Joro Macun war alles andere als ein geduldiger Mensch. Dazu kam
noch erschwerend, daß er jemand war, der Probleme damit hatte, etwas
zu tun ohne den Sinn davon zu verstehen oder vorher ausreichend erklärt
bekommen zu haben. Dementsprechend waren die Vorkommnisse in Bargum im
Nachhinein betrachtet mehr als fragwürdig für ihn und während
er hinter dem Dunkelelfen herstapfte, haderte er auf massive Weise mit
seinem Schicksal.
Dinin hatte schnell erkannt, daß der Mensch, der jetzt in
seiner Obhut war, alles andere als einfach war, aber er hatte Vorbehalte,
ihn darauf anzusprechen.
Der junge Mann stapfte jetzt seit Tagen hinter ihm her und murmelte
unverständlichen Kram vor sich hin, aß nur wenig und schleppte
sich nicht sehr koordiniert durch die Gegend. Aber irgendwann riß
ihm der Geduldsfaden und er hielt ihn an.
"Was ist eigentlich dein Problem, Mensch?"
Joro sah ihn verdutzt an.
"Was meinst du?"
"Seitdem wir unterwegs sind, scheinst du die ganze Zeit über
etwas zu grübeln. Du ißt nichts und ich mache mir langsam Sorgen
um deine Verfassung. Da wo wir hingehen wird es noch kälter sein und
da kannst du jedes Bißchen Kraft brauchen."
Der junge Priester schien kurz zu überlegen, was er antworten
sollte, dann sah er Dinin herausfordernd an.
"Ich nehme einmal stark an, daß du in dem Moment, in dem ich
dich vor Pentos gerettet habe, schon wusstest, daß dies hier eines
Tages geschehen würde, oder?"
Der Drow drugste herum.
"Naja, ich wußte zu dem Zeitpunkt immerhin schon wer du bist."
"Aha?"
"Aber ich hatte keine Ahnung was genau passieren würde."
Joro schien ihm gar nicht zuzuhören.
"Genau damit fängt es doch schon an! Seitdem ich Celestus
geschworen habe, ihm zu dienen, ist mein ganzes Leben praktisch ohne mein
Zutun verlaufen und ich habe das Gefühl, daß hier jeder über
alles Bescheid weiß außer mir!" Er trat einen Ast vom
Weg.
Dinin kratzte sich am Kinn.
"Naja, du hast wahrscheinlich Recht, was deine Gefühle diesbezüglich
angeht, aber ich denke, daß Celestus sichergehen wollte, daß
du auch für das taugst, was du einmal für ihn tun sollst. Ich
denke, es war ein Weg zur Vertrauensfindung."
Darauf wußte Joro nichts zu antworten. Nicht ohne ein Schmunzeln
bemerkte Dinin, daß sich seine Haltung im Folgenden noch nachdenklicher
gestaltete und der junge Mensch irgendwie noch mehr grübelte. Doch
keine zwei Meilen später reckte er sich plötzlich und er konnte
ein Feuer in seinen Augen sehen.
"Weißt du was, Dinin?"
"Nein, was denn?"
"Wenn Celestus sagt, daß es richtig ist, dann ist es das eben
auch. Warum soll ich mir krampfhaft Gedanken machen, was mit mir geschehen
soll? Mehr als Sterben kann mir in dieser Welt sowieso nicht mehr geschehen
und das hab ich immerhin schon hinter mir, oder?"
Dinin wußte es besser, aber er entschied sich, Joros neuen,
aufgeweckteren Zustand nicht gefährden zu wollen. Stattdessen nickte
er und sie gingen weiter, wobei sie langsam aber sicher miteinander ins
Gespräch kamen.
__
Wer war eigentlich dieser Dinin? Joro wußte auch noch lange
Zeit danach nicht wirklich viel über ihn, da sich der Drow prinzipiell
in Schweigen hüllte, was seine Vergangenheit anging.
Der Drow war ein für einen Dunkelelfen mittelgroßer Mann
von etwa 1,20m. Er hatte schulterlange, natürlich schneeweiße
Haare, die er gewöhnlich im Nacken zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden
hielt. Joro war schon sehr schnell aufgefallen, daß er wesentlich
älter sein musste, als er auf den ersten Blick schien. Aber das konnte
man bei diesem Volk ja sowieso nie vom rein optischen festlegen. Die Augen
waren die einzige Quelle, die halbwegs sicher zeigte, wie alt ein Drow
wirklich war. Was ihm allerdings auffiel, war, daß dieser Dunkelelf
nicht so zu sein schien, wie er es gedacht hatte. Er schien beinahe...
freundlich?
__
"...und so kam es, daß ich endlich an der Oberfläche ankam
und die Mondgöttin mich an sich nahm, um mich zu retten, während
ich blind war von der Sonne."
Die Lebensgeschichte Dinins hatte aus etwa drei Sätzen bestanden
und nicht wirklich etwas preisgegeben, aber Joro nahm an, daß es
für einen Drow ein geradezu offenes Geständnis gewesen sein mußte.
Er hatte ihm im Gegenzug erzählt, wie er auf dem Bauernhof
seines Vaters aufgewachsen war und wie vor einem halben Jahr die marodierenden
Horden des Drowkönigs Welverin den Hof niedergebrannt und alle seine
Verwandten ermordet hatten. Nachdem er seine Berufung ebenfalls erzählt
hatte, starrte ihn Dinin wirklich erstaunt an.
"Du mußt deinem Gott wirklich vertrauen, wenn du jetzt wirklich
mit mir mitgehst. Du hättest jeden Grund auf dieser Welt, mich auf
der Stelle töten zu wollen."
"Und warum? Hast du meine Eltern und meine Geschwister verbrannt?
Wenn ich dich umbringe, bekomme ich sie dann wieder?"
"Glaubst du, daß Rache eine rationale Sache ist?"
"Nein, aber du warst mir gegenüber sehr freundlich. Außerdem
hat Celestus bestätigt, daß du seinen Willen tust, soll ich
glauben, daß er mich wieder aufstehen läßt nur um mich
wieder töten zu lassen?"
"Nagut, da hast du recht."
Eine Weile liefen sie nebeneinander auf dem immer steiler werdenden
Pfad, der offensichtlich in die nördlichen Berge führte, vor
sich hin.
"Sag mal, Dinin, wohin gehen wir eigentlich?"
"Zu einer Gemeinschaft der Göttin, die uns aufnehmen wird."
"Auch alles Dunkelelfen?"
Dinin grinste.
"Ich glaube, die sind alle recht harmlos, unsere Gottheit ist eine
des Tanzes und des Gesanges."
"So weit im Norden Dunkelelfen... Bist du dir da sicher?"
"Ja, sie nannte es eine 'Enklave', was auch immer das bedeuten soll."
Das Wort kannte Joro, aber er hielt sich mit klugscheißen
zurück und hielt lieber den Mund.
Nach ein paar weiteren Hügelketten kamen sie in ein Tal, in
dessen Mitte ein kleines Dorf stand.
Der Priester hob eine Augenbraue.
"Moment mal, da stimmt doch etwas nicht."
"Wieso?"
"Schau dich mal um. Was ist das weiße Zeug hier auf dem Boden?
Richtig, es ist Schnee."
"Ja und?"
"Schnee bringt normalerweise Kälte mit sich, was ja auch der
Fall ist, nicht wahr? Auch wenn ihr Drow nicht blau frieren könnt,
weil ihr sowieso schwarz seid, wird dir das nicht entgangen sein..."
"Du hörst dich wirklich gerne reden, oder? Komm mal zum Punkt,
Mann."
Joro wurde rot.
"Na ja... siehst du auch nur über einer einzigen Hütte
Rauch? Da unten brennt nicht ein einziger Kamin."
Dinin runzelte die Stirn.
"Hmm..."
"Was genau hat sie denn gesagt wonach du schauen sollst? Das hier
kann es ja wohl nicht sein, oder doch?"
"Nun, sie sagte es sei ein Dorf in den Bergen, das sehr abgelegen
sein soll", er blickte sich um, "und das sieht ziemlich abgelegen aus,
oder nicht?"
Jetzt runzelte Joro die Stirn.
"Aber irgendwas ist hier nicht in Ordnung. Die Hütten sind
in einwandfreiem Zustand aber nicht beheizt? Das ist mehr als seltsam."
"Laß uns doch erst einmal sehen, wie das ganze von Nahem aussieht.
Vielleicht gibt es eine Erklärung..."
Dinin setzte sich in Bewegung und Joro folgte ihm widerwillig.
Als sie die Hütten erreichten, stellten sie fest, daß
diese in der Tat perfekt gepflegt waren. An einigen Dachstühlen konnte
Joro sogar einige neue Spacken erkennen. Es waren aber nirgends Fußspuren
zu erkennen, die Räume zwischen den einzelnen Behausungen waren nicht
vom Schnee befreit und als er durch ein Fenster schaute, war der Innenraum
zu seinem Erstaunen komplett leer.
"Dinin..."
"Was?"
"Wenn das hier kein Ablenkungsmanöver darstellt, ist es definitiv
eine Falle..."
Hinter ihnen erscholl die Stimme einer Frau.
"Ganz genau! Und ich denke, wir, das heißt in diesem Moment
vornehmlich ich, fühlen uns alle etwas wohler, wenn ihr beiden
Jungs eure Waffen fallenlaßt."
Joro und Dinin fuhren herum und sahen auf einem der Hüttendächer
ein halbes Dutzend Drow stehen, die Armbrusten auf sie gerichtet hatten.
Den jungen Menschen traf der Schlag, als er deren Anführerin,
die zu ihnen gesprochen hatte, zum ersten Mal sah. Sie wirkte nicht allzu
freundlich, aber sie hatte etwas an sich, was ihn daran hinderte, fortzusehen.
Das schien ihr nicht zuzusagen, denn ihr Blick wurde eisig, als
sie den seinen traf, sie sagte aber nichts.
Ein Dunkelelf, der neben ihr stand, ein erstaunlich muskulöser
Mann mit einem kurz gestutzten Vollbart und straff nach hinten gebundenen
Haaren, winkte mit seiner erstaunlich großen Axt in ihre Richtung
und rief:
"Habt ihr nicht gehört, was die Priesterin sagt? Noch einmal
wird sie das nicht tun!"
Dinin trat vor Joro.
"Oloth pholor doss, Sharess! Wir sind im Dienste der Göttin
hier, wir suchen Unterschlupf in der Enklave!"
Das Gesicht der Priesterin nahm einen spöttischen Ausdruck
an.
"Du und die Kalkleiste da? Wer ist dieser Jabbuk?"
"Dieser Mensch hat den Namen Joro Macun und ist ein Priester des
Celestus. Er steht unter dem Schutz unserer Herrin."
Die Dunkelelfin schien in sich hinein zu lauschen und Joro vermutete,
daß es sich hierbei um einen ähnlichen Dialog handelte, wie
er ihn immer mit seinem Gott hielt.
Dann ließ sie ihre Armbrust sinken, wenn auch betont langsam.
Die anderen Drow taten es ihr gleich.
"Also ich weiß zwar nicht warum und es gefällt mir schon
gar nicht, aber ich werde euch beide hier willkommen heißen."
Dinin atmete hörbar auf, sie hob aber ihre Armbrust noch einmal.
"Ihr werdet uns folgen und zwar ohne Ärger zu machen, hört
ihr?"
Die beiden nickten heftig und sie sprang mit den anderen vom Hüttendach
herunter.
Joro starrte sie immernoch an. Sie war mindestens einen Kopf größer
als Dinin und hatte den typisch elfischen, schlanken Körperbau. Ihre
Haare waren zu einem riesigen Dutt im Nacken zusammengerollt und mußten
offen ohne Probleme fast bis zum Boden reichen. Ein Ellenbogen traf seine
Rippen.
"Hör bloß auf zu starren, Mann!" Dinin schaute ihn mit
einer Mischung aus Ärger und Sorge an.
Der Mensch blickte verschämt zu Boden und murmelte eine Entschuldigung.
Wortlos zog die ganze Truppe los und ging auf einen kleinen Flecken
Bergwald zu.
"Woher wußtest du, daß sie eine Priesterin ist?", flüsterte
Joro seinem Begleiter zu.
"Na das ist doch offensichtlich, sie hat das Mal auf der Stirn."
"Äh, hat sie das?"
"Oh... Verzeihung, du als Mensch kannst das ja nicht sehen..."
Natürlich. Drow konnten in völliger Dunkelheit sehen,
das hatte Joros Großvater einmal erzählt. Sie konnten scheinbar
besondere Arten Licht wahrnehmen, die den Augen der Menschen verborgen
blieben. Joro nahm an, daß das Mal auf der Stirn der Priesterin in
einer Farbe gemalt war, die nur auf eben diese Weise zu sehen war.
Sie erreichten den Wald und während der junge Mann so hinter
der Priesterin herstapfte, ertappte er sich dabei, wie er ihr kontinuierlich
auf den Hintern starrte.
Die beiden Rundungen, die sich da unter der Wildlederhose abzeichneten,
hatten etwas geradezu Magisches an sich, das ihn in seinen Bann zog.
Ein Schlag traf seinen Hinterkopf, Dinin sah ihn bitterböse
an.
"Ich habe gesagt, daß du das lassen sollst!", zischte
er, "oder willst du uns massiven Ärger einbringen?"
Mitten im Wald blieben sie, in der Nähe eines Berghanges, stehen,
als die Priesterin eine Hand hob. Sie sprach ein paar Worte in der Drowsprache
und der Berghang verschwand, nur um den Blick auf eine Plattform freizugeben,
die in die Steinwand eingelassen war. Auf deren Boden knisterten Zeichen
in einem hellblauen Licht. Sie wies alle an, sich daraufzustellen und sprach
noch ein paar Worte. Die Landschaft um sie herum verschwamm.
© Matthias
Wruck
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