Der Prophet und der Totengräber von Matthias Wruck |
Kapitel 10 |
Wieder in seiner Hütte angekommen, sank Joro erst einmal erschöpft auf sein Bett. Er hatte die Rüstung ausgezogen und neben den Kamin gelegt, der Hammer hing an der Wand, wo er eine kleine runde Eisfläche auf dem Putz bildete. Nalfein hatte ihm auf dem Rückweg versprochen, für Hammer, Rüstung und Schild Ständer zu bauen. Nach seinen Angaben würde das gut einen Tag dauern, bis dahin wollte sich Joro ein bißchen ausruhen. Außerdem lag ihm noch ein Stein auf der Brust. Am folgenden Tag stand das Sonnwendfest an und er wußte nicht, was er davon halten sollte. Die Rolle, die er hier spielte, war ihm immernoch nicht ganz klar und ihm war mulmig zumute, wenn er daran dachte, was ihn wohl erwartete. Ganz davon abgesehen waren seine Kenntnisse von dunkelelfischen Riten nicht gerade die besten, ihre Religion kannte er ebenfalls nicht ausreichend. Selbst ihre Sprache verstand er trotz seiner Herkunft als Daishani ausgesprochen schlecht, immerhin war Drow eine Hochsprache mit einer gehörigen Portion Komplexität. Dementsprechend dankbar war er für die Tatsache, daß zumindest Vierna, Nalfein und Dinin die Allgemeinsprache so gut beherrschten, Dinin hatte sogar einen leichten Daishaniakzent. An schlafen war irgendwie nicht zu denken, also stand Joro wieder auf, nahm sich ein Stück Schinken und einen Krug Bier. Da klopfte es. Paradoxerweise kamen immer alle zu ihm, wie ihm auffiel. Außer seiner eigenen Hütte, hatte er hier noch keine einzige andere Behausung von innen gesehen. Vielleicht auch so eine Drowangewohnheit, wer wußte das schon. "Herein, es ist offen!" Die Tür ging auf und herein kam - Vierna. Joro kippte vor Schreck fast vom Hocker. Hektisch sprang er auf und wies ihr unbeholfen einen Stuhl. "S...setz dich doch. Magst du etwas essen oder trinken?" Die Priesterin lächelte und verbeugte sich. "Oloth pholor doss, Joro Macun. Nein danke, ich habe bereits etwas gegessen, aber ich nehme gerne einen Becher Wasser." Unbeholfen, weil unsicher, holte Joro einen tönernen Krug und schöpfte etwas Wasser aus dem Schmelzwasserfaß vor der Tür. Dann stellte er ihn zusammen mit einem Trinkbecher auf den Tisch vor der Drow. Er grinste gequält. "Immerhin hast du mich dieses Mal nicht "Jabbuk" genannt, so wie damals als wir uns zum ersten Mal sahen." Sie lachte. "Das hast du dir gut gemerkt, was? Nein, ich würde niemals die Unhöflichkeit begehen, jemanden in seinem eigenen Haus zu beleidigen, während ich seine Gastfreundschaft in Anspruch nehme. Ich denke, das macht ihr Menschen doch auch nicht, oder?" "Nein, meistens nicht..." Vierna lachte wieder, sah ihn dann aber mit etwas ernsterem Gesichtsausdruck an. "Du wirst dich sicher fragen, weshalb ich hier bin, oder?" Joro nickte. Er fragte sich zwar auch, wie sie wohl ohne ihre Kleidung aussah, aber es erschien ihm irgendwie unpassend, das zu sagen. Sie schien zu überlegen, wie sie fortfahren sollte. "Ich habe vorhin mit Dinin gesprochen und er hat mir erzählt, was heute geschehen ist. Ich bin sehr beruhigt, daß diese Gegenstände sich jetzt in unserer Obhut befinden und nicht bei möglichen Feinden gelandet sind." Dabei sah sie zu Hammer und Rüstung herüber. "Celestus schien es wichtig zu sein, also haben wir sie geholt." "Das ist gut..." Beide schwiegen einen Moment lang. Dann erhob Vierna wieder die Stimme. "Wegen morgen..." "Ja?" "Wenn du möchtest, kannst du an unserem Fest teilnehmen." Die Art und Weise, wie das formuliert war, ließ darauf schließen, daß eine Teilnahme seinerseits mitnichten selbstverständlich gewesen war. Und wie er meinte Vierna zu kennen war er sich ziemlich sicher, daß sie sich mit den diesbezüglichen Gedanken sehr lange herumgeschlagen haben mußte. Es stellte sich ihm allerdings schon die Frage, was dazu geführt hatte, daß sie es sich anders überlegt hatte. "Wenn ich das darf, dann würde ich das auch gerne tun. Ich habe allerdings zu meiner Schande keinerlei Ahnung, wie ich mich dort verhalten soll. Vierna lachte laut. "Schau es dir einfach an, da gibt es nicht viel zu verstehen. Wir werden musizieren, tanzen und den Beginn des Frühlings feiern." Der plötzliche Ausbruch von Fröhlichkeit verunsicherte Joro vollends. Aber jetzt mußte er sich ein Herz fassen, weil er endlich Klarheit wollte. "Vierna?" "Ja?" "Ich muß dich etwas fragen, das mir sehr wichtig ist." Sie sah ihn, immernoch lächelnd an und hob eine Augenbraue. "Und was?" "Ich...ich möchte wissen, woran ich bei dir bin. Manchmal verhältst du dich mir gegenüber komplett abweisend, aber das ist nun schon das zweite Mal, daß wir beide allein sind und du erscheinst mir wieder einmal seltsam anders." Vierna sah ihn kritisch an und schien zu überlegen. "Ich weiß nicht", fuhr Joro fort, "ob du mich nun haßt oder nicht, ob du mich hier haben willst oder nicht..." Er rang nach weiteren Worten. Sie schien immernoch zu überlegen, was sie darauf antworten sollte, dann sah sie ihm direkt in die Augen und ein verschmitztes Lächeln huschte durch ihren rechten Mundwinkel. "Weißt du, Joro... du bist für mich eine ganz schön schwierige Angelegenheit." "Aber wieso? Nur weil ich ein Mensch bin?" "Nein. Es ist vielmehr so, daß sich in deiner Person eine ganze Reihe von Dingen summieren, die jeweils für sich genommen eine andere Behandlung erfordern." "Und das soll heißen?" "Nun ja,", fuhr sie fort, "Erstens bist du ein Mensch, wie du schon richtig sagst. Das heißt, daß ich natürlich vorbehalte habe, ob ein Zusammenleben mit dir an diesem Ort für dich und uns überhaupt funktionieren kann. Über den Punkt kann ich allerdings mittlerweile weitestgehend hinweg sehen, denn ich denke, daß du dich unter anderem durch die Freundschaft mit Dinin - und durchaus auch zum Teil mit Nalfein - relativ gut integriert hast." "Und Zweitens?" "Zweitens bin ich die Hohepriesterin dieser Gemeinschaft und muß daher zu allen in gewisser Hinsicht eine förmliche Distanz wahren, um meine Autorität zu schützen, wie du dir sicherlich denken kannst." "Und Drittens?" Vierna grinste ihn unverhohlen an. "Drittens bist du ganz offensichtlich horrend in mich verliebt." Joro traf der Schlag. Er wurde so rot, daß er seinen Herzschlag unter der Schädeldecke spürte. Verlegen sah er zu Boden. "Ist das wirklich so offensichtlich?" "Nun ja, du bist nicht einmal eine Woche hier und der ganze Ort tuschelt schon darüber." Joro schämte sich abartig. "Es tut mir leid, Vierna... Ich..." Sie lächelte ihn an. "Das muß dir doch nicht leid tun. Als Frau fühle ich mich ganz unglaublich geschmeichelt. Aber als Hohepriesterin kann ich mich dazu natürlich nicht äußern oder dadurch mein Verhalten beeinflussen lassen. Das mußt du verstehen." Der junge Mensch fühlte sich ganz matt und furchtbar. "Das heißt also am Ende, daß du nur nett zu mir sein kannst, wenn keiner der anderen zuschaut?" "Ja, ich fürchte das ist notwendig. Als Dinin mir vor einigen Jahrzehnten Avancen machte, habe ich das auch tun müssen." Joro war überrascht. "Dinin?" "Ja, vor etwa einhundert Jahren, vielleicht ein paar mehr, meinte Dinin für eine Weile, wir beide wären ein gutes Paar." "Und du auch?" "Nein, nicht wirklich. Dinin ist ein netter Kerl, aber er hat etwas an sich, das einem das Blut gefrieren läßt. Hast du ihm jemals in die Augen gesehen, wenn er jemanden tötet?" Das hatte Joro. Damals als Dinin den Hals des Bischofs von Bargum durchgeschnitten hatte, hatten seine Augen für einen Moment einen leeren, matten Glanz bekommen, als ob seine Seele für einen Augenblick von ihm gewichen war. Er nickte. "Dann weißt du auch, warum ich mich von ihm distanzierte. Damals fiel mir das auch nicht schwer..." Joro hatte den seltsamen Aufbau ihrer letzten Aussage sehr wohl bemerkt, aber er hielt sich selbst davon ab, nachzufragen. "Wenn ich dich mit meinem Verhalten in Bedrängnis bringe, dann werde ich versuchen mich etwas zurückzunehmen." Vierna schüttelte den Kopf. "Wir Jünger der dunklen Maid glauben an die Macht der Gefühle, Joro. Damit geht einher, daß man sich von seinem Herzen leiten lassen soll." "Und wie soll das gehen?", fragte Joro verzweifelt, "Wenn ich an dich denke, bekomme ich ein warmes Gefühl im Bauch. Wenn ich dich sehe, springt mir das Herz in der Brust und ich bekomme weiche Knie und zittrige Hände... Und dabei kenne ich dich erst seit drei Tagen..." Vierna gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen, stand auf und machte einen Schritt auf ihn zu. Sie beugte sich sanft zu ihm herunter und ihre Lippen legten sich für einen kurzen Augenblick auf die seinen. Ein leichter Geruch von Waldbeeren kroch in seine Nase. Joro wurde fast ohnmächtig. Sie richtete sich wieder auf und lächelte ihn an. "Nimm dich nicht zurück, Joro Macun. Ich habe niemals gesagt, daß ich dich nicht leiden kann." Sie wandte sich um und verließ die Hütte. Joro saß völlig benebelt auf seinem Stuhl und hatte eine
gewaltige Erektion.
Nachdem Dinin gegangen war, lag Joro noch eine Weile auf seinem Bett
starrte beim abnehmenden Licht des erlöschenden Kaminfeuers an die
Decke. Da kam vielleicht einiges auf ihn zu...
© Matthias
Wruck
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