Der Prophet und der Totengräber von Matthias Wruck
Kapitel 35

Das Volk von Bargum hatte nur darauf gewartet, daß sie endlich aus dem Schloß kamen. Ein tosender Jubel entbrannte und die Menschen mußten von der Stadtwache zurückgedrängt werden, damit Olgerich und Joro durch eine Gasse den Weg nach oben zum Kloster beschreiten konnten.
Dabei konnte der Bischof in spe sehr zu seiner Freude ein paar Gesichter erkennen, an die er sich von seiner Arbeit auf dem Friedhof vor der Stadt erinnerte.
Immer wieder hörte Joro Menschen in seiner Nähe Glückwünsche oder Heilsrufe in seine Richtung brüllen, aber er verstand kaum etwas, da der Krach, den die Menge machte, so ohrenbetäubend war, daß er nicht einmal seine eigenen Gedanken richtig verstehen konnte.
Sie kamen aber gut voran, die Stadtwache, und auf halben Wege dann die Gardisten des Klosters, hielten mit ihren langen Hellebarden, die sie quer vor sich nahmen, einen etwa zwei Schritte durchmessenden Durchgang frei, durch den der Fürst, Joro und der Hauptmann, den Olgerich wohl als Leibwache mitgenommen hatte, langsam, aber stetig durchschritten.
Eigentlich war ihm das alles zu viel, also hätte er es begrüßt, so schnell wie möglich in das Kloster zu laufen, aber ihm war auch die Gewichtigkeit dieses Momentes bewußt, daher blieb ihm nichts anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen.
Schließlich kamen sie endlich am Kloster an.
Im Innenhof hatten sich hunderte der Priester versammelt. Joro entging nicht, daß eine ganze Reihe Gesichter ihn unverhohlen abschätzig musterten.
Sie durchschritten auch den Hof und betraten das Hauptgebäude, nur gefolgt von einer kleinen Schar Priester.
Dieses Mal ging es in die andere Richtung, direkt von der Eingangshalle durch eine große zweiflügelige Tür in einen Saal, an dessen Ende ein Thron auf einem Podest aus Basalt stand.
Der Saal war, was Decke und Fußboden anging, genauso eingerichtet wie der Speisesaal, nur war die Decke eine Kuppel, die keiner Säulen bedurfte. An den Wänden hingen auch keine Gemälde oder Teppiche, sie waren einfach nur schwarz und glattpoliert. Es waren allerdings Seitentüren darin eingelassen.
Die Prozession hielt an und der Fürst deutete auf den Thron.
"Setzt Euch, Bischof, er ist Euer."
"Bekomme ich nun noch eine Krone aufgesetzt oder so etwas?", fragte der junge Mann ihn leise.
Olgerich lachte.
"Nein, Ihr laßt Euch darauf nieder und dann werden die Türen geöffnet, damit die Priester hereinkommen und Euch ihre Aufwartung machen können."
Joro machte ein paar unsichere Schritte auf den großen, breiten Sessel mit den Sichelverziehrungen zu.
Die Stimme in seinem Kopf hatte einen beinahe öligen Klang.
'Nur Mut, mein Sohn. Du hast deine Entscheidung getroffen und es ist jetzt auch zu spät, einen Rückzieher zu machen.'
Er kam am Podest an und stieg die beiden Stufen hinauf. Dann drehte er sich um und ließ sich auf dem Thron nieder. Dieser war erstaunlich weich und komfortabel. Zumindest in soweit, wie die Rüstung es zuließ...

Die linke Seitentür des Saales ging auf und eine einzelne Gestalt kam hereingeschlurft, eine kleine Truhe in der Hand. Olgerich wollte etwas sagen, aber Joro erkannte Albrecht und machte ein Zeichen, daß es in Ordnung war.
Der Leichnam näherte sich ihm und hielt ihm die Truhe hin.
"Ein gemeinsamer Freund meinte, Moment, wie drückte er sich aus: 'Du könntest vermeiden wollen, eine kalte Birne zu bekommen'."
"Ihr beide versteht euch prima, was", Joro verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln.
"Wir haben Gemeinsamkeiten."
In der Truhe befand sich der Helm, den er Dinin gegeben hatte, bevor er in die Stadt gegangen war. Er nahm ihn heraus und setzte ihn sich auf, woraufhin Albrecht die Truhe zuklappte und ein paar Schritte zurückging.
Olgerich schmunzelte.
"Na, da habt Ihr eure Krone, Bischof."

Der Fürst wandte sich herum und gab den beiden Gardisten, die an der Tür standen ein Zeichen, sie zu öffnen, dann stellte er sich an Joros rechte Seite.

Durch die Tür kamen nur zehn Priester herein, schritten langsam auf den Thron zu und hielten dann etwa fünfzehn Schritte davor an.
Einer von ihnen, ein alter Mann mit Vollbart und wirren, langen Haaren, die in alle Richtungen standen, trat vor und verbeugte sich tief.
"Ich grüße Euch, Erzbischof Joro Macun."
Joro nickte ihm zu und fragte:
"Wie lautet Euer Name?"
"Ich heiße Toldor Eivrin, ich bin der dienstälteste Priester im Kloster. Man hat mich ausgewählt, um Euch die Aufwartung zu machen und euch zu begrüßen. Diese neun und ich bilden den Ältestenrat hier im Kloster und der ist seit jeher als Beratergruppe für den Bischof gedacht."
Der neue Bischof kratzte sich am Kopf, beziehungsweise Helm und schaute zu Olgerich.
"Warum heißt das eigentlich abwechselnd das eine Mal Erzbischof und dann nur wieder Bischof?"
Toldor sprang für den Fürsten ein:
"Weil wir zehn Priester formell ebenfalls Bischöfe sind und Ihr uns vorgesetzt seid. Diese förmliche Bezeichnung steht aber nur auf dem Papier, wir sind Brüder im Geiste, wie alle anderen Priester hier."
Er legte den Kopf schief.
"Wie kommt es, daß Ihr das nicht wißt?"
"Ich bin erst seit etwa einem Vierteljahr ein Diener unseres Herren und lerne immernoch eine Menge. Es freut mich zu sehen, daß hier Priester sind, die mir helfen können..."
Der alte Mann betrachtete verwirrt den neuen Bischof. Ein rechter Jungspund, keine zwanzig und ohne Erfahrung? Sollte das wirklich die Wahrheit sein?
Joro sah sich unschlüssig um, dann betrachtete er Toldor. Dieser sah erwartungsvoll zurück und fühlte sich genötigt, den neuen Bischof vielleicht auf die Sprünge zu helfen.
"Es wäre gut, wenn wir Euch einen Überblick über die Vorgänge in der Kirche geben könnten. Ihr müßt selbst nicht viel tun, außer hin und wieder ein paar Dokumente zu unterzeichnen und bei Zeremonien anwesend sein."
Das konnte unmöglich im Sinne Celestus’ sein, das war Joro klar. Deshalb fragte er ihn einfach.
'Du willst, daß ich das hier alles richtig mache, nicht wahr?'
'Richtig', kam es trocken zurück.
'Und ich soll einfach meinem Herzen folgen?'
'Du hast es erfaßt.'
Joro dachte angestrengt nach, während die Priester vor ihm sich zusehends fragten, was wohl in ihrem neuen Bischof vorging.
'Wer von ihnen ist wirklich ein Gläubiger?'
'Außer Toldor keiner.'
'Keiner?'
'Das waren, wenn ich mich recht erinnere, meine Worte.'
Der Bischof stand auf und sah sich alle vor ihm stehenden Männer genau an. Dann zeigte er auf Toldor.
"Du bleibst, alle anderen verlassen den Raum!" Er wandte sich an Olgerich: "Würdet Ihr mich bitte mit diesem Mann alleine lassen?"
Der Fürst nickte und ging auf eine der Seitentüren zu.
Unter den neun anderen Priestern war ein Raunen ausgebrochen, das von Joro mit einem "Schweigt und geht!" unterbrochen wurde. Widerwillig drehten sie sich um und verließen die Halle.
"Wachen? Ihr wartet auch draußen, ich will mit ihm allein reden. Und Jan?"
Albrecht sah zu ihm auf.
"Ja?"
"Du gehst auch."
"Zu Diensten, Euer Eminenz."
Schließlich waren nur noch Toldor und er im Saal. Der alte Mann sah ihn völlig verwundert und mit noch größerer Verwirrung als vorher an.
"Was ist Euer Begehr, Erzbischof?"
Joro verließ das Podest, ging an die Wand dahinter und holte einen Stuhl, der dort stand. Dann trug er ihn herüber und stellte ihn vor dem Thron auf.
"Setzt Euch, Toldor. Mir ist nicht entgangen, daß Ihr nicht mehr der Jüngste seid."
Trotz seiner angeschlagenen Contenance setzte sich der alte Priester auf den Stuhl und Joro stieg wieder die Stufen zu seinem Sitz hinauf, um sich ebenfalls hinzusetzen.
"Nun... Ich weiß, daß Ihr ein gläubiger Mann seid, Toldor."
"Ich bin seit über fünfzig Jahren im Dienste des Herren, wenn Ihr das meint, Bischof Macun."
"Nein, das meine ich nicht."
Toldor wußte immer weniger, was sein Gegenüber eigentlich von ihm wollte.
"W...was meint Ihr dann?"
"Das, was ich sagte. Ihr seid ein Gläubiger und nicht nur ein Priester. Mir, und vor allem dem, dem wir beide folgen, ist bereits lange klargeworden, daß es da einen großen Unterschied gibt in diesem Hause."
Der alte Mann wirkte überrascht, aber er lächelte mit einem Male freudig.
"Es ist lange her, daß ich solche Worte hörte, mein Bischof. Und wahrscheinlich ist es das erste Mal seit Jahrhunderten, daß sie sogar aus dem Munde eines Erzbischofs kommen."
"Ich bin hier, weil mich Celestus beauftragt hat, diese Kirche wieder auf ihren Weg zu führen..."
Toldors Augenbraue hob sich, aber Joro fuhr fort:
"Aber es ist offensichtlich, daß ich praktisch gar nichts über sie weiß, außer jenen Dingen, die ich bereits gesehen habe und die sowohl mir, als auch unserem Herren mißfallen."
"Ein solches Vorhaben ist nicht gerade einfach, mein Bischof, vor allem frage ich mich, wie Ihr das anstellen wollt."
Joro seufzte.
"Wenn ich das wüßte, wäre ich wesentlich glücklicher. Aber...", er kratzte sich am Hals, "Celestus sagte mir, daß Ihr einer der wenigen hier seid, die noch zu ihm beten und seine Wege gehen. Außerdem macht Ihr auf mich den Eindruck, als seiet Ihr sehr bewandert in den Dingen, die hier so vor sich gehen. Immerhin seid Ihr einer der zehn Berater, oder?"
Toldor blickte traurig zu Boden.
"Wenn Ihr nur wüsstet, Herr..." Er breitete seine Arme aus und suchte nach Worten. "Hier ist nichts am rechten Fleck. Vor allem nicht die Herzen der Menschen, die sich als Priester ausgeben."
Es war nicht leicht, das auszusprechen, da Joro fürchtete, damit Toldors Widerspruch zu erregen, aber das, was ihm auf der Seele brannte, mußte einfach heraus.
"Dann werden wir jeden, der nicht im Sinne unseres Gottes handelt und sich nicht zu unserem Glauben bekennt, aus dem Kloster werfen."
Der Mund des alten Mannes auf dem Stuhl vor ihm klappte auf und er schaute ihn fassungslos an.
"Wie... wie stellt Ihr Euch das vor?"
"So, wie ich es sage, Toldor."
"Aber Ihr könnt nicht einfach... ich meine, Ihr seid doch gerade erst heute gewählt worden..."
Joro streckte das Kinn vor und sah den Mann vor ihm herausfordernd an.
"Celestus hat mich persönlich ausgewählt und mir gesagt, daß ich nach meinem Herzen handeln soll. Mein Herz sagt mir, daß diese ganze Kirche in ihrem jetzigen Zustand eine einzige Lüge ist. Und wenn sie nun auch noch so bestehen bleibt, dann wird sie nichts, aber auch gar nichts tun, was in seinem Sinne ist."
Toldor dachte lange nach, bevor er antwortete. Doch schließlich nickte er.
"Ja, Ihr habt recht, so ist das wohl." Er blickte ihm direkt in die Augen. "Es erstaunt mich, von einem jungen Mann ohne Erfahrung derart klare Worte zu hören."
"Ich weiß, daß ich kaum etwas über diesen Ort weiß. Das ist allerdings vermutlich besser so."
"Da habt Ihr nicht ganz Unrecht..."
Sie drugsten beide eine Weile herum, dann brach Toldor das Schweigen.
"Also wollt Ihr alle, die nicht an Celestus glauben, aus dem Kloster verbannen?"
"Von verbannen ist keine Rede. Nur herauswerfen und ihnen eine Chance geben, vielleicht geläutert zurückzukehren."
"Das wird eine Menge Ärger und Haß verursachen."
Joro kniff die Augen zusammen und sah ihn forschend an.
"Celestus ist auf meiner Seite, Toldor. Er hat mich nicht nur schon mehrfach gerettet, sondern immer dafür gesorgt, daß es mir an nichts fehlte. Ich sehe keinen Grund, mein Vertrauen darauf zu verlieren, daß er das auch weiterhin tun wird."
"Ich hoffe, daß dieses Vertrauen niemals enttäuscht wird." In der Stimme des alten Mannes schwang ein gewisser Zweifel mit, aber Joro wußte selbst, daß es nicht so einfach war. Er war sich auch sicher, daß Toldor das nicht entgangen war, deshalb antwortete er nicht.
Dieser war allerdings noch aufgrund einer anderen Sache im Zweifel.
"Was glaubt Ihr denn, wieviele Menschen noch in diesen Mauern sein werden, wenn Ihr alle zum Fortgehen auffordert, die nicht an den Herren glauben?"
"Drei oder vier, Euch eingeschlossen."
Toldor sah ihn verblüfft an.
"Wie bitte?"
"Celestus sagte, daß hier, mir inklusive, drei oder vier Gläubige sind."
"Ihr sprecht wirklich mit ihm, oder?"
"Wäre es für Euch einfacher, wenn er käme, um es Euch zu bestätigen?"
"Nein, Ihr seid ein Daishani, wie ich. Ich vertraue Eurem Wort."
"Justin hat ein gefälschtes Mal auf der Kehle."
"Ihr seid aber nicht Justin, oder?"
Joro lächelte. "Nein."
"Dann glaube ich Euch auch."
"Drei oder vier ist doch nicht schlecht, oder? Vielleicht finden wir ja in der Stadt und den umliegenden Dörfern noch andere junge Novizen, die vielleicht eines Tages einmal Priester werden könnten."
Toldor stöhnte leise.
"Euer Idealismus ist stark, Eminenz, aber ich hoffe auch, daß Ihr wißt, was das für eine Aufgabe sein wird."
"Nun... Vielleicht haben wir ja einen Helfer wider Willen, der, wenn ich nicht hier sein kann, seinen Teil dazu beitragen wird." Er wandte sich in Richtung einer der Seitentüren: "Jan! Ich weiß, daß du lauschst, komm herein!"
Die Tür öffnete sich und herein trat Albrecht und schlenderte, die Arme hinter dem Rücken, auf den Thron zu."
"Ja bitte, Euer Eminenz?"
"Toldor, darf ich Euch Erzbischof Jan Albrecht Makrah vorstellen?"
Der alte Mann sah verwirrt zwischen Joro und dem vermeintlichen Pilger hin und her.
"Wie, äh, was...?"
Albrecht sah Joro an und die Lichter unter seiner Maske schienen ein bißchen böse zu glitzern.
"Gibt es einen bestimmten Grund, warum du ihm meine Identität verrätst?"
"Du hast doch bestimmt gelauscht, also weißt du, was ich damit bezwecke."
Der Leichnam grunzte.
"Mein lieber Joro, ich beginne langsam zu glauben, daß du wesentlich mehr mit deinem Gott gemein hast, als es mir lieb ist."
"Weich nicht vom Thema ab. Du bist derjenige, der das alles hier einst aufgebaut hat und der alle Regeln aufgestellt hat, die in den letzten Jahrhunderten vergiftet, verdreht und zerstört wurden."
"Wollt Ihr wirklich behaupten, daß das Erzbischof Albrecht ist, mein Bischof?" stammelte Toldor.
Albrecht kam Joro zuvor und nahm einfach seine Maske ab. Der alte Mann sprang aus seinem Stuhl und fiel auf die Knie, um ein Stoßgebet zu sprechen.
"Sorgt Euch nicht, Toldor, er ist auf unserer Seite, nicht wahr?" Joro wandte sich mit nachdrücklicher Körperhaltung dem Untoten zu.
"Es ist eigentlich nichts, was diesen Mann etwas anginge, Jungchen, aber hast du vergessen, daß ich Celestus nicht mehr diene?"
Joro lächelte schnippisch.
"Dann sorg du für das Weltliche und ich werde in der neuen Kirche für das Geistliche sorgen. Kannst du damit leben?"
Für einen Moment schien es, als wollte Albrecht sich umdrehen und einfach gehen. Aber irgendetwas in ihm brachte ihn dazu, es sich anders zu überlegen.
Indes stieg Joro vom Thron herunter und half dem völlig außer sich geratenen alten Mann auf und ließ ihn sich wieder auf den Stuhl setzen. Dann drehte er sich erneut zu Albrecht um und sagte:
"Du weißt genau, daß sich eine böse, goldene Welle vom Süden her über die Länder ergießt. Ich habe auch noch außerhalb dieser Mauern ein paar Verpflichtungen und denen muß ich ebenfalls nachkommen. Meine Loyalität ist zwar in erster Linie an Celestus gebunden, aber meine Freunde, die ersten wahren, die ich jemals hatte, werde ich niemals im Stich lassen."
"Und ich halte hier deinen Sessel kalt, während du mit den Dunkelelfen durch die Gegend ziehst?"
"Nein. Du sollst helfen, daß diese Kirche aus sich selbst heraus existieren kann. Das Buch, das du damals geschrieben hast, existiert das noch in seiner Originalfassung?"
Es war Toldor, der antwortete. "Ich habe eine authentische Fassung davon." Er war wieder einigermaßen Herr seiner Empfindungen.
Albrecht und Joro sahen ihn beide verdutzt an. Naja, Albrecht wohl einfach nur mit Interesse, aber Joro war tatsächlich überrascht.
Dennoch klang in den Worten des Leichnams irgendwie Fassungslosigkeit.
"Meint Ihr das ernst, Toldor?"
"Ja. Als mich Celestus vor dreiundfünzig Jahren berief führte er mich zu einem verlassenen Ort, einem alten Turm, in dem es eine Kiste mit einer Menge alter Bücher gab. Eins davon war ein Original der Regeln, die bei der Kirchengründung aufgestellt worden waren. Persönlich geschrieben von Erzbischof Jan Albrecht Bakrah."
Albrecht schnaubte.
"Da ist das Buch also geblieben, ich suche es schon die ganze Zeit..."
"Verzeiht?"
"Nicht weiter wichtig, Toldor. Diese Kiste war eins meiner Bücherlager... Fahrt fort."
"Nun", der alte Mann war von Albrechts Kommentar etwas verunsichert, "ich habe es immer wie einen Schatz gehütet, vor allem, weil ich den starken Unterschied zwischen dem, was heute in den Büchern steht und was in diesem einen stand, erkennen konnte."
"Dann haben wir eine gute Grundlage", meinte Joro. "Wenn Albrecht sich entschließt zu helfen und Ihr das Eurige dazu beisteuern könnt, dann haben wir einen soliden Boden, um darauf zu pflanzen."
Toldor sah Albrecht an.
"Wie... wie seid Ihr zu dem geworden, was Ihr seid?"
"Das werde ich Euch schon noch erzählen, Toldor, mein Wort darauf."
Dieser Ausspruch des Leichnams war für Joro die Bestätigung, daß sich der alte Erzbischof entschlossen hatte zu helfen. Nur über die wahren Gründe war er sich nicht ganz klar, aber er beschloß, ihn irgendwann näher danach zu fragen. Jetzt wandte er sich erst einmal wieder an Celestus.
'Kannst du mir die Namen derer nennen, die wir behalten sollen?'
'Laß dir von Toldor helfen', antwortete der Gott nur knapp.
Joro wandte sich an Toldor.
"Sagt, wüsstet Ihr noch einen oder zwei hier im Kloster, der wirklich gläubig ist?"
Der alte Mann grübelte eine Weile, dann sagte er:
"Nur noch Franz, der Koch. Er ist kein Daishani, aber einer der gläubigsten Anhänger unseres Herren, den ich kenne. Er hat in seinem Heimatland als Totengräber gearbeitet, obwohl er eigentlich Koch war. Da gab es eine große Seuche, die er als einer der wenigen überlebt hat... Ist auch schon ein paar Jahre her...", sein Blick schweifte ab.
"Sonst keiner?"
"Nein", antwortete Toldor niedergeschlagen.
Joro streckte sich und dabei knackten seine Schultern, die vom Gewicht der Rüstung stark belastet waren. Dabei kam ihm kurz der Wunsch auf, ein gewisses Paar schwarzer Hände zu spüren, wie sie... nein, für solche Gedanken war jetzt kein Platz.
"Dann werde ich nun das tun, was notwendig ist."
Er ging zur Eingangstür und öffnete einen der beiden Flügel.
Die Wache auf der rechten Seite sah ihn verwundert an.
"Soldat?"
"Ja, Euer Eminenz?"
"Holt mir den Koch, Franz."
Obwohl der Gardist einigermaßen erstaunt war, schlug er die Hacken zusammen und trabte los. Die Menge vor Joro sah ihn schweigend und erwartend an. Er sah einmal in die Runde und fühlte ein Gefühl der Verachtung in sich aufsteigen.
"Hört mich an, alle, die hier sind! Ich will, daß ihr alle eure Habseligkeiten zusammenpackt und euch auf eine Reise vorbereitet. Sobald ihr fertig seid, versammelt ihr euch im Hof, ich werde euch dann sagen, wo es hingeht."
Eine Stimme erscholl aus den Reihen der Priester.
"Um was für eine Reise handelt es sich dabei, Bischof Macun?"
Joro lächelte eisig.
"Nennt es eine Pilgerfahrt. Zur Läuterung."
 

© Matthias Wruck
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Und schon geht es hier weiter zum 36. Kapitel...

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