Als er das nächste Mal erwachte, sprang sein Bewußtsein
förmlich zurück in die Realität. Irgendetwas ließ
sich ihm die Nackenhaare sträuben. Instinktiv sah er sich um, war
aber allein in diesem Raum. Die Kopfschmerzen waren fort und schlecht war
ihm auch nicht mehr. Aber dieses Ziehen im Nacken machte ihn fast wahnsinnig.
Es war wie das Gefühl, das ein sensibler Menschen kurz vor einem Gewitter
hat, wenn die Feuchtigkeit in der Luft langsam einen gewissen Grad erreicht
und mit einem Male alle Vögel still werden. Er beeilte sich so schnell
es ging in seine Rüstung zu schlüpfen, was ohne Hilfe alles andere
als einfach war, wie er wieder einmal Mal feststellen mußte.
Draußen war es still. Es schien fast, als würden selbst
die Wände nicht mehr knarzen. Den Hammer fest in der rechten Hand,
den Schild auf dem linken Arm hielt er noch kurz inne und sandte ein Stoßgebet
an Celestus, bevor er mit einem heftigen Nicken das Visier seines Helmes
herunterschnellen ließ und dann durch die Tür trat.
Die Türen zu den Zimmern der Dunkelelfen standen halb oder
ganz offen. Da ein Großteil ihrer Utensilien noch darin lagen, aber
die Betten reichlich zerwühlt waren, folgerte Joro, daß auch
sie spontan aufgewacht sein mußten, nur um schnell aus dem Bett zu
springen und, naja, wohin waren sie?
Er sprintete in wachsender Sorge die Treppen herunter, wahllos in
Türen spähend, an denen er vorbei kam. Überall das selbe
Bild, als sei eine Art Großalarm gegeben worden.
Am Ende eines Ganges des Stockwerks, das er für das Erdgeschoß
hielt, stand eine Doppelflügeltür offen.
Sie führte in das Speisezimmer, das erstaunlich sauber war,
wenn er das jetzige Bild mit den letzten paar Erinnerungen seiner selbst
verglich. Er durchschritt es und kam in den Thronsaal.
Zu seiner Überraschung war dieser aber nicht leer.
Auf den Thron, umringt von einer nicht gerade kleinen Menge anderer
Duergarfrauen, alle in schwere Leder- oder sogar Kettenrüstungen gekleidet,
saß Myellin auf dem Thron und bohrte ziemlich gelangweilt in der
Nase. Als sie Joro eintreten sah, wies sie nur mit der anderen Hand auf
den gegenüberliegenden Eingang des Saales.
"Die hauen sich da draußen, keine Ahnung warum jetzt schon
wieder..."
Joro fragte nicht noch einmal nach, sondern hastete nur in die angewiesene
Richtung.
Der Weg aus dem Palast und aus der Höhle war leicht zu finden.
Der Lärm in der Ferne nahm mit jedem Schritt zu und er konnte zunehmend
den Geruch von brennendem Holz wahrnehmen. Zwei Duergar, in massige Stahlpanzer
gehüllt, stellten sich ihm in den Weg.
"Der König hat eindeutige Order gegeben, Mensch. Bis hierhin
und nicht weiter!"
Joros Bewußtsein füllte sich mit einem gewaltigen Zorn.
Vierna war mit Sicherheit da draußen. Dinin und Nalfein auch. Er
würde sie nicht allein lassen.
"Hinfort!" Zu seiner Überraschung klang seine Stimme
ungewöhnlich laut und hallte gewaltig nach. Die beiden Zwerge wurden
von einer unsichtbaren Macht aus dem Weg gedrückt und Joro schritt
durch die beiden verdutzt gegen die Kräfte, die sie zurückhielten,
ankämpfenden Krieger und griff seinen Hammer so fest, daß seine
Knöchel weiß wurden.
Am Fuß der Rampe, die in die Höhle heraufführte,
konnte er bereits sehen, was das Problem war.
Im Lichte der aufgehenden Morgensonne hatten drei Luftschiffe der
Legion offenbar versucht, auf den Befestigungen der Duergar zu landen,
was die Zwerge wohl zu verhindern gewußt hatten, die Mauern waren
gespickt mit Ballisten und noch einigen, viel abwegiger erscheinenden,
dennoch ziemlich funktionablen Konstrukten jeglicher Art.
Über den Wracks der drei Schiffe kreisten mindestens ein Dutzend
Lindwürmer, deren Reiter allerhand Gegenstände auf die unten
Kämpfenden herabwarfen. In den Gräben und auf den Wehrgängen
schlugen sich Zwerge und Hochelfen.
Ohne zu zögern stürmte Joro auf das nächstgelegene
Geplänkel zu und krachte wie ein schwarzer Metallblock in den ersten
Legionär in seiner Reichtweite. Dabei versuchte er, sich schon einmal
einen Überblick zu verschaffen, wie groß die Bedrohung war.
Vor allem aber fragte er sich, wie sie um alles in der Welt überhaupt
geschafft hatten, hier herzukommen.
Es war nicht die Zeit zum Nachdenken, es war die Zeit zum Kämpfen.
Joro hatte schon in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, daß
sich bei wirklich ernsten Kämpfen irgendwie sein Geist abschaltete
und sein Körper irgendwie nur das tat, was er mußte, um am Leben
zu bleiben. Nalfein hatte in einer ihrer Trainingsstunden den "Geist des
Kriegers" genannt. Er hatte gemeint, daß das der beste Zustand sei,
wenn alle Gefühle und alles Überlegen fort war und nur noch das
Handeln das Bewußtsein erfüllte.
Es fiel ihm allerdings auch nicht gerade schwer, in der massiven,
schwarzen Metallschale, das Gesicht hinter der Maske des Celestus verborgen,
ein Gefühl der Sicherheit und irgendwie auch Distanz zu der Welt um
ihn herum zu haben. Dabei verlor er aber nicht seinen Sinn für die
Gefahr, die ihm dabei drohte.
Nalfeins Lektionen zahlten sich aus. Es war zwar offensichtlich,
daß er noch viel lernen mußte, da ihn immer wieder Schläge
der gut trainierten Legionäre trafen, aber die Rüstung glich
das glücklicherweise aus. Joro war sich trotzdem bewußt, daß
jeder dieser Schläge theoretisch sein Ende gewesen sein konnte. Außerdem
machte ihn die Rüstung ja nicht unverwundbar, daher mußte er
sich so oder so vorsehen.
Er brauchte nicht lange, um trotz des Getümmels im immer stärker
werdenden Sonnenlicht auszumachen, wo seine Begleiter waren.
Dinin war nahe der Bergwand in Deckung gegangen und beharkte mit
einer Armbrust, die er sich von den Zwergen besorgt haben mußte,
die fliegenden Feinde.
Nalfein und Vierna standen zusammen mit einer Reihe außergewöhnlich
stark gepanzerter Duergar an vorderster Front und hielten die Hauptmacht
der Hochelfen ab. Trotz der abgestürzten Schiffe waren immernoch erstaunlich
viele von ihnen da und versuchten mit aller Macht, in den zweiten der insgesamt
drei Belagerungsringe einzudringen.
Joro entging nicht, daß die Duergar sich bemühten, ihm
den Weg freizumachen, als er zielstrebig auf die zentrale Gruppe zuging.
Es entging ihm auch nicht, daß sie dabei geradezu peinlich darauf
achteten, ihn nicht zu berühren.
Er kam an. Von Weitem hatte es nur wie ein kleines Hin und Her ausgesehen,
aber aus der Nähe zeigte sich schnell, daß sich in dem kleinen
Tordurchgang die Leichen stapelten. Zu seiner völligen Überraschung
stand Balthasar ganz vorne, auf einem nicht gerade kleinen Haufen toter
Hochelfen und schrie in einem fort Schmähungen in ihre Richtung. Dabei
schlug er sich immer wieder mit der breiten Seite seiner Streitaxt gegen
die Brust.
Anfliegende Pfeile wurden von einem unsichtbaren Schild abgelenkt,
Joro konnte sehen, daß zwei Kleriker, beide knapp hinter den Torpfosten
versteckt, continuierlich Zauber auf ihn wirkten.
Wann immer ein Hochelf ihm zu nahe kam, holte der Zwergenkönig
mit einer unglaublichen Geschwindigkeit aus und hieb zu. Der Effekt war,
daß der Angreifer entweder zurückgeschleudert wurde oder einfach
tot zusammenbrach. Es dämmerte Joro, wie der Haufen entstanden war.
Er konnte allerdings auch sehen, daß die nette Vorstellung, die Balthasar
da gab, nicht mehr sehr lange gehen konnte, die beiden Kleriker hatte knallrote
Köpfe und schwitzten beträchtlich.
Joro wartete nicht, bis er bemerkt wurde, sondern lief stattdessen
hinüber zu einer der schmalen Treppen, die nach oben führten,
und erklomm sie.
Hinter ihm erscholl Viernas Stimme.
"Was machst du hier draußen?"
Joro ignorierte sie, stieg die Treppe ganz herauf und drehte sich
dann zu ihr um.
"Es ist mir egal, welche Gründe ihr hattet, mich nicht zu wecken,
aber glaub ja nicht, daß ihr mich davon abhalten könnt, euch
zu helfen."
Er blickte über den Platz hinter den Zinnen und hob in letzter
Sekunde seinen Schild, der den anfliegenden Pfeil ablenkte.
Vierna war die Treppe ebenfalls hochgestiegen und hockte sich hinter
einer Zinne auf den Boden. Sie nahm ein Stück Stoff aus einer der
Taschen an ihrem Gürtel und band es sich um den linken Knöchel.
"Bist du verletzt?" Joros Stimme wurde sehr besorgt und er beugte
sich zu ihr herunter.
"Geht schon, ich habe mich an dem Schwert einer herumliegenden Leiche
ein bißchen angeritzt." Sie zog den Knoten fest und schaute dann
zu ihm hoch. "Kannst du dir vorstellen, daß wir nur nicht wollten,
daß dir etwas geschieht? Du bist noch lange nicht soweit, in einem
solchen Kampf mitzuwirken."
"Wäre es nicht besser gewesen, mir genau das zu sagen?"
"Hättest du zugehört?"
"Das schon, aber in der Tat hätte ich darauf bestanden, mitzukommen."
"Siehst du... Genau deshalb haben wir dich lieber noch schlafen
lassen, damit wir einen Vorsprung haben. Nach der bösen Sauferei war
ich mir auch nicht sicher, ob du überhaupt aufstehen kannst..."
Sie hatte nicht ganz unrecht.
Joro hatte sich wieder aufgerichtet und lugte zwischen Schild und
Zinne hindurch.
Von unten hatten die Hochelfen wesentlich zahlreicher gewirkt als
von hier oben.
"Warum ziehen die sich nicht zurück?"
Vierna stand wieder auf, hielt sich allerdings peinlich genau hinter
der Zinne versteckt.
"Habe ich mich auch schon gefragt. Nalfein meinte vorhin, daß
die noch was vor haben. Vielleicht spielen sie auf Zeit, bis eine Nachhut
eintrifft oder etwas in der Art."
Joro rückte seinen Schild so hin, daß sie auch etwas
sehen konnte, was sie zu einem kurzen Lächeln und einem gehauchten
"Dankeschön", gefolgt von einem kleinen Augenklimpern begleitet wurde.
Der junge Mann mußte sich zwingen, nicht zu lachen, aber es
fühlte sich trotz des Kitsches gut an.
"Jetzt sagt mir nicht, daß ihr hier oben zusammenhockt und
rumknutscht." Nalfein, mit einer stark blutenden Schramme auf der Stirn,
kam die Treppe hoch, die Axt auf der Schulter. "Gib mir mal was zum Abwischen,
mir läuft schon wieder die Suppe in die Augen!"
Vierna reichte ihm wortlos ein Stück Stoff aus der selben Tasche.
"Warum machen wir keinen Ausfall, die sind doch höchstens noch
Hundert...?" fragte Joro.
"Frag nicht mich, frag Herrn 'Wie-hoch-kann-man-Hochelfen-stapeln'
da unten", Nalfein spuckte aus, "und sag mir mal, in welchen Größenordnungen
denkst du eigentlich?"
"Was meinst du?"
"Nur hundert?"
Joro wurde rot. "Naja, wir sind ihnen überlegen, oder?"
Nalfein entgegnete nichts, sondern spähte nur über den
Rand der Zinnen. "Hm, Vierna, hast du eine Ahnung, was die Sechs da drüben
machen?"
Vierna reckte sich und spähte in die Richtung, die er angedeutet
hatte, Joro ebenfalls.
Die Priesterin schaute sehr besorgt und meinte:
"Die bereiten etwas Großes vor. Ich tippe auf ein Portal oder
eine Mondbrücke oder vielleicht eine Beschwörung?"
Nalfein verzog das Gesicht.
"Wollen wir das wirklich herausfinden?"
Joro und Vierna schüttelten gleichzeitig den Kopf.
Der Drow tupfte sich noch einmal das Blut von der Stirn und sprang
dann von der Mauer.
"Er redet mit Balthasar, nicht wahr?"
Sie nickte und Joro schaute sich um, um zu sehen, was Dinin wohl
gerade tat.
Der Assassine war immernoch damit beschäftigt, auf die Lindwürmer
zu schießen, hatte allerdings in der Zwischenzeit Hilfe bekommen.
Drei Duergar standen ganz in seiner Nähe an einer Balliste und arbeiteten
mit ihm zusammen. Dinin gab ein Kommando, die Zwerge schossen und er kurz
darauf auch.
Dieses Mal wich der Reiter dem Bolzen der Ballista aus, wurde aber
von Dinins Bolzen in den Kopf getroffen und der Lindwurm trudelte führerlos
erst ein kleines Stück durch die Luft und schwang sich dann davon,
als sei er befreit worden.
Diese Taktik mußte recht erfolgreich gewesen sein, denn es
waren nur noch drei Lindwürmer über.
Joro wurde an der Hüfte gepackt und herumgerissen, wobei er
fast zu Boden fiel. Vor ihm stand nun Balthasar, in Begleitung von Nalfein.
"Was machst du hier draußen, Junge?"
"Das selbe wie du, nur daß ihr mich alle nicht laßt."
"Soso", der König grunzte und schaute über die Zinne,
"Ihr meint die sechs da hinten, Herr Nalfein?"
"Richtig, es ist denkbar, daß uns das, was sie dort drüben
tun, nicht gefallen wird, wenn sie fertig sind."
"Dann sollten wir zusehen, daß sie damit aufhören. Wir
machen einen Ausfall", er wandte sich Joro zu, "Und du bleibst hier und
siehst zu, daß die Rüstung keine Kratzer bekommt."
Joro sah ihm mit einem kalten Blick in die Augen.
"Ich bin keiner deiner Untertanen, König Balthasar. Ich werde
tun, was ich für richtig halte, und nicht das, was du mir befiehlst."
Der Duergar kniff seine roten Augen zusammen, starrte ihn kurz an,
drehte sich dann aber um und stapfte die Treppe von der Mauer herunter.
Nalfein rümpfte die Nase.
"Du hast vielleicht im Saufen gegen ihn mithalten können, aber
es ist eine reichlich schlechte Idee, einen König auf seinem eigenen
Grund und Boden herauszufordern."
"Wenn du glaubst, daß ich euch einfach so da herausstürmen
lasse, dann hast du dich geschnitten."
"Manchmal muß man diplomatisch sein, Joro."
"Nicht, wenn es um Leben und Tod geht und der Kampf bereits tobt."
"Das sollten wir ein anderes Mal weiterdiskutieren, ich glaube,
es geht gleich los."
Joro blickte wieder zwischen Schild und Zinne hindurch.
Die Hochelfen hatten bemerkt, daß sich innerhalb des Walles
etwas tat. Sie zogen sich zurück und formierten sich um die Sechs
herum, die im Kreis standen und dort damit beschäftigt waren, Zeichen
auf den Boden zu malen und dabei Worte vor sich hin zu murmeln.
"Was machen die da?" fragte er die Stimme in seinem Kopf.
"Die bereiten eine Beschwörung vor." Celestus hörte sich
irgendwie besorgt an.
"Etwas Gefährliches?"
"Darauf kannst du dich verlassen."
"Dann müssen wir sie davon abhalten."
"Beeil’ dich. Sie werden nicht mehr sehr lange brauchen."
Joro klappte sein Visier herunter, das er vorher zum Reden hochgeklappt
hatte, und nahm den Schild wieder auf den Arm.
Vierna und Nalfein sahen ihn fragend an.
"Celestus sagt, wir sollen uns beeilen, oder hier passiert ein Unglück."
Die beiden packten wortlos ihre Waffen und gingen vor Joro von der
Mauer herunter.
"Das war nicht ganz das, was ich gesagt habe, Joro", meinte der
Gott.
"War es anders gemeint?"
"Öh, nein."
Er ging ebenfalls die Treppe herunter.
© Matthias
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