"Hätten wir nicht Vierna fragen sollen, ob sie mitkommen möchte?",
frage Joro keuchend, während er hinter Dinin und Nalfein den Pfad
zum Portal hochstapfte.
"Joro?" Nalfein drehte sich zu ihm um und grinste ihn an.
"Ja, was?"
"Du bist verliebt, oder?"
Joro wurde rot.
"Ich, äh..."
Der Drow sah ihm sehr ernst blickend in die Augen.
"Glaub mir, ehe sich eine Drow mit einem Menschen einlässt,
muß schon eine ganze Menge geschehen. Nach meiner eigenen
Einschätzung halte ich es für völlig unmöglich."
Joro drugste herum und Dinin klopfte ihm lachend auf die Schulter.
"Ich kann dich ja verstehen. Sie ist ja nun nicht gerade hässlich,
aber Nalfein hat recht, ich würde mir an deiner Stelle nicht die größten
Hoffnungen machen. Drow und Menschen passen, was diese Dinge angeht, einfach
nicht zusammen."
Sie stapften eine Weile schweigend weiter. Doch Joro gab sich nicht
geschlagen.
"Wer weiß, ihr könnt es mir sowieso nicht ausreden..."
Dinin und Nalfein grinsten sich gegenseitig an, sagten aber beide
nichts mehr.
Durch das Portal ging es in den Wald und sie hatten bald die Lichtung
erreicht. Die Leichen der Hochelfen hatten die Drow fortgebracht, ihrer
Waffen und Rüstungen entledigt und sie in einiger Entfernung verbrannt.
Über die Blutlachen war bereits wieder frischer Schnee gefallen, so
daß außer ein paar abgebrochenen Pfeilen, die in den Bäumen
steckten, nichts mehr auf einen Kampf schließen ließ, der hier
stattgefunden haben mochte.
Tatsächlich jedoch lagen auf der Mitte des kleinen Platzes
zwei umgestürzte Steinsäulen, dank einer vom Wind umgeworfenen
alten Fichte, unter der sie lagen, waren sie kaum mit Schnee bedeckt.
"Und wie kommen wir da jetzt rein?" Nalfein schaute kritisch.
Joro lächelte. "Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit graben,
oder?"
Der Drow seufzte.
"Na, dann mal los."
Nalfein zerhackte mit seiner Axt die Fichte, dann schleppten sie
den abgetrennten Teil beiseite. Die kommenden zwei Stunden verbrachten
sie damit, Erde und Geröll beiseite zu schaffen. Dabei dankte Joro
innerlich seinem Gott, daß er die Dummheit, seine Schaufel nicht
mitzunehmen, nicht bereuen mußte, denn es lag kaum Erde auf dem Geröllhaufen,
der über dem Grab war.
Schließlich hatten sie eine große Steinplatte freigelegt.
Auf ihr war auf sehr eindringliche Art und Weise eine Warnung gemeißelt,
die stark davon abriet, sie zur Seite zu schaffen. Und das in drei verschiedenen
Sprachen.
"Ich glaub, die wollen nicht, daß wir das Grab öffnen,
laßt uns lieber nach Hause gehen", witzelte Dinin, nur um von Nalfein
einen Schlag an den Kopf zu bekommen.
"Red keinen Unsinn, überleg dir lieber mal, wie wir diese Platte
beiseite schaffen. Die wiegt bei ihrer Größe locker zehn Zentner."
Joro packte wortlos seinen Kriegshammer und schlug ihn mitten auf
das Steinquadrat.
Die Platte brach in zwei Hälften, die auf eine Treppe stürzten,
die darunter zum Vorschein kam. Ein Schwall eisiger, faulig-alt riechender
Luft kam ihnen entgegen.
Er sah Dinin und Nalfein an.
"Gehma?"
Nalfein holte seine Axt wieder vom Rücken und Dinin zog seine
beiden Dolche. Nalfein nickte.
"Gehma!"
___
Am unteren Ende der Treppe begann ein schmaler, in den Stein gehauener
Gang, der kaum mannshoch war. Joro mußte sich fast bücken, die
beiden Drow mit ihren knapp unter anderthalb Schritten Körpergröße
konnten aufrecht gehen.
Umständlich kletterten sie über die Reste der Steintafel
und gingen hinein.
Die Wände waren mit fluoreszierenden Pilzflechten überzogen,
die den Gang schwach erleuchteten, deshalb konnte Joro einigermaßen
gut sehen. Nach etlichen Schritten erreichten sie eine riesige, halbkugelförmige
Höhle. Sie mußte gut fünfzig Schritte Durchmesser haben,
wie Joro schätzte.
In ihrer Mitte stand auf einem kruden Steinpodest ein Thron, auf
dem jemand - oder etwas - saß. Gerüstet mit einer schwarzen
Vollrüstung hockten dort die Überreste einer Person, deren Gesichtszüge
nur noch vage 'menschlich' zu nennen waren. Das ehemalige Gesicht war mumifiziert
und wirkte haßverzerrt. Die Hände waren um die Armlehnen des
Thrones gekrallt und es wirkte so, als versuchte die Gestalt zu verhindern,
von seinem Sitzplatz herunterzurutschen.
Dinin grunzte hämisch.
"Da konnte sich jemand nicht mit seinem Ende abfinden, was?"
Joro bemerkte einen Hauch des Bösen in der Kammer.
"Sei vorsichtig, Dinin, wir sind hier nicht alleine..."
"Was meinst du, kommt gleich der böse Watz und ißt uns
alle auf?"
Der Priester schaute ihn verärgert an.
"Nein, aber hier ist etwas, und dieses Etwas ist uns nicht gerade
freundlich gesonnen."
Ein Flackern in der Luft und eine bläulich schimmernde Gestalt
manifestierte sich direkt neben dem Assassinen.
Dinin wich dem Schlag nur knapp aus und rollte sich über den
Boden ab.
Die anderen beiden hoben ihre Waffen.
"Wer seid ihr, was wollt ihr von mir?" Die Stimme klang wie Fingernägel,
die über eine Schiefertafel kratzten. Ohne eine Antwort abzuwarten,
griff die Gestalt wieder an.
Aber sie schien nicht auf Gegenwehr gefaßt gewesen zu sein.
Die magischen Klingen der Drow und Joros dunkler Hammer prasselten auf
die Erscheinung nieder, während die eigentlich materielose Essenz
des Geistes nicht dazu in der Lage war, ihre Deckung zu durchbrechen.
Mit einem Heulen aus Wut und Verzweiflung ging der Geist wieder
auf Distanz.
"Ihr könnt mich nicht zerstören! Meine Seele ist auf ewig
mit diesem Ort verbunden!"
"Zerstören vielleicht nicht, aber ich werde dich ein für
alle Mal von dieser Welt verbannen!"
Joro hielt verblüfft inne. Hatte er das gerade gesagt? Mußte
er wohl, also sollte er Worten Taten folgen lassen.
Er setzte seine Maske auf und hob seinen Hammer.
"Deine letzte Chance, diese Welt freiwillig zu verlassen ist jetzt,
Nuktu! Geh oder trage die Konsequenzen!"
Die Gestalt vor ihm wand sich in Schmerzen. "Niemals! Du kannst
mich gar nicht verbannen!"
Celestus’ Stimme klang ruhig und klar in Joros Kopf. "Doch, das
kannst du. Sein Wille hat ihn schon seit langer Zeit verlassen, er ist
in der Tat nur noch das, als was er erscheint: ein Schatten seiner früheren
Existenz."
Joro begann ein Gebet zu murmeln, und ging Schritt für Schritt
auf den Geist zu, den Hammer vor sich haltend.
Mit jedem Schritt, den er tat, flackerte die Gestalt auf und wurde
durchscheinender. Als sie die Wand der Kammer erreichten, war es nur noch
ein schwacher Lichtschein mitten in der Luft.
Nuktu begann zu wimmern.
Doch Joro wußte, daß es ein Ende finden mußte.
Er tat noch einen weiteren Schritt und legte den Hammer auf die Stirn des
haßverzerrten Gesichtes. Dessen Ausdruck änderte sich daraufhin
zu einem traurigen Ausdruck.
"Dann muß es wohl sein..." Irgendwie schien der ehemalige
böse Ritter fast ein bißchen nachdenklich auszusehen. "Wenn
ich dir einen Rat geben darf, junger Priester des Celestus, dann gehe nicht
die Wege, die ich beschritten habe. Laß dich nicht von der Macht
dazu verleiten vorschnell über andere zu urteilen."
Ein letztes Aufflackern und dann war es vorbei.
Für einen Moment war Joro noch wie gelähmt, dann hörte
er hinter sich jemanden anerkennend pfeifen.
Dinin und Nalfein standen neben dem Thron und der Zimmermann betrachtete
die Rüstung, die der Tote trug.
"Ich kann nicht behaupten, in meinem ganzen Leben jemals eine besser
gearbeitete Rüstung gesehen zu haben, als die hier. Wer auch immer
die gebaut hat, wird in seinem Leben vermutlich kaum ein besseres Stück
hergestellt haben."
Joro kam zu den beiden herüber um sich die Mumie selber anzusehen.
Die Rüstung war aus einem schwarzen Metall gefertigt, über
und über mit schwarzen Sicheln verziert, die im Schein der Pilze rötlich
schimmerten.
Es war ein kompletter Plattenharnisch, der nur an den Gelenkteilen
mit flexiblem Kettenzeug ausgestattet war. Statt einer Hose war der Beinteil
wie ein Rock geschnitten, Kriegsrobe nannte man diese Rüstungsbauweise
wohl.
Der Helm, ein Vollhelm aus dem selben schwarzen Metall und ebenfalls
mit Sicheln verziert, hatte eine Kronenrand. Bei genauerem Hinsehen fiel
ihm auf, daß sich im oberen Teil ein Visier befand, das scheinbar
beim Hochklappen im Helm selbst verschwand. Er klappte es herunter und
zu seiner Überraschung stellte er fest, daß das Visier exakt
genauso aussah wie seine Maske.
"Sieht so aus, als wärst du grade Besitzer einer sehr guten
und alten Rüstung geworden, Mensch", sagte Nalfein.
Irgendetwas in Joro fühlte sich nicht wohl damit, einer Leiche
die Rüstung zu stehlen. Auf der anderen Seite hatte er das Gefühl,
daß es dämlich wäre, sie nicht zu nutzen wenn sie schon
da war. Also begann er, mit den beiden Drow als Hilfe, die Mumie von der
Rüstung zu befreien.
Es überraschte ihn nicht im Geringsten, daß jeder einzelne
Teil der Rüstung wie angegossen paßte. Als er fertig mit dem
Anlegen war, zog er seine Robe über den Panzer. Ähnlich wie sein
Hammer schien die Rüstung, die nicht gerade dünn war, überhaupt
nichts zu wiegen. Sie lag auf seinem Körper wie eine zweite Haut und
schränkte seine Bewegungen praktisch gar nicht ein.
Die beiden Drow standen vor ihm und musterten ihn von oben bis unten.
"Gar nicht mal wenig beeindruckend." Dinin schien richtig begeistert
zu sein. Auch Nalfein, dessen Art ihm gegenüber ja normalerweise immer
etwas spöttisch oder manchmal gar reserviert erschien, konnte sich
eines Blickes der Bewunderung nicht erwehren.
Hinter dem Thron lehnte ein Turmschild, der so groß war, daß
sich Dinin, der von den beiden Dunkelelfen der kleinere war, locker dahinter
verstecken konnte. Er war gut anderthalb Schritte hoch und fast einen breit,
hatte eine rechteckige Grundform und war in sich gebogen, um sich um die
Seite des Benutzenden zu legen. Auf ihm prangte die rote Sichel des Celestus.
Joro hob es an und hielt es in Position, und auch der Schild war
scheinbar fast gewichtslos.
Wie er da so stand, mit einer dicken Schale von Metall umgeben,
fühlte er sich seltsam ruhig und sicher.
Da fiel ihm etwas ein.
"Der Hammer!"
"Ja, genau, was ist mit dem Hammer?" stimmte Nalfein zu, "der müßte
doch eigentlich auch hier sein oder nicht?"
"Also, wenn der hier ist, dann muß er versteckt sein,
außer dem Thron ist hier drin nichts", meinte Dinin.
"Vielleicht ist der Thron ja der Schlüssel..."
Die drei untersuchten den hölzernen Sessel eine Weile, bis
Dinin am unteren Ende der linken Armlehne einen kleinen Hebel entdeckte.
Als er diesen betätigte, setze sich der Thron mitsamt seinem Steinpodest
in Bewegung und fuhr nach hinten.
Eine Flut von Kälte durchzog den Raum und bedeckte sowohl
den Boden als auch den unteren Teil der Wände mit Reif. Joro bemerkte,
daß sein Atem plötzlich Wölkchen bildete.
Unter dem Thron war eine Mulde in den Boden eingelassen, aus der
es bläulich schimmerte. Joro trat heran und schaute hinein.
Auf einem Gestell aus gefrorenem Holz lag ein etwa armlanger Hammer,
dessen quaderförmiger Kopf aus einem blauen Kristall gefertigt war
und leuchtete in einem schwachen, blauen Licht. Er war gut eine Handbreit
im Durchmesser und zwei Handbreit lang. Der Stiel war aus dem selben Metall
gefertigt wie die Rüstung und hatte - selbstredend, wie Joro dachte
- die selben Sicheln darauf. Von seinem Kopf sanken kontinuierlich Schwaden
von Kälte herunter, ähnlich wie die Dunkelheit von Joros eigenem
Hammer.
Dieser war plötzlich verschwunden, wie er feststellte.
Die Stimme in seinem Kopf klang irgendwo zwischen erleichtert und
feierlich.
"Den alten brauchst du jetzt nicht mehr, nimm deine neue Waffe."
Joro griff nach dem Hammer, packte den Stiel in der Mitte und hob
die recht schwere Waffe aus der Mulde.
Seine beiden Begleiter standen neben ihm und blickten sehr ernst.
"Das ist wirklich ein ziemlich gefährliches Gerät, Joro",
sagte Dinin mit leicht besorgt klingender Stimme. "Ich glaube, daß
dieser Hammer ein unglaublich hohes Zerstörungspotential hat. Nur
gut, daß wir ihn gefunden haben und nicht die Hochelfen."
Nalfein nickte zustimmend.
"Das sehe ich genauso. Celestus hat gesagt, daß ein Duergar
diese Waffe geschmiedet hat. Man kann von Dunkelzwergen halten, was man
will, aber von der Schmiedekunst verstehen sie etwas. Sogar eine Menge."
Unschlüssig, was er darauf erwidern sollte, hing Joro den Hammer
erst einmal in die Gürtelschlaufe. An der Stelle wo der Kopf die Robe
berührte, gefror der Stoff mit einem Knirschen.
"Gehen wir?", fragte Dinin.
"Nein, ich muß noch etwas mitnehmen", erwiderte der Priester,
"nach all der Zeit hat dieser Mann ein ordentliches Begräbnis verdient."
Er begann, die Gebeine des Nuktu zusammenzusammeln, nahm seinen Umhang
ab und schnürte sie in ihm zu einem Bündel.
"Ich bin überrascht, daß du ihn mitnimmst, Mensch." Nalfein
sah ihn fragend an.
"Natürlich nehme ich ihn mit. Heute hat eine verwirrte
und leidende Seele endlich den Weg ins Nachleben gefunden. Sollen seine
Gebeine den selben Frieden finden."
Er nahm den Schild und hängte ihn in die Haken, die auf dem
Rücken der Rüstung dafür vorgesehen waren.
Dann verließen sie die Kammer und machten sich auf den Weg
zurück in die Enklave.
© Matthias
Wruck
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