Nachdem er sich nach dem Aufstehen frisch gemacht hatte und eine
Weile ratlos herumgesessen hatte, wandte er sich in Gedanken an Celestus.
"Herr, bist du da?"
"Was für eine unnötige Frage, wieso sollte ich nicht da
sein?"
"Ich habe ja keine Ahnung, was Götter den ganzen Tag lang so
treiben..."
"Oh, meinst du, daß ich zwischendurch irgendwelchen Freizeitaktivitäten
nachgehe oder mir Hirsche bei der Paarung anschaue oder so etwas?"
"Warum ausgerechnet Hirsche?"
"Joro, du solltest eines Tages einmal ein Wörterbuch nach dem
Wort "Sarkasmus" erkunden und dessen Bedeutung verinnerlichen."
Der Priester verzog das Gesicht beleidigt.
"Ich weiß, was Sarkasmus heißt, aber ich kann
ja nicht wissen, was euch Götter so umtreibt. Schließlich bin
ich selbst keiner."
"Also, du kannst dir sicher sein, daß ich für dich da
bin, wenn du etwas von mir willst."
"Hm, gut. Also... ich glaube ich hätte ein paar Fragen."
"Na, dann mal los." Celestus manifestierte sich vor ihm, auf der
Kleiderkiste des Zimmers sitzend.
Joro nickte ihm ehrerbietig zu und fragte:
"Zunächst einmal... wenn deine Religion so alt ist, wieso wußte
ich eigentlich vor meiner 'Berufung' nichts darüber?"
"Das liegt daran, daß deine Eltern keine Gläubigen waren,
wie so viele. Und Bargum ist so weit von deinem Heimatdorf entfernt, daß
du niemals mit meinen Priestern in Kontakt gekommen bist. Zudem hatte ich
dir ja schon erklärt, daß heute kaum noch jemand an mich glaubt.
Der Erzbischof von Bargum am allerwenigsten."
"Sagtest du nicht, du seiest 'ein Gott der Bauern geworden'?"
"Das ist richtig. Aber bis auf ein paar kleine Dörfer, die
über ganz Daishan verteilt sind, gibt es kaum noch Menschen, die überhaupt
von meiner Existenz wissen. Bargum selbst einmal ausgeschlossen und die
Stadt ist nicht nur recht isoliert gelegen, sondern auch was den Ältestenrat
des Landes angeht eine der unbedeutensten."
"Also ist der Stadtfürst von Bargum nicht einmal im Rat?"
"Doch, aber nur als Beisitzer und nicht als einer der Ältesten.
Dafür ist die Stadt zwar nicht zu klein, aber sie hat keinen sonderlich
großen Einfluß. Und vor allem kaum eigene Truppen, weil sich
die Stadtväter seit jeher auf die Gardisten des Klosters verlassen."
"Oh, ich verstehe."
Celestus nickte sinnierend und Joro überlegte noch weiter.
"Außerdem..."
"Ja, was?"
"Gibt es eigentlich so etwas wie Schriften oder Bücher, in
denen ich Genaueres über den Celestusglauben lesen kann?"
Der Gott zögerte.
"Gibt es keine?"
"Nun..." Eine Weile sagte der dunkle Mann nichts. Dann entschied
er sich jedoch, zu antworten.
"Nun, doch, die gibt es schon, aber..."
"Mir scheint es gibt da ein Problem?"
"Wenn du so willst, ja."
"Und worin besteht das?"
"Der erste Erzbischof von Bargum, ein damals etwa vierzig Jahre
alter Daishani namens Albrecht, hat eine Art Schriftensammlung mit allerlei
Verhaltensregeln und vorher ungeschriebenen, dennoch aber von allen befolgten
Gesetzen verfaßt."
"Das hört sich doch eigentlich ganz gut an..."
"Die Idee war ja auch gut, aber die Kirche hat in den nachfolgenden
Jahrhunderten nicht gerade unwesentlich viele Stellen 'neu interpretiert',
wie sie es selbst nennen. Also ist von diesen Schriften in ihrer eigentlichen
Grundidee nicht mehr viel geblieben. Bekämest du ein neueres Exemplar
in die Hände, wäre das keine große Hilfe, falls du nach
Wissen suchst."
"Also sind die Exemplare von heute auch genauso heruntergekommen
wie die Kirche selbst?"
"Das ist eine gute Art, das Problem auf den Punkt zu bringen, ja."
Joro kratzte sich am Kopf.
"Und was wäre, wenn ich begänne, eine eigene Version zu
schreiben?"
Celestus schüttelte den Kopf.
"Nein. Zu diesem Zeitpunkt halte ich es für weitaus wichtiger,
daß du zuerst einmal lernst, was zu tun ist, bevor du beginnst, es
für andere schriftlich niederzulegen. Immerhin bist du noch nicht
lange im Priestergeschäft, falls ich dich daran erinnern darf."
Der Priester schaute berschämt zu Boden.
"Verzeih’ mir, ich wollte mir nichts anmaßen."
"Keine Sorge, die Idee finde ich nicht einmal schlecht. Wenn du
schon etwas schreiben willst, dann fang doch an, in einer Art Tagebuch
deine Gedanken und Erfahrungen niederzulegen."
Das gefiehl Joro.
"Gute Idee, Herr."
"Natürlich ist die Idee gut, sie ist ja auch von mir!"
Auch wenn er sich sicher war, diese beiden Sätze schon einmal
gehört zu haben, nahm er sich vor, wenn er einmal Zeit dazu hatte,
zu beginnen, ein Tagebuch zu führen.
"Gut. Dann werde ich jetzt einmal schauen gehen, was die anderen
gerade machen."
Celestus verschwand und Joro trat heraus auf den Flur.
Dort stand, an die Wand gelehnt und gelangweilt mit einem Dolch zwischen
den Zähnen pulend, Dinin.
"Na, schon wach?"
"Ja bin ich. Wo sind Nalfein und Vierna? Sind sie schon zu Balthasar
gegangen?"
Der Drow schaute ihn unglaublich müde an.
"Ja. Vor etwa vier Stunden. Vierna hat mir erzählt, daß
du gestern noch mit ihm geredet und dabei irgendwelche Pläne ausgearbeitet
hast, stimmt das?"
"Pläne kann man es eigentlich nicht nennen, eher Ideen ausgetauscht."
"Und?"
"Er wollte noch mit ihr reden und sie meinte, daß sie Nalfein
dabeihaben will. Vermutlich weil er ja unser Heerführer sein soll."
Dinin grunzte.
"Dann schlagen die sich da unten bestimmt gerade die Köpfe
ein." Er steckte den Dolch in die Scheide und rülpste. "Wenigstens
gab es schon was zu Essen."
"Hm, ich hatte nichts in meinem Zimmer stehen, hast du noch etwas
über? Einen ordentlichen Bissen könnte ich vertragen."
Der Drow nickte und nahm ihn mit in seine Unterkunft.
Sie saßen da und während sich Joro eine ordentliche Portion
kalten Bratens und diverser Beilagen einverleibte, erzählte er Dinin,
worüber er und Balthasar so geredet hatten.
Dinin schien Gefallen an der Idee mit der Befestigung zu finden,
zumindest war seine Reaktion auf das, was ihm Joro da vortrug, durchaus
positiv zu werten.
"Wenn das machbar ist, könnten wir damit zwei Fliegen mit einer
Klappe schlagen. Auf der einen Seite hätten wir die Duergar bei uns
und auf der anderen wären auch die Leute aus Noth in Sicherheit."
"Das sehe ich genauso. Ich hoffe nur, daß Balthasar nicht
zu unverschämt gegenüber Nalfein und Vierna ist."
"Wieso? Er hat kaum noch etwas zu verlieren, außer der Möglichkeit,
seine Ehre wiederherzustellen. Und da tut er gut daran, sich seine bestmögliche
Chance zu sichern, also in diesem Falle uns."
Joro gefiel das nicht.
"Ich hätte ihn lieber als Freund auf unserer Seite als durch
Notwendigkeit."
Dinin schüttelte den Kopf.
"Das kannst du erst einmal vergessen. Duergar schließen keine
Freundschaften mit anderen Völkern. Höchstens Geschäftsbeziehungen."
Sie sahen beide sinnierend vor sich hin, als sie Schritte vor der
Tür hörten. Es klopfte leise.
"Herein!"
Nalfein und Vierna kamen herein. Sie sahen beide ziemlich erschöpft
aus, aber auch nicht völlig niedergeschlagen, daher hatte Joro immerhin
noch Hoffnung, was sie sagen würden.
Nalfein ließ sich ächzend auf das Bett sinken und band
sich seine Haare, die ein bißchen unordentlich waren, zu einem neuen
Pferdeschwanz zusammen.
Vierna lehnte sich an die Wand und begann zu überlegen, wo
und vor allem wie sie anfangen sollte. Schließlich sagte sie:
"In Ordnung, dies ist der Plan." Dinin und Joro sahen sie erwartungsvoll
an. "Balthasar bricht seine Zelte hier ab. Und er wird mit uns kommen und
sich eine neue Heimat vor dem Enklavenportal einrichten."
Dinin und Joro sahen sich an und der Drow machte ein Zeichen, daß
Joro fragen sollte. Das tat er.
"Und wo ist der Haken?"
"Balthasar verlangt, daß er die Befehlsgewalt über die
Befestigungen haben wird und daß die Höhlen, die er gedenkt,
in den Berg zu hauen, als sein Hoheitsgebiet anzusehen sind."
"Also wird er die Kontrolle über den Ausgang haben?"
"Nein, aber was militärische Entscheidungen und die Leitung
derselben angeht, will er draußen das Sagen haben."
"Wird das Ärger geben?"
Nalfein schüttelte den Kopf und ergriff das Wort.
"Auch nicht. Was unsere Leute angeht haben wir das Kommando und
wir können uns natürlich frei bewegen und tun was wir wollen.
Ich glaube er will in erster Linie sicherstellen, daß er den Überblick
über das Geschehen in den Bereichen hat, die er gedenkt aufzubauen.
Eigentlich ist das eine recht faire Grundhaltung für einen Duergar."
Joro hatte dennoch Bedenken.
"Das bietet ziemlich viel Raum für Reibereien. Vor allem mit
den Leuten aus Noth dazwischen."
Vierna machte eine abwägende Geste.
"Die Leute aus Noth werden so dazu in der Lage sein, hinter den
Verteidigungswällen eine kleine, neue Siedlung zu errichten. Wir haben
Balthasar gesagt, daß sie dort sind und unter unserem Schutz stehen.
Wenn ich mich nicht völlig irre, gefällt ihm die Idee, noch mehr
Leute zur Verteidigung zu haben, durchaus."
"Das waren harte Verhandlungen, was?" Joro lächelte.
Nalfein und Vierna nickten beide müde. Ersterer zog die Nase
hoch.
"Wüßtest du, was er ursprünglich wollte, wärest
du erstaunt, wie weit wir ihn heruntergehandelt haben. Ich glaube, daß
der Ausspruch, daß er nichts mehr zu verlieren hat, den Kern der
Sache ziemlich genau trifft."
"Und was machen wir jetzt?"
"Wir packen und machen uns auf den Weg, zurück zur Enklave.
Balthasar hat darauf bestanden, daß wir nicht anwesend sind, wenn
sie hier abrücken, er sprach von "Kriegsgeheimnissen" und dergleichen."
Mit anderen Worten: Sie packten sofort und machten sich auf
den Rückweg.
Beim Marsch durch die Halle trafen sie auf keinen einzigen Duergar,
die Höhle schien völlig leer zu sein, sogar einige der Kohlenbecken
waren gelöscht.
Draußen vor dem Tor standen nur Balthasar und Myellin, die
sie gewohnt herzlich empfing.
"Ich habe euch ein kleines Paket an Reiseproviant gemacht, damit
ihr unterwegs keinen Hunger leiden müßt."
Das 'Paket' war ein Sack, der sich bei dem ersten Versuch, ihn aufzunehmen,
strikt dagegen wehrte, den Boden zu verlassen.
Der König salutierte jedem von den Vieren zu und sagte dann:
"Meine Männer haben schon begonnen, alles abzubrechen. Wir
werden in ein oder zwei Tagen nachkommen. Ich hoffe, daß der Tunnel
groß genug ist, um uns durch die Enklave zu bringen, wir werden Einiges
an Material mitbringen."
Nalfein salutierte zurück und meinte:
"Wir werden zusehen, daß wir euch so gut helfen, wie wir können.
Wir sind nicht gerade wenige und viele von uns sind hervorragende Handwerker..."
"Nach Drowmaßstäben..."
Der Drow ignorierte das und lächelte Myellin zu.
"Gehabt Euch wohl, werte Königin, wir sehen uns bald wieder.
Und ich bedanke mich im Namen uns aller für den reichlichen Reiseproviant."
Die Zwergenfrau kiekste und machte verschämt einen Knicks.
"Nun ja, es ist nicht viel, nur das Nötigste..."
Die vier Gefährten nahmen noch einmal höflich Abschied
und wandten sich dann zum Gehen. Auf dem Weg herunter durch die Festungsmauern
salutierten die wenigen Wachen, die darauf standen, ihnen noch zu, dann
ließen sie den Tafelberg hinter sich.
Der Rückweg verlief einigermaßen ereignislos und sie sprachen
auch nicht viel, da ihnen die Anstrengungen der Schlacht nach wie vor in
den Knochen steckten. Dennoch ließ es sich Joro nicht nehmen, sich
von den drei Drow weitere Gesten der Zeichensprache zeigen zu lassen. Irgendwie
gefiel es ihm, vor allem während Beschäftigungen, die ihn zum
Keuchen brachten, wie zum Beispiel Bergwandern, trotz alledem mit anderen
reden zu können, ohne dabei komplett zusammenzubrechen. Als sie zwei
Tage gewandert waren, hörten sie gegen Mittag eine unglaublich laute
Explosion hinter ihnen und als sie sich umdrehten konnten sie sehen, wie
ein Teil des Tafelberges zusammengestürzt war und eine Rauchsäule
davon aufstieg.
Nalfein schien beeindruckt.
"Es gehört schon einige Entschlossenheit dazu, seine eigene
Heimat zu vernichten, damit sie dem Gegner nicht in die Hände fällt.
Vom Aufwand einmal ganz zu schweigen."
"Er hat mir gesagt, daß dieser Ort niemals eine echte Heimat
für ihn war", entgegnete Joro, "daher wird es ihm auch nicht schwer
gefallen sein, das zu tun."
"Wenn das stimmt, hoffe ich, daß wir niemals in die Situation
geraten, daß er das auch gegenüber seiner neuen 'Heimat' empfindet."
Sie stapften weiter und nach zwei weiteren Tagen konnten sie am
frühen Nachmittag endlich am Berghang vor ihnen den Ort ausmachen,
in dem das alte, rostige Tor eingelassen war. Natürlich war auch dieses
von einer Illusion geschützt, aber Joro hatte sich ein paar Steinformationen
gemerkt, die er wiedererkannte.
Es war schon seltsam, aber trotz der Tatsache, daß er eigentlich
nur wenige Tage in der Enklave gewohnt hatte, war es nach dem Ende des
Hofes seiner Eltern und den Monaten auf der Straße wirklich ein Ort
geworden, an dem er sich zuhause fühlte. Zu wissen, daß ein
Bett, ein Faß Ale und paradoxerweise auch ein Friedhof auf ihn warteten,
gab ihm ein gutes Gefühl.
Nalfein, Vierna und Dinin fühlten das Selbe, jeder auf seine
eigene Art, auch wenn Joro sich wieder einmal die Frage stellte, ob es
Nalfein mit dem Problem, das seine Frau darstellt, auch so ging.
Auf der anderen Seite des Tunnels verabschiedeten sie sich von einander
und Dinin sagte Joro noch, daß er gegen Abend mit etwas Eßbarem
vorbeischauen würde.
An seiner Hütte angekommen führte ihn sein Weg zunächst
nicht hinein, sondern dahinter, denn er fragte sich, was in den Tagen,
die sie fortgewesen waren, wohl damit geschehen sei. Immerhin war es mehr
als eine Woche gewesen und er hatte einige Sorge, wie die Gräber wohl
aussähen, vor allem, weil er nicht wußte, ob es noch einmal
Frost gegeben hatte.
Als er um die Hüttenrundung ging, war er von dem Anblick, der
sich ihm darbot zutiefst erstaunt.
Die Blumensaat war aufgegangen, es streckten sich schon einige Spröße
in den Himmel. Die Wege zwischen den Gräbern sahen aus, als seien
sie regelmäßig gesäubert worden und die Grabhügel
hatte irgendjemand ebenfalls mit Pflanzen besät. Er war erstaunt.
Hatte sich tatsächlich einer der Drow in seiner Abwesenheit um den
Gnadenacker gekümmert? Es freute ihn maßlos, daß er nicht
die Arbeit von über einer Woche aufholen mußte, sondern eigentlich
nur hier und dort ein paar Kleinigkeiten zu korrigieren hatte.
Eigentlich hätte er selbst das eigentlich nicht machen müssen,
aber irgendwie fühlte er sich, als wäre das der Wichtigkeit halber
notwendig.
Danach ging er erst einmal zur Quelle hoch, um sich ausgiebig zu
waschen. Die Gelegenheit hatte er zwar auch auf der Rückreise an den
diversen Bächen gehabt, aber da war er die meiste Zeit zu erschöpft
gewesen. Er nahm auch gleich zwei seiner Roben mit, um diese zu waschen,
denn das war überfällig. Eine der beiden Alltagsroben hatte immer
noch eingetrocknete Essensreste von einem der Gelage in der Duergarfestung
an sich, was zusehends für einen muffigen Geruch sorgte.
Auf dem Weg nach oben kam ihm ein Drow entgegen, dessen Name ihm
nicht einfiel, der ihn herzlich begrüßte und ihn kurz fragte,
was denn alles geschehen sei. Er antwortete ihm knapp und dann ging er
weiter zum Basin.
Kleider waschen war in etwa eine so angenehme Beschäftigung
wie sich selbst mehrere Stunden lang ins Gesicht zu hauen, aber was sein
mußte, mußte sein.
Schließlich wrang er die zweite Robe ein letztes Mal aus und
machte sich, die beiden nassen Lappen unter dem Arm auf den Weg zur Hütte
zurück, wo er im Innenraum eine Leine zwischen den Wänden spannte,
um sie beide nahe am Ofen aufzuhängen.
Draußen war es immernoch recht warm, der Schnee in der Enklave
war fast völlig geschmolzen und der Boden wurde auch immer trockener.
Also warf er sich nur ein wollenes Hemd über, wie er sie sonst zum
zusätzlichen Schutz vor Kälte unter seiner Robe trug, und setzte
sich in Hemd und langer Unterhose hinter die Hütte, wo er sich in
aller Ruhe ein Bier genehmigte.
Als die Sonne langsam begann, hinter den Bergrücken zu versinken,
kam dann auch Dinin bei ihm vorbei, wobei er zunächst in lautes Lachen
ausbrach, als er den Menschen da so sitzen sah.
"Ist das die neue Frühjahrsmode?"
"Was findest du besser, nicht zu frieren, aber grauenhaft angezogen
sein, oder in einer halbnassen Robe rumsitzen und sich eine Erkältung
holen?"
Der Drow lachte immernoch.
"Du hast vermutlich Recht, aber du siehst wirklich zum Schreien
aus."
"Klappe halten und hinsetzen."
Dinin hatte, wie so oft, etwas zum Braten mitgebracht, was sie sich
herrichteten.
"Warst du echt noch Jagen?"
"Nein, das Flügeltier hat mir einer der anderen ans Haus gehängt,
hat gut drei Tage abgehangen, sollte also recht gut munden."
"Was ist das eigentlich für Geflügel?"
"Ein Berghuhn."
"Wenn ich mir den Zustand anschaue, frage ich mich, wie das normalerweise
aussieht."
"Der Jäger ist noch ein ziemlicher Anfänger. Dementsprechend
war der Jagdversuch etwas ungeschickt. Aber er lernt das sicher auch noch..."
"Wenn du das sagst..."
Auch wenn er nicht mehr so richtig gut in Schuß war, schmeckte
der Vogel durchaus genießbar.
"Sag mal, Dinin, hast du eine Ahnung, wer in unserer Abwesenheit
auf den Friedhof aufgepaßt hat?"
"Mir würde jetzt keiner im Speziellen einfallen, aber ich denke,
daß alle mitgeholfen haben werden. Nalfein und ich haben so ziemlich
die meisten Verwandten von uns allen hier, die werden da ihren Beitrag
zu geleistet haben, denke ich."
"Wie kommt es, daß außer Nalfein und dir noch mehrere
aus eurer Familie hier herkamen?"
"Kannst du dir vorstellen, was die mit denen gemacht hätten,
nachdem sie herausgefunden hatten, daß wir beide uns Welverin vorgenommen
haben?"
"Oh..."
"Ganz genau: 'Oh!' Also sind viele von ihnen auf die Oberfläche
geflüchtet. Einige mußten wir allerdings aus dem Weg schaffen,
weil sie eher nach der Art der Unterreichsdrow kamen, wenn du verstehst,
was ich meine."
"Ja, verstehe ich..."
"Die anderen, die mehr nach unseren Vorstellungen dachten, haben
wir hier aufgenommen. Dabei will ich nicht einmal sagen, daß man
sie alle umgangssprachlich als "gute" Drow bezeichnen könnte, aber
sie verstehen den Wert dieser Gemeinschaft und viele von ihnen haben sich
schon nach wenigen Jahren ziemlich geändert und sind sogar dem Eilistraeekult
beigetreten."
"War das nicht hart, die eigenen Verwandten töten zu müssen,
ich meine die, die nicht eure Wege gehen wollten?"
"Die Frage meinst du doch nicht ernst, oder?" Dinin grinste.
Joro wußte natürlich, daß im Unterreich Brudermord
so ziemlich die einzige Möglichkeit war, den sozialen Status zu heben,
aber Dinin, Nalfein und die anderen hatten ja genau mit diesen Verhaltensweisen
nicht leben können und daher das Ende ihres Tyrannen herbeigeführt.
Dinin hatte seine Gedanken gelesen.
"Mir ist schon klar, daß du der Ansicht bist, daß wir
hier eine andere Moral an den Tag legen, als unsere Volksgenossen im Unterreich.
Aber du darfst dabei nicht vergessen, daß es das Wesen der Drow ist,
sich immer und ohne Skrupel bis aufs Letzte zu verteidigen."
Unwillkürlich griff sich Joro an den Hals, da ihn das an etwas
Unangenehmes erinnerte.
"Außerdem hätten sie uns ebenso bei der ersten Gelegenheit
ausgelöscht. Viele von ihnen machten uns für ihre eigene Situation
verantwortlich."
"Das macht Sinn..."
"Eben." Dinin biß von einem der Schenkel ab und kaute genüßlich
darauf herum.
"Hmmm, und nun..."
"Tja", Dinin schluckte, "erst einmal steht uns die Ankunft von ein
paar Hundert Duergar bevor, die wir hier durchlotsen müssen. Ich habe
schon mit einigen von unseren Leuten gesprochen und so richtig wohl fühlen
sich damit längst nicht alle."
"Hast du ihnen denn erzählt, was geschehen ist?"
"Das will Vierna morgen bei einer Versammlung machen. Das habe ich
schon allen, denen ich begegnet bin, erklärt."
"Wird das Ärger geben?"
"Nein, aber das Unwohlsein wird garantiert auch nicht verschwinden.
Unser Verhältnis zu den Duergar ist auch nicht viel besser, als das
zu den Menschen."
"Hm, Dinin?"
"Was?"
"Celestus sagte mir, daß ich für ihn nach Bargum gehen
muß."
"Wie bitte? Hat er auch gesagt wann und warum?"
"Nein, leider nicht."
Der Drow machte ein sehr besorgtes Gesicht.
"Das wird ziemlich gefährlich. Immerhin haben wir den Bischof
auf dem Gewissen."
"Naja, eigentlich hast du ihn ja auf dem Gewissen, aber ich
sehe keinen Grund, warum sie das nicht auch mir anhängen sollten."
"Dazu fällt mir vor allem gleich das Wort "aufhängen"
ein..."
"Ganz genau. Mir auch..."
"Ich schlage vor, ihn möglichst bald zu fragen."
"Das wird wahrscheinlich nicht viel bringen. Ich denke, er hat mir
seine Absichten bewußt nicht verraten."
"Dann wirst du es wohl oder übel auf dich zukommen lassen müssen."
Joro war sich sicher, daß Dinin wußte, wie sehr ihm
dieser Satz auf den Geist ging.
© Matthias
Wruck
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