Als er wieder erwachte, es mußte wohl Morgen sein, war sein
Bett bis auf ihn selbst leer. Das machte ihm ein Gefühl des Verlustes,
aber die Tatsache, daß Vierna mit ihm zusammen eingeschlafen war,
war schon Grund genug, sich insgesamt wohl zu fühlen.
Er begann sich anzuziehen und trat schließlich vor die Tür.
Der Gang war leer, also ging er zu Nalfeins Zimmer herüber und klopfte
leise.
Die Tür ging einen Spalt auf und der Drow schaute hindurch.
"Ach du bists, schon auf?"
"Wonach sieht es denn aus?"
"Dinin ist auch schon wach, bei Vierna weiß ich es nicht."
"Kann ich hereinkommen? Hier auf dem Gang fühle ich mich nicht
so recht wohl."
Nalfein machte die Tür wortlos weiter auf und ließ ihn
hinein.
Joro hockte sich auf die Truhe, so gut es die Rüstung zuließ.
"Hast du eine Ahnung, wie das heute ablaufen wird?"
"Nun, ich nehme an, er wird sich vor die versammelte Mannschaft
stellen und dich ihnen präsentieren. Dann hält er irgendeine
Ansprache, um sich ins beste Licht zu rücken und dann macht er uns
irgendein blödsinniges Angebot, das wir nicht ablehnen können
werden."
"Hm."
"Was?"
"Warte mal einen Moment."
Joro ging in sich und fragte die Stimme in seinem Kopf:
"Sag mal, was war das gestern eigentlich für ein kurzer Auftritt?"
"Höre ich da Kritik von dir, Joro?"
"Sei ehrlich: Du hast alles, was bisher geschehen ist, bis ins kleinste
Bißchen geplant, schon lange bevor ich geboren wurde, oder?"
"Das ist richtig. Eine der schönen Dinge am Gottsein ist, daß
man schlecht überrascht werden kann. Ich wußte, daß diese
Tage einmal kommen würden, aber Nuktu war damals Realität. Also
habe ich beides miteinander verknüpft."
"Ich glaube dir immer weniger, daß du wirklich der Ansicht
bist, daß Götter das Leben der Menschen nicht bestimmen sollen."
"Das ist jedoch in der Tat der Fall, mein Sohn. Ich habe allerdings
niemals behauptet, daß ich nicht dafür Sorge trage, daß
diejenigen, die mir etwas bedeuten, keinen Schaden nehmen."
Joros Zweifel daran blieb, aber er wollte sich nicht streiten.
Nalfein sah ihn aufmerksam an.
"Du redest wieder mit Celestus, stimmts?"
"Ja. Ich habe ihn gefragt, was sein Erscheinen gestern bedeutet
hat."
"Und was sagt er?"
"Daß das alles seine Richtigkeit hat."
Der Dunkelelf sah ihn prüfend an. "Du selbst denkst da anders
drüber?"
"Eine alte Diskussion zwischen mir und ihm."
"Aha."
Joro sah sich um und überlegte. "Sollen wir uns versammeln
und gemeinsam herunter gehen oder ist das unhöflich?"
"Im Hause eines Königs wartet man darauf, bis man aufgefordert
wird, zu erscheinen."
"In Ordnung. Dann bring mir in der Zwischenzeit noch ein paar Gesten
bei."
Sie übten eine Weile, wobei ihm Nalfein zunächst vornehmlich
militärische Gesten beibrachte, was er damit begründete, daß
sie ihm am sinnvollsten erschienen.
Nach ein oder zwei Stunden klopfte es leise an der Tür.
Nalfein ging und machte sie auf, herein trat Vierna, wieder in ihre
Rüstung gekleidet. Sie hatte Dinin dabei.
"Guten Morgen. Oder Mittag? In diesem Dunkel weiß man das
ja nicht so recht."
Joro hätte schwören können, daß sie ihm kurz
zugelächelt hatte.
Dinin rümpfte die Nase.
"Er läßt uns warten. Schwer zu sagen, ob das taktische
Gründe hat, oder er so besoffen war, daß er noch nicht wach
ist."
Vierna zuckte mit den Achseln.
"Beides, vermute ich. Er wird mit Sicherheit klar machen wollen,
wer hier das Sagen hat, uns gegenüber und seinen Leuten später."
Joro schnaubte.
"Mich beeindruckt das nicht sonderlich..."
"Balthasar kann sehr gefährlich sein, vergiß nicht, wo
wir sind und was er ist."
Dinin schaute Nalfein und Joro belustigt an.
"Was habt ihr hier gemacht? Getratscht?`"
"Nalfein hat mir ein paar neue Gesten beigebracht."
"Oh prima, dann kannst du uns hoffentlich endlich sagen, daß
dein Großvater Rüben auf dem Kopf hat."
Unmerklich machte Nalfein ein paar Gesten mit den Händen und
ein besonderer Blick deutete ihm, es ihm nachzutun.
Joro tat das und Dinin schaute mit einem Mal auf seine Hose.
Verwirrt schaute der Priester zu Nalfein, der in Lachen ausbrach.
"Sehr witzig, ihr beiden." Dinin machte ein schmollendes
Gesicht, grinste dann aber.
Vierna sah tadelnd in die Runde.
"Ich hoffe, daß du ihm auch Sinnvolles beigebracht hast, Nalfein."
"Keine Sorge, werte Hohepriesterin, ich trage schon Sorge, daß
unser Mensch hier das lernt, was er braucht", sagte er und fügte mit
einem Grinsen hinzu, "und was Dinin angeht braucht man das immer einmal
wieder, damit er auch hin und wieder die Klappe hält."
Es polterte von der anderen Seite an die Tür und eine Männerstimme
sagte:
"Kommt mit, es geht los."
Vor der Tür stand Torkum, in ein Gewand gekleidet, das zeremoniell
aussah. Ohne die Rüstung wirkte er kein Bißchen weniger imposant,
der Duergar bestand nur aus Muskeln, vom Scheitel bis zu Sohle. Er hatte
genau wie die anderen Dunkelzwerge knallrote Augen, sein Bart reichte ihm
fast bis zu den Knien und war in zwei Zöpfe geflochten.
Er musterte Joro von oben bis unten und schnaubte dann verächtlich.
"Seltsam, daß mir das gestern nicht aufgefallen ist. Ich hätte
niemals gedacht, daß wir das Ding irgendwann einmal auf diese Weise
wiedersehen werden."
Zu Vierna gewandt fuhr er fort: "Folgt mir mit Euren Begleitern,
Priesterin."
Die Treppe herab ging es dieses Mal direkt in den Thronsaal. Joro
konnte nicht behaupten, die Architektur dieses Palastes zu durchschauen,
denn alle Gänge sahen gleich aus. So oder so mußte es eine Weile
dauern, bis man wußte, wohin man eigentlich ging, auch wenn man hier
jeden Tag lebte.
Im Saal versammelt war eine beträchtliche Anzahl von Duergar,
alle in ähnliche Roben gehüllt, wie sie Torkum trug.
Balthasar saß mit erwartungsvollem Blick auf seinem Thron,
in einer goldenen Plattenrüstung und dieses Mal sogar mit einer Krone
auf dem Kopf.
Als die vier zusammen mit Torkum eintraten, erhob er sich.
"Sehet diesen dort!"
Alle Zwerge im Raum drehten sich Joro zu, der rot wurde.
Ein Raunen durchzog ihre Reihen und einzelne konnten sich hektisches
Tuscheln oder Gesten untereinander nicht verkneifen.
Balthasar gebot ihnen Einhalt.
"Ruhe! Seht, was dieser Mensch an sich trägt! Endlich, nach
so viele Jahren sind die Insignien meiner Herrschaft wieder unter meinem
Dache angekommen!"
Torkum trat vor den König, das Gesicht zu den Anwesenden.
"Hiermit erkläre ich Balthasar den Tapferen wieder zum König
über unser Volk. Die Zeit des Exils ist aufgehoben!"
Einer der Zwerge in der Mitte des Saales hob die Hand.
"Wer sagt uns denn, daß das hier kein armseliger Trick ist?"
"Wenn du es nicht glaubst, geh und überzeuge dich selbst!"
Der Mann kam zu Joro herüber und betastete dessen Brustharnisch,
genauso wie es am Tage zuvor der König getan hatte. Zunächst
stand so etwas wie Häme in seinem Gesicht, doch die wich schnell wieder.
Er drehte sich zu den anderen.
"Bei den Göttern, sie sprechen die Wahrheit, sie ist es wirklich!"
Wieder kam Unruhe in die Versammelten, dieses Mal war es aber offenes
Reden und jeder schien den anderen übertönen zu wollen, manche
ruderten dabei mit den Armen als seien sie kurz davor, von einer Klippe
zu stürzen.
"RUHE!!!", brüllte Balthasar.
Die Menge der Zwerge verstummte.
"Wie ihr also seht", fuhr er fort, "ist heute der Grund für
unsere Verbannung aufgehoben worden. Im Namen meines Vaters und meines
Großvaters nehme ich hiermit wieder meinen Thron in Besitz und verlange,
daß ihr mir aufs Neue eure Loyalität bekundet. Alle ihr, die
hier versammelt sind!"
Die Zwerge in der Saalmitte zögerten. Torkum hingegen kniete
vor seinem dicken König nieder und zog seine Axt, die in seinem Gürtel
hing, um sie Balthasar hinzureichen.
"Bei der Blutlinie, derer du angehörst, sollst du mein König
sein und ich werde dir treu bis in den Tod dienen."
Balthasars Gesicht entwich eine gewisse Anspannung und er machte
einen Schritt auf ihn zu, legte ihm dabei die Hand auf die Schulter.
"Ich nehme deinen Schwur an, mein werter General, und du sollst
von nun an für alle Zeit bis zu deinem Tode meine Armee führen."
Es kam Bewegung in die anderen Duergar. Einer nach dem anderen trat
vor und gab einen ähnlichen Schwur ab, wobei der König jedes
Mal ein kleines Stück zu wachsen schien. In der Tat glaubte Joro eher,
daß er nur seine krumme Haltung immer weiter aufgab, als fiele eine
Last in kleinen Brocken von seinen Schultern.
Schließlich war auch der letzte Duergar mit seinem Schwur
fertig und Balthasar sah mit einem stolzen Blick in die Runde.
"Gut. Nachdem ihr also alle wieder unter meiner Herrschaft zu dienen
bereit seid, sollten wir zusehen, daß wir diesen Herrschaftsanspruch
auch bekräftigen, nicht wahr?"
Ein im Vergleich zu den anderen Anwesenden eher dünner Zwerg
trat vor und fragte:
"Also gehen wir zurück und übernehmen unser altes Königreich
wieder?"
Das Lächeln auf des Königs Gesicht wurde ein kleines Bißchen
säuerlich.
"Du weißt genausogut wie ich, daß das nicht möglich
ist. Oder glaubst du, daß wir mit den Männern, die wir haben,
eine ganze Stadt einnehmen können?"
Die Gesichter der Duergar im Saal verfinsterten sich alle. Offensichtlich
war es ihnen allen bewußt, aber die Hoffnung war niemals ausgestorben.
"Was schlägst du also vor, mein König?", fragte Torkum.
Balthasar wandte sich an Vierna. "Hört, was diese Frau zu sagen
hat."
Vierna, recht überrascht von dieser Ansprache, fing sich schnell
und sprach:
"Die goldene Legion kommt aus dem Süden und überrennt
alle Königreiche. Sie wollen jedes Volk und jedes Land unter ihre
Kontrolle bringen, um sie alle zu Sklaven zu machen. Wir haben uns dazu
entschieden, lieber zu kämpfen, als unterzugehen. Mit eurer Hilfe
würde unsere Kräfte gewaltig ansteigen."
Der dürre Zwerg rümpfte die Nase.
"Und warum sollen wir einer Drow trauen? Jeder weiß, daß
sie lügen und betrügen, wann immer sie können. Außerdem:
Was ist für uns dabei drin?"
Die anderen murmelten zustimmend.
Balthasars Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an.
"Reichtum und Macht, was denkst du denn? Wenn wir die Hochelfen
erst einmal vertrieben haben, können wir uns ein eigenes Reich aussuchen,
über das wir dann herrschen werden."
Joro wollte etwas einwenden, aber Viernas Hand faßte seinen
linken Unterarm und sie schüttelte unmerklich den Kopf.
"Wir haben viel zu wenig Männer, um einen Krieg zu führen,
mein König. Zunächst müssen wir zusehen, daß wir uns
verteidigen", warf Torkum ein.
"Darüber habe ich schon nachgedacht, General. Sendet Boten
in alle noch so kleinen Duergarsiedlungen in der Umgebung und verbreitet,
daß Balthasar der Tapfere erneut ein König ist. Sie sollen herkommen
und sich unserem Kampf anschließen!"
Torkum nickte und gab ein Zeichen an eine der Wachen, die am Eingang
des Thronsaales standen. Diese verschwand schnell durch die Tür.
"Gut, ich erwarte, daß heute Abend ein Festmahl abgehalten
wird. Wer nicht erscheint, findet seinen Kopf morgen früh auf eine
Ahlpike vor dem Tor unserer Stadt wieder! Ihr könnt jetzt gehen!"
Der letzte Satz wurde von den Anwesenden Zwergen offenbar genauso
verstanden, wie er formuliert worden war. In aller Eile sahen sie zu, daß
sie aus dem Raum kamen.
Nun waren nur noch Torkum, Balthasar und die vier Gefährten
darin und Balthasar nahm grunzend die Krone vom Kopf.
"Muß das Ding so verdammt schwer sein?", fragte er.
Torkum machte eine beruhigende Geste.
"Ihr werdet Euch schon wieder daran gewöhnen, Majestät."
Der König wandte sich Joro zu.
"Das wäre geschafft. Nun muß ich nur noch herausfinden,
wie ich die Rüstung hier behalten kann, ohne dich töten zu müssen."
Joro schluckte.
"Aber leider hat mir dein Gott gestern sehr eindringlich klar gemacht,
daß Letzteres nicht in Frage kommt. Also müssen wir eine Lösung
finden, die uns beiden gerecht wird. Deshalb habe ich euch vier noch hier
behalten."
Der Priester ging ein paar Schritte auf Balthasar zu, wobei er bemerkte,
daß Torkum seine Hand auf das Heft seiner Axt legte. Er ließ
sich nicht beirren.
"Ich bin mir der Problematik durchaus bewußt, Balthasar, aber
ich muß zuerst an die Meinen denken, genau wie du. Und mein oberstes
Anliegen ist es, daß diesen Dunkelelfen und allen, die mit ihnen
sind, kein Schaden geschieht. Wir sind gekommen, um von dir Hilfe zu bekommen.
Verwehrst du sie uns, werden wir wieder gehen und dich auch nicht wieder
fragen."
"Soso."
Unbeirrt fuhr Joro fort:
"Mir ist bekannt, daß dein Volk in seinem Wesen darauf beharrt,
für erbrachte Leistungen immer einen Gegenlohn zu bekommen, egal ob
es ihnen so oder so etwas nützt. Wenn dir das im Wege steht und du
dich deshalb nicht dazu durchringen kannst, einfach nur deine eigene Haut
zu retten, und die wirst du verlieren, ob du es einsiehst oder nicht."
In seinem Nacken konnte er spüren, wie sich Dinin, Nalfein
und Vierna massiv anspannten, aber er war sich der Offenheit seiner Ansprache
durchaus bewußt.
Balthasar hingegen schien eher beeindruckt als verärgert.
"Wie alt bist du, Joro Macun?"
"Neunzehn."
Der dicke Zwerg stand auf und kam zu ihm herüber. Angekommen
baute er sich vor ihm auf und schaute ihm lange in die Augen, ohne etwas
zu sagen.
Dann rümpfte er die Nase und meinte:
"Und mit deinen neunzehn Jahren wagst du es schon, einem alten Mann,
der Zeit seines Lebens eine Sippe von 119 Zwergen geführt hat, zu
erzählen, was er zu tun hat oder nicht?"
"Ich erzähle dir nicht, was du zu tun hast, sondern was ich
zu tun gedenke, Balthasar", erwiderte Joro kalt zurück.
"Du hast gar keine Angst vor mir, oder?"
"Warum sollte ich?"
"Ich könnte dich und diese drei Drow dort drüben mit nur
einer Armbewegung töten lassen."
"Dann fang mit mir an, versuch es."
Diese Antwort hatte der König mit Sicherheit nicht erwartet.
"Woher nimmst du diesen Mut, Jungspund. Oder ist das nur Dummheit?"
"Es ist Gleichgültigkeit gegenüber deinem Zorn, Großväterchen."
"Großväterchen?!"
"Ich hätte auch 'Tattergreis' sagen können, gefällt
dir das besser, Duergar?"
Der König schnappte nach Luft und Torkum seinerseits hatte
seine Axt schon halb gezogen.
Balthasars Augen funkelten vor Zorn.
"Du wagst es, mich hier in meinem eigenen Thronsaal
zu beleidigen?"
"Gehen dir die Flüche aus, oder warum mußt du jetzt greinen
wie ein Weib?"
"Du... duuuu... MISTKRÖTE!"
"Flohzirkus!"
"Haarloser Molch!"
"Speckiger, alter Sauhund!"
Der Duergar rang nach Worten. Dann, immernoch sprachlos, mehrere
Male in Joros Richtung zeigend, ging er langsam zu seinem Thron zurück,
Torkum entspannte sich ein wenig.
"Das schreit nach Rache, Mensch. Ich weiß nicht, woher
du dieses Wissen genommen hast, aber du weißt hoffentlich, was jetzt
auf dich wartet!"
Joro grinste unverhohlen.
"Ja, weiß ich, und da ich die Herausforderung ausgesprochen
habe, wähle ich Ale als Waffe."
Balthasar kniff das linke Auge zu und ließ das rechte funkeln.
"Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich da eingelassen hast.
Ich bin ein Duergar, falls du das vergessen hast."
"Und ich bin der Sohn eines Rinderzüchters, der seinen eigenen
Braukessel im Keller hatte. Was meinst du, wer von uns beiden anteilig
an seiner Lebenszeit schon länger Bier trinkt. Mach dich auf einiges
gefaßt, mal sehen, ob dein Beiname "der Tapfere" auch heute Abend
noch bestätigt wird."
"Ich werde vorbereitet sein, ich hoffe, daß du es auch bist.
In vier Stunden beginnt das Bankett und wir werden sehen, wer der Stärkere
ist, Jungchen."
"Ist recht, Opa."
"Geht jetzt!"
Wieder in Nalfeins Zimmer angekommen, bekam Joro von jedem der drei
Drow einmal auf den Hinterkopf geschlagen.
Nalfein war der erste, der wieder Worte fand.
"Was in aller Höllen Namen hast du dir dabei
gedacht, Joro??"
"Ganz einfach, ich habe einmal ein Buch über die Völker
des Unterreiches gelesen. Darin wurde unter anderem aufgeführt, daß
Duergar in Zeiten, in denen sie keinen Krieg führen, zum Schonen ihrer
Leute Trinkduelle austragen, um die Rechtmäßigkeit ihrer Standpunkte
zu beweisen. Dem voran geht normalerweise eine Absichtserklärung,
die in möglichst schweren Beleidigungen ausgedrückt wird."
"Was hat dich so sicher gemacht, daß das nicht nur für
Duergar gilt?"
"Mein Großvater hat mir daraufhin erzählt, daß
er selbst einmal ein solches Duell austragen mußte, allerdings damals
mit Kartoffelschnaps, den er auch im hohen Alter noch in Unmengen vertilgt
hat. Es ist eine Frage der Ehre, die ein Duergar, ohne das Gesicht zu verlieren
nicht ablehnen kann, so sind die Regeln."
Dinin schmunzelte.
"Also hat unser Herr Völkerverständigung gerade ganz vorsätzlich
einen kulturellen Brauch mißbraucht, um möglicherweise seine
Haut zu retten?"
Joro grinste gequält.
"Es ist für uns eine Situation, in der es nichts zu verlieren
gibt, für Balthasar schon. Daher wird er mit Sicherheit irgendwelche
Tricks benutzen, um zu gewinnen, wenn ich ihn recht einschätze."
Nalfein schüttelte den Kopf.
"Niemals. Er wird in seiner Arroganz niemals glauben, daß
du gewinnen kannst. Aber ich glaube, wir können dir in der Tat ein
bißchen helfen", er kicherte böse.
Aus seinem Bündel holte er ein kleines Fläschchen.
"Was ist das?", fragte Joro.
"Öl. Pflanzenöl, um genau zu sein. Ich benutze es normalerweise
für meine Füße, wenn ich sie mir wundgelaufen habe. Wenn
du das trinkst, wird es eine ganze Weile länger dauern, bis du betrunken
bist. Das sollte dir ein wenig Zeit erkaufen."
"Ihr drei spinnt alle vollkommen. Joro, bist du dir eigentlich bewußt,
in welche Gefahr du uns gebracht hast?" Viernas Augen hatten einen tiefroten
Glanz angenommen.
Joro sah sie bestürzt an.
"Er hätte uns so oder so versucht, zu betrügen, Vierna.
Was hätte ich wohl sonst tun sollen? Warten bis er uns irgendein dämliches
Angebot macht, mit dem wir niemals zufrieden sein können?"
Sie schaute ihn sehr böse an.
"Ich rate dir gut, dein Bestes zu geben, weil du es sonst bereuen
wirst, wenn ich dich hinterher in die Finger bekomme!"
Mit diesen Worten wandte sie sich um und rauschte aus dem Zimmer.
Nalfein gab Joro eine Ohrfeige.
"Aua, was soll das?"
"Fang jetzt nicht mit 'ich will nicht, daß sie böse ist'
an, oder du bekommst noch eine. Steh deinen Mann und tu das, für das
du dich entschieden hast. Keine Ausreden, oder du bekommst morgen zwei
Tritte!"
"Ich halte ja schon meinen Mund."
"Gut. Und jetzt nimm die Flasche, geh in dein Zimmer und sieh zu,
daß du dich noch eine Weile ausruhst. Es geht bald los."
Die nächsten drei Stunden verbrachte Joro in Einsamkeit in seinem
Zimmer, gequält von dem furchtbaren Gefühl, das Nalfein ihm hatte
austreiben wollen. Aber der Dunkelelf hatte vermutlich recht. Die einzige
Möglichkeit, das Ganze noch zu retten, war nun nur noch, diesen Wettstreit
zu gewinnen.
Als schließlich endlich, nach einer Ewigkeit, ein Klopfen
an der Tür erscholl und er aufgefordert wurde, sich anzuziehen, nahm
er die kleine Flasche und betrachtete sie. Ob Nalfein das Öl wohl
wiederverwendete?
Die Frage ließ es leider nicht zu, sie weiter zu verfolgen,
denn es war an der Zeit, die eingebrockte Suppe auszulöffeln.
Er schluckte das Öl, was leicht ranzig schmeckte, und mußte
eine Weile dagegen ankämpfen, zu erbrechen. Dann warf er sich seine
Robe über und trat auf den Flur. Die Drow warteten schon auf ihn und
sahen ihn alle drei erwartungsvoll an.
"Ja, ich habs getan. Ich will allerdings nicht wissen, was du damit
vorher gemacht hast, Nalfein."
"Nichts, nur Füße gepflegt."
Es kam ihm wieder hoch, doch Joro unterdrückte den Brechimpuls.
Dinin und Nalfein grinsten, während Vierna immernoch eine distanzierte
Haltung aufwies.
"Gehen wir, Torkum hat mir vorhin gesagt, daß wir kommen sollen,
wenn wir fertig sind. Unten ist wohl schon die Hölle los", meinte
Nalfein.
Sie gingen die Treppen herab zu der Halle hinter dem Thronsaal,
aus deren Richtung bereits lautes Gelächter, Gegröhle und Einiges
an den so heißgeliebten Körpergeräuschen zu hören
war.
Als sie den Raum betraten, verstummten alle Anwesenden und schauten
grimmig in Joros Richtung.
Die Zwerge, die sich um die riesige Tafel versammelt hatten, waren
größtenteils halbnackt, viele von ihnen mit Essensresten beschmiert
und lümmelten sich auf den großen Armstühlen herum. Am
Kopfende der Tafel saß Balthasar, neben sich ein Faß, genauso
groß wie er, auf das er vielsagend klopfte. Er wies auf Nalfein und
sagte:
"Dein Adjutant. Er wird sichergehen, daß ich nicht betrüge."
Dann deutete er auf das andere Ende der Tafel, an der neben einem
leeren Sessel ein ebenso großes Faß stand. Torkum, der direkt
neben diesem Platz saß, stand auf und deutete Joro, sich dort hinzusetzen.
Die anderen beiden Drow ließen sich auf den anderen leeren
Sesseln nieder, die dort standen, Vierna unter anzüglichen Pfiffen
aus Reihen der Zwerge, die sie ignorierte.
Torkum sah ihn ernst an.
"Jeder einen Humpen. Wenn einer seinen leert, muß der andere
dies auch sofort tun, sonst hat er verloren. Verstanden?"
Joro nickte.
"Gut, hier ist der erste!"
Der Zwerg knallte einen Humpen von der Größe, die Balthasar
am Tage zuvor gehabt hatte, vor ihm auf den Tisch. Jetzt erst fielen Joro
die schieren Unmengen an Speisen auf, die auf der Tafel standen. Zwei ganze
Schweine, Schalen voller Suppe, ganze Truthähne und scheinbar als
Einzelhappen gedachte gebratene Nagetiere, wie sie Dinin ein paar Tage
zuvor erlegt hatte.
Balthasar hob sein Trinkgefäß an und rief: "Es gilt!"
Er setzte an und trank.
Joro zögerte nicht, er wollte sich keine Blöße geben.
Er hob seinen Humpen und nahm ein paar Züge des schweren, dunklen
und sehr herben Ales. Dabei ließ er den König nicht eine Sekunde
aus den Augen, was dieser ebensowenig tat. Sie leerten ihre Biere fast
gleichzeitig und schlugen die Humpen auf den Tisch, was die 'Tischgesellschaft'
mit einem begeisterten Gröhlen quittierte.
Schon Momente später stand ein neues Trinkgefäß,
ebenfalls bis an den Rand gefüllt vor ihm.
Balthasar auf der anderen Seite des Raumes grinste und nahm sich
erst einmal eine Schweinshaxe vor.
Joro hingegen ergriff den neuen Humpen, setzte an und soff, als
hinge sein Leben davon ab. Ihm entging nicht, daß jeder Schluck,
den er tat, bei seinem Gegenüber das Unwohlsein wachsen ließ.
Als er fertig war, nahm er seinerseits ein großes Fleischstück
und biß mit Genuß herein, fröhlich grinsend.
Unter den Zwergen wurde ein Murmeln laut und immer mehr von ihnen
sahen in Balthasars Richtung. Dieser griff hastig nach seinem Bier und
begann es zu trinken. Joro griff auf der Stelle nach dem frisch gefüllten
Humpen vor ihm und trank ebenfalls. Nach der Häfte setzte er ihn ab
und aß seelenruhig sein Essen weiter.
So ging das eine Weile weiter, er bemühte sich dabei immer,
unbeschwert auszusehen und Balthasar ein Stück im Hintertreffen zu
halten, während er gegen den immer voller werdenden Magen ankämpfte
und auch langsam, trotz des Öles eine gewisse Bewußtseinstrübung
einsetzte.
Vierna würdigte ihn dabei keines Blickes, was ihn dazu brachte,
sich voranzukämpfen, erfüllt von grimmigem Stolz.
Je mehr Bier insgesamt am Tisch geleert wurde, desto weniger angespannt
wurde die Athmosphäre und bald bemerkte er, daß auch ein paar
Zwerge hin und wieder anerkennend in seine Richtung schauten und ihm zunickten.
Torkum hingegen saß neben ihm und schaute mit jeden leeren Krug,
den Joro ihm reichte, mit einem wachsenden Gefühl von Erstaunen und
offener Zustimmung an.
Ab einem gewissen Punkt erinnerte sich Joro nur noch an verschwommene
Bilder und Geräusche, das nächste war, daß er sich fast
eine halbe Stunde lang übergab.
Als er schließlich aufwachte, lag er in seinem Bett und die
Kopfschmerzen, die in seinem Kopf tobten, waren so höllisch, daß
selbst das Knarzen der Holzwände, das hin und wieder auftrat, sich
anhörten, als stünde er in einem Gewitter.
Neben ihm, auf die Bettkante gehockt, saß Vierna.
Er wollte sich aufrichten, aber der Kater verhinderte das.
"Bleib liegen. Trink das hier."
Sie reichte ihm eine kleine Tasse, in der ein übelriechendes
Gebräu war.
"Es riecht nicht gut, aber es wird dir die Kopfschmerzen nehmen
und deinen Magen beruhigen."
"Bist du noch böse?"
"Ja. Das war nicht nur dumm, sondern auch außergewöhnlich
kindisch."
"Hab ich wenigstens gewonnen?"
Vierna schnaubte.
"Männer..."
"Ja oder nein?"
Sie stand auf und stellte die Tasse auf den Rand des Bettes.
"Man hat am Ende auf ein Unentschieden plädiert, ihr seid beide
irgendwann einfach umgefallen und weil alle zu besoffen waren, kann sich
keiner mehr daran erinnern, wer der Erste war."
"Das heißt, wir haben beide unsere Ehre bewart und müssen
uns als ebenbürtig ansehen..."
"Hast du ganz toll gemacht, Joro."
Er streckte die Hand aus und sah sie flehentlich an.
Zunächst schien sie einfach gehen zu wollen, dann nahm sie
aber seine Hand und setzte sich wieder neben ihn aufs Bett.
"Joro?"
"Ja..."
"Versprich mir, daß du niemals wieder so etwas Dummes tust."
"Das kann ich nicht. Ich bin eben manchmal dumm."
"Dann versuch wenigstens, an dir zu halten, wenn du einen derartigen
Impuls bekommst, hörst du?"
Er fühlte sich etwas erleichtert und nickte, so gut das sein
Kopf zuließ.
"Versprochen."
Sie seufzte. Dann mußte sie unwillkürlich grinsen.
"Obwohl ich zugeben muß, daß du ihm ganz schön
eingeheizt hast. Nach dem vierten Humpen kam er ganz schön ins Schwitzen."
Joro fühlte, wie er wieder sehr müde wurde, er nahm an,
daß das eine Nebenwirkung des Gebräus war, das ihm Vierna eingeflößt
hatte. Langsam entschwand sein Geist wieder in die Welt der Träume.
© Matthias
Wruck
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bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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