Der Prophet und der Totengräber von Matthias Wruck
Kapitel 28

Joro wachte am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang auf und zog sich noch im Halbschlaf seine Rüstung an, um Laufen zu gehen.
Als er jedoch vor die Hütte trat, saß dort bereits Nalfein, seine Pfeife paffend auf einem Schemel und schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen.
"Spar dir den Lauf heute, Joro. Du wirst heute mehr laufen, als dir lieb ist."
"Und das Training?"
"Keine Zeit. Die Späher haben mir gestern gesagt, daß sie die Duergar spätestens bei Sonnenaufgang erwarten. Was meinst du wohl, warum hier schon so viel los ist?"
Tatsächlich. Er hatte es kaum bemerkt, aber überall aus den Häusern der Drow drangen bereits Geräusche und vereinzelt konnte er ein Flackern sehen, wo Öfen angeheizt wurden. Dabei fiel ihm auf, daß er es seltsam fand, daß sie niemals Licht brennen ließen, aber immerhin konnten sie in völliger Dunkelheit sehen, im Gegensatz zu ihm, weshalb er wohl oder übel immer eine Öllaterne mit sich herumtragen mußte, wenn er nachts aufstand.
"Tut dir das Licht eigentlich in den Augen weh?" Er bemühte sich, vorsorglich nicht in Nalfeins Richtung zu leuchten.
"Vor ein paar hundert Jahren wäre ich jetzt erst einmal blind gewesen, aber heute macht es mir nicht mehr so viel aus."
"Dann ist es ja gut. Das ist so eine der vielen Kleinigkeiten, die mir oft entfallen und ich will da keinem zu nahe treten..."
"Kannst du dir leicht merken... Das Drowwort "Ssussun", das "Licht" bedeutet, ist ein ausgesprochen böser Fluch."
"Ja, das hat mit Dinin schon einmal erklärt. Aber ihr Oberflächendrow könnt doch alle damit umgehen, oder?"
"Umgehen ja, aber das heißt nicht, daß es angenehm ist, im Dunkel plötzlich in ein Licht zu sehen. Geht es euch Menschen nicht genau so?"
Doch, das war in der Tat so. Er erinnerte sich, einmal lange Zeit im dunkeln gesessen zu haben und als dann jemand mit einer Fackel vorbeikam, konnte er für kurze Zeit kaum etwas sehen, weil sich in seinem Blickfeld ein heller Punkt abzeichnete.
"Du hast recht."
Er lehnte sich neben Nalfein an die Wand.
"Und wie wird das heute ablaufen?"
"Die Duergar werden hier durchmarschieren und mit dem Portal übersetzen. So wie Balthasar es Vierna und mir erklärt hat, bringen sie Maschinen mit, um auf der Stelle mit dem Bau zu beginnen. Zwerge, egal ob Duergar oder nicht, fühlen sich einfach wohler, wenn sie Steine über ihren Köpfen haben. Und ich kann dir sagen, da wirst du etwas zu sehen bekommen, was du noch nie gesehen hast."
"Beeindruckend?"
Der Drow machte ein bedeutsames Gesicht.
"Die meisten Duergarpriester sind Steinseher. Sie können Elementare von beträchtlicher Macht beschwören und diese helfen ihnen bei ihren Bauvorhaben. Außerdem haben die Duergar Maschinen, die sich durch den Stein graben können. Es würde mich nicht wundern, wenn sie schon heute Abend ihre erste Wohnhöhle fertiggestellt hätten."
"Erstaunlich."
"Das ist es in der Tat. Dennoch sollten wir aufpassen, daß es zu keinen Reibereien kommt, weder mit unseren Leuten noch mit den Menschen aus Noth."
"Ich war gestern auf der anderen Seite und habe mit Bregan geredet."
Nalfein nickte. "Ja, du hattest gesagt, daß du das vorhattest."
"Die Leute da drüben haben in etwa die selben Bedenken wie wir, aber ich habe sie beruhigt und ihnen gesagt, daß sie sich keine Sorgen machen sollen."
"Das hast du gut gemacht. Auch wenn ich die Befürchtung habe, daß wir uns unter Umständen trotzdem Sorgen machen müssen."
"Wir werden sehen."
Der Drow stand auf und stellte den Schemel unter den Hüttenrand.
"Komm, wir gehen zum Tunnel und warten auf der anderen Seite. Dinin sollte da auch bald eintrudeln, er ist noch mit den Spähern draußen."

Der Weg durch den Tunnel war dieses Mal irgendwie länger als zuvor. Das lag wohl daran, daß Joro es kaum erwarten konnte, die andere Seite, und das, was sich dort bald abspielen würde, zu sehen. Als sie schließlich das zweite Tor passierten, blickte er erwartungsvoll auf das Tal unter ihnen und sah... nichts.
Die Sonne leckte zwar bereits an den Kanten der Berge, aber es war immernoch stockduster und er konnte das Tal nur als einen einzigen, schwarzen Fleck erkennen.
"Siehst du etwas, Nalfein?"
"Unsere Nachtsicht ist recht begrenzt, Joro. Wir können damit nur auf etwa zwölf Schritte Dinge klar erkennen, danach ist es ein einziger violetter Schleier."
Erst wollte der Priester fragen, warum die Duergar ohne Fackeln oder dergleichen marschierten, falls sie schon nah genug heran waren, aber dann fiel ihm ein, daß auch Dunkelzwerge mit großer Sicherheit kein Licht brauchten, um sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Seine eigenen Augen kamen ihm bei diesen Gedanken irgendwie fehlerhaft vor.
Nalfein schüttelte sich.
"Es ist immernoch verdammt kalt dafür, daß hier kaum noch Schnee liegt. Der Boden ist ja auch noch gefroren." Wie zum Beweis stampfte er ein paar Male auf die steinharte Erdfläche, auf der er stand.
"Wollen wir ein Feuer machen?"
"Das würde nur unsere Position verraten, wer weiß, ob ihnen die Legion nicht gefolgt ist. Und ein verstecktes Feuer können wir nicht machen, weil wir keine Grube ausheben können in dieser Eisfläche, die sich Erde nennt."
"Mist."
"Ssussun, eh?" Nalfein lächelte schief.
"Was ist mit der Laterne, soll ich die auch abdecken?"
"Nein. Eine solche Funzel kann man kaum ein paar hundert Schritte sehen."
"Gut, ich will uns nur nicht in Gefahr bringen."
"Keine Angst, ich bin ja dabei, damit so etwas nicht geschieht."
"Du mein Retter..."
"Nicht frech werden!"

Sie warteten eine gute Stunde, wobei Joro die Erfahrung machte, daß Nalfein, entgegen Dinins Wesen, eine Person mit ausgesprochen wenig Geduld war. Er machte andauernd Striche an der Stelle, wo der Sonnenschein über die Berge hinweg auf den Boden schien und diese waren ziemlich dicht beieinander.
Joro kommentierte das nicht, er war selber nicht der geduldigste Mensch vor den Göttern.

Er wußte nicht genau, wie lange sie gewartet hatten, aber nach einer Weile huschte Dinin zu ihnen vor das Tor. Joro hatte ihn nicht gehört, er bemerkte ihn erst, als er zu sprechen begann.
"Sie kommen", sagte der Assassine leise, "ihre Vorhut war dicht hinter uns."
Obwohl es schon heller war, konnte Joro immernoch nichts erkennen.
Nalfein tauschte mit Dinin eine ganze Reihe komplexer Gesten aus, die für den Menschen viel zu schnell waren. Dann sagte er an ihn gewandt:
"Sie versuchen, noch bevor es völlig hell wird hier zu sein."
"Torkum befehligt ihre Vorhut, ich habe vorhin mit ihm gesprochen", fügte Dinin hinzu, "es sieht fast so aus, als hätten sie große Sorgen, daß die Legion ihnen folgt, obwohl sie dafür keinen Beweis haben."
"Das ist verständlich", sagte Joro. "Nachdem sie wissen, wo Balthasars Festung war, kommen sie bestimmt noch einmal wieder."
Dinin nickte. "Torkum hat mir auch gesagt, daß sie sich bemüht haben, es aussehen zu lassen, als seien die Legionäre in eine Falle der Duergar geraten und wären beim Einsturz des Berges unter den Felsen begraben worden."
"Wie denn das? Wir haben doch alle Leichen verbrannt."
"Du kennst die Duergar nicht. Die haben auch keine Probleme damit, verbrannte Leichen aus der Asche zu zerren, ihnen wieder Rüstungen anzuziehen und unter irgendwelche scheinbar heruntergefallenen Steine zu legen."
Das gefiel Joro ganz und gar nicht, aber er wußte, daß es notwendig gewesen sein mußte.
"Hoffen wir also, daß sie die Täuschung schlucken", meinte er mit säuerlichem Unterton in der Stimme.
Sie warteten noch eine kleine Weile, dann erschienen plötzlich etwa zwanzig Duergar direkt vor ihnen. Torkum, der an der Spitze stand, salutierte kurz vor Nalfein und schaute dann einmal in die Runde.
"Seid ihr alle schon bereit?"
"Da die Sonne bereits fast aufgegangen ist, sollten unsere Leute schon lange damit begonnen haben, einen befestigten Weg mit Planken zu legen, damit eure Maschinen darüber fahren können, ohne steckenzubleiben."
"Gut. Die sollten bald hier sein, wir haben einen Weg gefunden, sie schneller zu bewegen, auch wenn das zur Folge hatte, daß wir viel Hausrat zurücklassen mußten. Aber der Zweck heiligt die Mittel."
"Mit anderen Worten: Weniger tragen und mehr ziehen?"
Der Duergar blekte seine gelben Zähne.
"Ganz genau."
"Dann heißt es jetzt also warten. Ich hoffe sie treffen noch rechtzeitig ein."

Die Sonne war halb über den Hang gezogen, als Joro endlich unten im Schatten einen ziemlich langen Troß von Dunkelzwergen erblickte, die sich die steile Bergwand hochkämpften. Sie zogen große Konstrukte hinter sich her, wobei sich der Priester fragte, wie sie diese durch den Tunnel bekommen wollten. Immerhin gingen die Tore kaum richtig auf und der Gang selbst war auch nicht der größte. Darauf angesprochen antwortete Torkum:
"Nalfein und Vierna haben unserem König genaue Angaben darüber gemacht, wie groß der Durchlaß ist. Und es gibt kein Tor der Welt, das zweihundert Duergarkrieger nicht aufstemmen können."

Eine halbe Stunde später kam der Haupttroß oben an, allen voran Balthasar. Dieser begrüßte Nalfein, Dinin und Joro knapp und brüllte dann sofort Anweisungen, das Tor zu öffnen.
Torkum hatte nicht übertrieben. Jeweils etwa fünfzig Duergar packten je einen Torflügel und bogen die schweren Metallplatten, die die drei Drow und Joro zusammen kaum soweit hatten bewegen können, um durchzuschlüpfen, wie Schilfhalm in beide Richtungen auseinander, wobei Steine und Geröll, die davor lagen, geradezu durch die Luft flogen.
Der König betrachtete die Arbeit seiner Männer ausgesprochen wohlwollend und flüsterte, ohne dabei die Miene zu verziehen, Nalfein zu:
"Endlich haben sie wieder etwas zu tun. Das vertreibt die ganzen Flausen, die sie über die Jahre in ihre Köpfe bekommen haben."
Was folgte, war, daß die Duergar begannen, die Wagen mit den Habseligkeiten und die Maschinen durch die Öffnung in den Tunnel hereinzuziehen, wobei sie mehr als hart von den Offizieren des Königs angetrieben wurden.
Die Duergarfrauen, derer nicht gerade wenig waren, trugen allerlei Säcke und zu Joros Erstaunen auch Kinder mit sich und bemühten sich dabei, den Soldaten so gut es ging nicht in die Quere zu kommen.
Joro half mit, so gut er konnte. Leider mußte er schnell herausfinden, daß Duergar ihre eigene Form hatten, mit Hilfe umzugehen. Im Nu war er so überladen, daß er kaum noch laufen konnte. Dinin lief feixend neben ihm her, bis er dem Drow einen der Säcke in die Hand drückte, was von einigen Duergar sofort damit quittiert wurde, ihm ebenfalls einige Gepäckstücke zu geben.
Dinin sah ihn bitterböse an, aber Joro grinste nur frech zurück.
"Du warst doch eben noch so fröhlich?"
"Klappe halten", knurrte der Drow zurück.

In der Enklave selbst hatten Nalfeins Zimmermannskollegen bereits eine Bahn aus dicken Brettern gebaut, um die Stellen in der Enklave, wo der Boden vom Tauwetter noch durchweicht war, für die Maschinen befahrbar zu machen.
Dennoch dauerte es einige Stunden, bis die Zwerge die schweren Konstruktionen aus Holz und Metall auch nur halb durch das Tal gewuchtet hatten. Die Balken hielten zwar, aber sie mußten nach jedem Mal, an dem sie befahren worden waren erst einmal aus dem Schlamm gegraben werden, um erneut auf dem Boden ausgelegt werden zu können. Die Gerätschaften der Duergar waren doch wesentlich schwerer, als man es angenommen hatte.
Der Mittag war schon lange vorbei, als sie die ersten von ihnen endlich an den Portalkreis geschafft hatten.
Selbst Balthasar, der zunächst nur danebengestanden hatte, um zu kommentieren, hatte sich am Ende von seinem tragbaren Thron herabgelassen und war den anderen zur Hand gegangen. Die Drow hatten ebenfalls so gut sie konnten gezogen, gebremst und gestützt, wo es nötig war. Anfänglich hatten die Duergar das nicht sonderlich begrüßt, aber als sie sahen, daß sich die Dunkelelfen ehrlich bemühten, hatten sie schweigend Platz gemacht, um sie mit anpacken zu lassen.

Sie bemühten sich, so gut sie konnten, die schweren Maschinen auf das Portal zu schieben, was dank der harten Steinplatte recht einfach war, sobald die vorderen Räder der teilweise bis zu vier Achsen aufweisenden Geräte erst einmal darauf waren.
Joro stellte sich, während er immer wieder Säcke und Kisten annahm, um sie in einer Kette weiterzureichen, immer wieder die Frage, wozu die Apparate mit ihren Massen an Streben, Ketten und dergleichen eigentlich überhaupt dienten. Das mußte allerdings warten, denn es gab noch irrsinnig viel zu tun.
Sie schufteten bis zum Sonnenuntergang, dann war die letzte Maschine auf der anderen Seite. Joro brach fast zusammen, als er endlich den letzten Sack ablegte und sich müde auf einen Findling hockte.
Die Menschen aus dem Wald halfen nun ihrerseits, die Habseligkeiten der Duergar zu einem bestimmten Ort unten am Waldrand, nahe der Bergwand zu bringen.
Dort hatten die Seher des König bereits lange bevor die ersten Maschinen angekommen waren damit begonnen, einige sehr große Kreise mit allerlei magischen Zeichen auf den Boden zu malen und hatten sich daraufhin in Dreiergruppen um diese Kreise gestellt und Gesänge angestimmt.
Joro hatte das einige Male, wenn er hin- und herwechselte, um Gepäck auf die andere Seite zu bringen, beobachtet und sich daran erinnert, was man ihm über die Elementare gesagt hatte.
Er hatte derartige Kreaturen noch niemals gesehen und ertappte sich trotz seiner körperlichen Verfassung dabei, es unbedingt sehen zu wollen, anstatt sich alsbald ins Bett zu legen.
Sowieso war er erstaunt, daß er die unglaublichen Anstrengungen der letzten Zeit so gut überstanden hatte. In den letzten Tagen war es ihm fast so, als sei sein Bauch geschrumpft und seine Arme muskulöser geworden. Auch seine Beine hatten einiges an Fett verloren.
Dabei sah er trotzdem nicht gerade dünn oder gar durchtrainiert aus, aber er machte sich auch keine Illusionen, da er seinen Vater noch gut in Erinnerung hatte. Dieser war trotz seiner nicht unerheblichen Kraft immer ein untersetzter, eher stämmiger Mensch geblieben.
Die Ereignisse unten am Waldrand brachten ihn aus seinen Gedanken.
Die Zwerge hatten überall Feuerschalen aufgestellt, deren Kohlenglut den Waldrand schwach erleuchtete. Joro nahm an, daß das eher dem Ambiente galt, als tatsächlich, um Licht zu haben. Es war ja nicht von der Hand zu weisen, daß Duergar, wie die meisten Zwergenrassen - so nahm er an - mit den Elementen des Feuers und der Erde sehr verbunden waren.
Die Seher hatten ihre Gesänge beendet und knieten nun an den Rändern der Kreise. Dabei pulsierten die Zeichen auf dem Boden in grünem Licht. Dieses Pulsieren wurde zunehmend stärker und dann erlosch es mit einem Male.
Was dann geschah, erfüllte Joro mit großer Erfurcht.
Der Boden in den Kreisen wölbte sich nach oben und langsam aber sicher schälten sich vage humanoide Schemen aus der Erde, ganz aus Stein bestehend. Dabei ertönte ein unglaublich lautes Brechen, Schleifen und Knirschen, als sie durch den Felsen barsten.
Joro zählte vier von ihnen und sie mußten jedes größer als sechs oder sogar sieben Schritte sein!
Die Müdigkeit war wie verflogen und er starrte nur gebannt auf das Geschehen.
Eine Hand riß ihn unversehends aus seiner Faszination, als ihm eine schwere Pranke auf die rechte Schulter klopfte. Er fuhr herum und neben ihm stand der Duergarkönig, der irgendwie eine dicke Oberlippe hatte.
Balthasar hatte bemerkt, daß ihm der Mensch auf den Mund starrte und reichte ihm eine Dose entgegen.
"Magst du probieren?"
"Was ist das?"
"Kautabak, der beste der Welt."
"Laß mich raten, ein einzigartiges Duergarrezept?"
Der dicke Zwerg grinste.
"Wie hast du das erraten?"
Joro betrachtete den Inhalt der Dose. Es war ein loses, schwarzes Etwas, das irgendwie streng roch.
"Und was macht man damit?"
"Meine Güte, du bist ein Mann und hast noch nicht einmal Kautabak probiert?" Balthasar war fassungslos. Dann schaute er ihn prüfend an. "Du bist doch schon ein Mann, wenn du verstehst, was ich meine?", fragte er.
Der junge Mensch nickte schüchtern.
"Na, dann ist es an der Zeit, daß du nach dem Unterleib einer Frau auch einen guten Kautabak probierst." Der Duergar spuckte einen schwarzen Klumpen auf einen der Steine in der Nähe und sagte dann:
"So geht das, du nimmst mit Daumen und Zeigefinger einen kleinen Klumpen und rollst ihn dann zu einer kleinen Rolle." Balthasar machte es ihm vor. "Und dann schiebst du dir die Rolle unter die Oberlippe, ganz einfach."
Joro dachte erst darüber nach, es abzulehnen, aber er war sich mehr als sicher, daß das nicht in Frage kam. Also griff er in die Dose, nur um zu bemerken, daß die schwarze, suspekte Masse sogar leicht feucht war und sich irgendwie wie Torf anfühlte. Dann nahm er einen kleinen Klumpen davon, ließ sich von Balthasars gekichertem 'Mädchenportion' nicht abschrecken und formte mit ungeschickten Fingern eine kleine Rolle davon, die er sich dann unter die Oberlippe steckte, mit dem innerlichen Gebet, daß das Zeug nicht so schmecken würde, wie es roch.
Der König quittierte das mit einem Grunzen und wandte sich wieder dem Geschehen am Waldrand zu. Joro tat das auch und wartete dabei innerlich darauf, was wohl mit dem eigentlich nur etwas salzig schmeckenden Klumpen unter seiner Lippe geschehen würde. Einige Momente später bereute er das gravierend.
Ihm wurde erst ein bißchen komisch, dann kippte plötzlich irgendwie der Horizont weg und das Nächste, was er bemerkte, war, daß er sich furchtbar übergeben mußte, was aufgrund seines vergleichsweise leeren Magens ziemlich weh tat.
Balthasar neben ihm lachte sich fast tot und als Joro sich wieder einigermaßen zusammengenommen hatte und sich wieder auf den Stein setzte, klopfte er ihm gönnerhaft auf die Schulter.
"Die ersten Male sind immer ein bißchen heftig, aber man gewöhnt sich daran, glaub mir das."
Joro kommentierte das nicht, sondern wischte sich mit etwas Gras den Sabber vom Mund.
Erst einmal wollte er sehen, was dort unten los war, um damit seine Gedanken von seinem Magen abzulenken.
Die Elementare waren mittlerweile vollständig aus dem Boden gewachsen und wurden von den Sehern umrundet, die scheinbar beschwichtigend auf sie einsangen.
Dann traten sie alle von den Kreisen zurück und überließen den Elementaren den Weg auf die Felswand frei.
Was dann geschah, brachte ihn außer Atem. Die vier riesigen Gestalten setzten sich unglaublich langsam in Bewegung und näherten sich den steil emporragenden Mauern aus Stein. Als sie diese mit schier unmenschlich niedriger Geschwindigkeit erreichten, teilte sich vor ihnen das Massiv, als sei jemand mit einem heißen Eisensporn in eine Kerze gefahren. Das Gestein brach nicht, es splitterte auch nicht fort, sondern es schmolz. Nicht so wie bei Vulkanausbrüchen, von denen Joros Großvater einmal erzählt hatte, sondern es wurde einfach zu einer grauen Masse, die zu Boden lief und sich darüber verteilte.
Die vier vage wie Menschen aussehenden Figuren aus Stein gingen, oder besser schlurften, sehr dicht beieinander, so daß sie in Kürze einen Tunnel von beachtlicher Größe in den Stein trieben.
Die Duergar waren ihrerseits dabei, mit ihren Maschinen das geschmolzene Gestein nicht nur weitflächig zu verteilen, sondern auch zu sammeln, um es schnell an andere Orte zu bringen, um es dort ebenfalls auf den Boden auszubreiten.
Bald waren die Elementare im Berg verschwunden und die Maschinen der Duergar folgten ihnen nach. Balthasar machte ein paar Schritte vorwärts, er hatte die ganze Zeit neben ihm gestanden. Doch er hielt kurz inne und stellte die kleine Dose vor Joro auf einen Stein.
"Zum Üben, junger Mann."
Dann ging er gemächlich, mit wackelndem Bauch den Hang herab, auf seine Leute zu.

Joro war müde und entschloß sich, jetzt ins Bett zu gehen. Zunächst schaute er jedoch lange auf die Dose, um sich am Ende doch dazu zu entschließen, sie mitzunehmen.
 

© Matthias Wruck
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Und schon geht es hier weiter zum 29. Kapitel...

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