Kehle, auf dem rote Runen bedrohlich leuchteten.
Eine leise Stimme hinter ihm sagte:
"Vielleicht solltest du das noch einmal überdenken..."
Der Bischof schwitzte noch mehr.
"L...laßt ihn los! Sofort!"
Der Soldat ließ zögerlich die Schwertspitze von Joros Hals niedersinken. Dieser schoß vorwärts und schlug ihm mit dem Hammer die Stirn ein. Die anderen drei Soldaten verließ jeglicher Kampfesmut und rannten in Panik davon.
Hinter dem Bischof kicherte es leise und die Stimme, die zu den Händen gehörte, sagte mit einem bitterbösen Unterton:
"Danke für die Kooperation, ich denke, wir brauchen dich jetzt nicht mehr."
Der Dolch glitt durch die fetten Halsfalten und ein Strom aus Blut brach daraus hervor. Der fette Mann brach zusammen.
Während der Ordinarius dem Schlittenführer mit hysterischem Kreischen antrieb, loszufahren, setzte sich auch die Menschenmenge, die zugesehen hatte, in heilloser Panik in Bewegung, um dem Schrecken zu entkommen.
Während der Schlitten davonraste, sprang eine kleine, dunkel gewandete Gestalt herunter und steckte den Dolch weg, den sie eben noch benutzt hatte. Sie kam auf Joro zu und nahm die Kapuze ab.
Es war Dinin.
"D-du?"
"Ja, ich. Man befahl mir, dich in Sicherheit zu bringen."
"Wie, wer? Was soll das heißen?"
"Ich bin ein Diener der Eilistraee, der dunklen Maid. Dein Gott hat sie um Hilfe gebeten und meine Herrin hat zugestimmt. Folge mir."
Joro war mal wieder komplett verwirrt.
"Aber... der Friedhof... ich kann doch nicht einfach so..."
"Wenn die wiederkommen, kannst du ziemlich schnell gar nichts mehr. Oder meinst du, daß es denen egal ist, daß ein abtrünniger Priester und ein Drow gerade das Oberhaupt ihrer Kirche getötet haben?"
Dem konnte er sich nicht verschließen. Dennoch war ihm nicht klar, warum Celestus ihn dann überhaupt hier hergebracht hatte. Der Konflikt mit dem Bischof und seiner sogenannten Kirche war ja auch für einen sehr blinden, sehr dummen Mann mehr als offensichtlich gewesen.
Celestus selbst unterbrach seinen Gedankenfluß, indem er mit einem Male vor ihm stand.
Dinin verbeugte sich tief und der dunkle Mann nickte ihm zu.
"Joro, geh mit ihm. Mach’ dir keine Gedanken über den Friedhof, der hatte seinen Zweck und den hat er auch erfüllt. Ich wollte sehen, ob du bereit bist, deinen Platz bei mir einzunehmen und die Arbeit, die du hier geleistet hast, war mehr als zufriedenstellend. Geh jetzt."
Dinin wies ihnm, etwas hektisch, an, zu gehen und Joro folgte.
 

© Matthias Wruck
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Und schon geht es hier weiter zum 4. Kapitel...

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