Nach und nach stellten sich mehr Menschen auf dem Platz ein. Aus
allen Ecken dessen, was einmal eine kleine Stadt gewesen war, kamen Verwundete
oder Helfer, die verletzte Personen transportierten, gelaufen und brachten
sie zur Mitte des Platzes. Joro und Vierna gesellten sich zu den ortsansässigen
Heilern und halfen so gut sie konnten dabei, diejenigen, bei denen es noch
nicht zu spät war, wieder einigermaßen auf Vordermann zu bringen.
Dabei kamen immer wieder Leute zu ihnen, um sie mit Worten des Dankes
zu überhäufen.
Diese Form von Aufmerksamkeit war Joro mehr als unangenehm, deshalb
speiste er die meisten mit kurzen, freundlichen Sätzen ab und machte
sich dann wieder an die Arbeit.
Nalfein kam nach einer Weile bei den beiden vorbei.
"Wir haben vierzehn Mann verloren. Kein guter Tag...", er nahm einen
Schluck von seinem Hausschnaps.
"In Anbetracht der Tatsache, daß diese vierzehn mit ihrem
Tod mehreren Hunderten das Leben gerettet haben, erscheint das nicht viel",
überlegte Joro, "aber ich habe generell eine Abneigung dagegen, wenn
jemand sterben muss, egal ob Freund oder Feind."
"Die Ansicht wirst du nicht lange behalten. Nicht in dieser Welt
und nicht in dieser Zeit. Zumindest was die Feinde angeht."
Der Priester zurrte eine Armbinde über der Schulter eines der
Bogenschützen fest und stand von den Knien auf.
"Wir werden sehen. Was wird jetzt aus der Stadt?"
"Welche Stadt meinst du genau? Den Platz mit den verkohlten Holzbalken
hier?"
"Wieviel der Bewohner haben es überlebt?"
"Dinin und Tebryn, das ist einer der Späher, sagen, daß
sie etwa 250 gezählt haben."
"Immerhin..." Joro wischte sich den Schweiß aus der Stirn.
"Fragt sich nur noch, wo wir die unterbringen sollen, die Enklave ist reichlich
klein..."
Nalfein hob beide Hände und machte eine abwehrende Geste.
"Moooment mal. Was heißt hier 'wir' und 'unterbringen'?"
Der Priester legte den Kopf schief.
"Sag’ mal Herr Veldrin’Ssreen, wie stellst du dir das eigentlich
vor? Wir kommen her, hauen alle bösen, bösen Hochelfen tot und
verschwinden wieder? Und die Leute hier können derweil sehen, wo sie
bleiben?"
Obwohl ihm erst eine schnelle Antwort auf den Lippen lag, hielt
der Drow kurz inne und dachte nach.
Vierna kam herbei und wischte sich ihre blutigen Hände an einem
Stück Stoff ab, wobei sie ein böses Gesicht machte.
"Mir sind gerade noch zwei gestorben, worüber redet ihr?"
"Der feine Herr Anführer will hier einfach verschwinden und
diese Leute ihrem Schicksal überlassen", sagte Joro.
"Das stimmt ja nun nicht ganz", erwiderte Nalfein hastig, "Wir sollten
schon dafür sorgen, daß die Verwundeten versorgt werden, aber...
ich meine... wir können sie doch nicht aufnehmen..." Er schaute hilfesuchend
in Viernas Richtung, die prüfend zwischen beiden hin- und hersah.
"Joro hat recht, wir können sie jetzt nich allein lassen",
meinte sie, "aber wir sollten uns gut überlegen, was wir machen."
Das gefiel Nalfein nicht, was ihm anzusehen war. Aber er wollte
sich nicht vor der Verantwortung drücken.
"Vielleicht sollten wir dann mit Bregan reden", gab er zurück.
"Gute Idee."
Die drei gingen los, um den alten Mann zu suchen und fanden ihn bald,
in einer Gruppe von Jägern und Trappern stehend, die sich alle ernst
miteinander unterhielten.
Als er sie kommen sah, machte er die Umstehenden darauf aufmerksam.
"Seid willkommen! Ihr habt uns gerettet, auch wenn das in Anbetracht
des Zustandes unserer Häuser einen faden Beigeschmack hat."
Joro verzog das Gesicht.
"Ich denke da ganz genauso... Habt ihr euch schon alle Gedanken
darüber gemacht, was ihr nun tun sollt?"
Bregan schaute grimmig drein.
"Wir haben eine Menge Leute, die sich entschieden haben zu gehen.
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß diese arroganten
Mistbolzen wiederkommen werden. Eine derartige Niederlage wird ihrerseits
nicht ungesühnt bleiben."
"Und wo wollt ihr hin? Im Süden haben sie schon ganze Königreiche
überrannt. Oder wollt ihr auf den Ostkontinent übersetzen?"
Der alte Mann machte ein ächzendes Geräusch.
"Dafür wird hier kaum jemand die nötigen Mittel haben.
Glaube ja nicht, daß diese Idee nicht schon besprochen wurde. Aber
wo sollen wir auch hin?"
Joro sah fragend zu Vierna. Die schien nicht ganz sicher zu sein,
was sie dazu sagen sollte.
Sie richtete sich auf.
"Unser Heimatdorf wird so viele Neuankömmlinge kaum fassen
können. Aber vor dem Eingang unseres Dorfes gibt es ein sehr dichtes
Waldstück, in dem ihr zumindest fürs Erste gut aufgehoben sein
solltet." Sie hielt kurz inne und hob eine Augenbraue, fuhr dann aber fort:
"Zumindest seid ihr da sicherer als hier und wahrscheinlich sicherer als
in den meisten anderen Gegenden hier. Die Bäume stehen so dicht, daß
man von Luftschiffen nicht durch sie hindurchblicken kann."
Bregan kratzte seinen kurzen Bart.
"Nun..."
Er drehte sich zu den anderen Menschen um und fragte:
"Was haltet ihr von der Idee? Wenn die nochmal wieder kommen, können
wir jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können. Alleine als Gruppe
unterwegs nach wohin auch immer hätten die leichtes Spiel mit uns."
Die angesprochenen Männer und Frauen murmelten untereinander
und schienen sich schnell und heftig zu beraten.
Dann trat eine Frau um die Vierzig mit drahtigem Körperbau
aus ihrer Mitte und sagte: "Gut. Bis auf Weiteres ist das mit Sicherheit
die beste Lösung."
Die Beistehenden machten zustimmende Gesten und Geräusche.
Bregan wandte sich wieder Joro, Vierna und Nalfein zu.
"Es gilt. Ich danke Euch für diese Einladung, Priesterin."
"Dann sammelt alle zusammen, holt das, was von euren Habseligkeiten
nicht verbrannt ist und laßt uns so schnell es geht von hier verschwinden.
Wir haben keine Zeit zu verlieren."
Es dauerte immerhin noch zwei Stunden, bis alles erledigt war. Glücklicherweise
hatte Joro eine ganze Schar Helfer, die zusammen mit ihm Gräber aushoben
und die toten Einwohner Noths unter die Erde brachten.
Als der letzte Grabhügel geschlossen und der letzte Segen gesprochen
worden war, setzte sich ein großer Troß von Menschen und Dunkelelfen
in Richtung Enklave in Bewegung.
Natürlich kamen sie nur sehr schlecht voran. Es hatte leider
nicht ein einziges Pferd den Angriff der Legion überlebt, so mußten
alle Verletzten und auch alles, was an Hausrat noch zu gebrauchen war,
getragen werden. Jeder, der halbwegs aufrecht gehen konnte, half dabei,
zumindest einen Teil der Lasten mitzunehmen.
Knappe vier Stunden später waren sie endlich am Wald angekommen
und die Menschen begannen, zwischen den Bäumen ein notdürftiges
Lager zu errichten.
Joro hatte sich, völlig zerschlagen wie er war, auf einen umgefallenen
Baum gesetzt und schnaufte selbst einige Zeit später noch ein Bißchen.
Nalfein und Dinin, beide auch schwer gezeichnet von den Anstrengungen,
gesellten sich zu ihm.
Nalfein holte unter Ächzen und Stöhnen seine Pfeife unter
seiner Rüstung hervor und stopfte sie.
Joro sah ihn ungläubig an.
"Du hast wirklich deine Pfeife mitgenommen?"
Der Drow zuckte mit den Achseln.
"Wieso denn nicht? Wenn ich noch Platz im Wams habe ist da doch
nichts gegen einzuwenden?"
"Er braucht halt immer mal wieder etwas, woran er nuckeln kann,
das nimmt ihm Aggressionen", kicherte Dinin, was ihm allerdings so starke
Muskelschmerzen machte, daß das Grinsen schnell schmerzerfüllt
aussah.
Nalfein entgegnete nichts, sondern ging zu einem nahen Lagerfeuer,
um sich mit einem Stückchen Holz den Tabak zu entzünden.
Er kam zurück und setzte sich wieder auf den Stamm.
"Wenigstens muß man ihnen nicht erzählen, wie sie sich
unauffällig zu verhalten haben. Als Fallensteller und Jäger wissen
sie, wie das geht."
Joro nickte.
"Das ist ein großer Vorteil. Aber langfristig müssen
wir uns eine andere Lösung einfallen lassen."
"Stimmt. Aber nicht mehr heute. Ich freue mich auf ein Essen, ein
Bier und meine Ruhe."
Vierna kam an ihnen vorbeigelaufen, einige blutige Bandagen in der
Hand, lächelte ihnen freundlich zu und lief dann weiter.
Die drei sahen ihr nach - einige von ihnen mit sehr unterschiedlichen
Gefühlen - und starrten dann wieder alle sinnierend vor sich hin.
"Sollten wir ihr nicht helfen?", fragte Joro.
Dinin lachte.
"Kannst du aufstehen ohne das Gefühl zu haben, daß du
tot umfallen wirst?"
Der Priester schüttelte den Kopf.
"Ich schaffe es wahrscheinlich nicht einmal in meine Hütte,
ohne getragen zu werden."
"Das kannst du vergessen", meinte Nalfein, "ich habe schon Wildschweine
getragen, die so schwer waren wie du es bist. Das mache ich jetzt ganz
bestimmt nicht."
Joro übersah den kränkenden Vergleich.
"Ich frage mich, wie sie das macht."
"Du mußt noch viel über Drowfrauen lernen, Joro", erwiderte
Nalfein. "Unter anderem, daß sie niemals Schwäche zeigen, egal
wie schlimm es um sie steht. Du kannst dir sicher sein, daß du sie
morgen nicht zu Gesicht bekommen wirst, weil sie die ganze Zeit stöhnend
und keuchend in ihrem Bett liegen wird."
Die Vorstellung war nicht gerade positiv, vermutlich meldete sich
da sein Beschützerinstinkt.
"Ich kann mir denken warum, aber ich glaube nicht, daß ich
das verstehe."
Dinin klopfte ihm auf die Schulter.
"Dunkelelfen sind schon komische Käuze, was?"
"Einer auf jeden Fall."
"Pfft."
Eine jüngere Frau kam zu ihnen herüber. Sie hatte offenbar
geweint, denn ihr standen immernoch Tränen in den Augen.
"Herr Totengräber, ich fürchte wir brauchen noch einmal
Eure Dienste."
Auch wenn ihm sein Körper sagte, daß das keine
gute Idee war, meldete ihm sein Sinn für Verantwortung, daß
es keine Frage gab.
So quälte er sich von dem Baumstamm herunter und folgte der
Frau.
© Matthias
Wruck
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