Das Volk von Bargum hatte nur darauf gewartet, daß sie endlich
aus dem Schloß kamen. Ein tosender Jubel entbrannte und die Menschen
mußten von der Stadtwache zurückgedrängt werden, damit
Olgerich und Joro durch eine Gasse den Weg nach oben zum Kloster beschreiten
konnten.
Dabei konnte der Bischof in spe sehr zu seiner Freude ein paar Gesichter
erkennen, an die er sich von seiner Arbeit auf dem Friedhof vor der Stadt
erinnerte.
Immer wieder hörte Joro Menschen in seiner Nähe Glückwünsche
oder Heilsrufe in seine Richtung brüllen, aber er verstand kaum etwas,
da der Krach, den die Menge machte, so ohrenbetäubend war, daß
er nicht einmal seine eigenen Gedanken richtig verstehen konnte.
Sie kamen aber gut voran, die Stadtwache, und auf halben Wege dann
die Gardisten des Klosters, hielten mit ihren langen Hellebarden, die sie
quer vor sich nahmen, einen etwa zwei Schritte durchmessenden Durchgang
frei, durch den der Fürst, Joro und der Hauptmann, den Olgerich wohl
als Leibwache mitgenommen hatte, langsam, aber stetig durchschritten.
Eigentlich war ihm das alles zu viel, also hätte er es begrüßt,
so schnell wie möglich in das Kloster zu laufen, aber ihm war auch
die Gewichtigkeit dieses Momentes bewußt, daher blieb ihm nichts
anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen.
Schließlich kamen sie endlich am Kloster an.
Im Innenhof hatten sich hunderte der Priester versammelt. Joro entging
nicht, daß eine ganze Reihe Gesichter ihn unverhohlen abschätzig
musterten.
Sie durchschritten auch den Hof und betraten das Hauptgebäude,
nur gefolgt von einer kleinen Schar Priester.
Dieses Mal ging es in die andere Richtung, direkt von der Eingangshalle
durch eine große zweiflügelige Tür in einen Saal, an dessen
Ende ein Thron auf einem Podest aus Basalt stand.
Der Saal war, was Decke und Fußboden anging, genauso eingerichtet
wie der Speisesaal, nur war die Decke eine Kuppel, die keiner Säulen
bedurfte. An den Wänden hingen auch keine Gemälde oder Teppiche,
sie waren einfach nur schwarz und glattpoliert. Es waren allerdings Seitentüren
darin eingelassen.
Die Prozession hielt an und der Fürst deutete auf den Thron.
"Setzt Euch, Bischof, er ist Euer."
"Bekomme ich nun noch eine Krone aufgesetzt oder so etwas?", fragte
der junge Mann ihn leise.
Olgerich lachte.
"Nein, Ihr laßt Euch darauf nieder und dann werden die Türen
geöffnet, damit die Priester hereinkommen und Euch ihre Aufwartung
machen können."
Joro machte ein paar unsichere Schritte auf den großen, breiten
Sessel mit den Sichelverziehrungen zu.
Die Stimme in seinem Kopf hatte einen beinahe öligen Klang.
'Nur Mut, mein Sohn. Du hast deine Entscheidung getroffen und es
ist jetzt auch zu spät, einen Rückzieher zu machen.'
Er kam am Podest an und stieg die beiden Stufen hinauf. Dann drehte
er sich um und ließ sich auf dem Thron nieder. Dieser war erstaunlich
weich und komfortabel. Zumindest in soweit, wie die Rüstung es zuließ...
Die linke Seitentür des Saales ging auf und eine einzelne Gestalt
kam hereingeschlurft, eine kleine Truhe in der Hand. Olgerich wollte etwas
sagen, aber Joro erkannte Albrecht und machte ein Zeichen, daß es
in Ordnung war.
Der Leichnam näherte sich ihm und hielt ihm die Truhe hin.
"Ein gemeinsamer Freund meinte, Moment, wie drückte er sich
aus: 'Du könntest vermeiden wollen, eine kalte Birne zu bekommen'."
"Ihr beide versteht euch prima, was", Joro verzog den Mund zu einem
gequälten Lächeln.
"Wir haben Gemeinsamkeiten."
In der Truhe befand sich der Helm, den er Dinin gegeben hatte, bevor
er in die Stadt gegangen war. Er nahm ihn heraus und setzte ihn sich auf,
woraufhin Albrecht die Truhe zuklappte und ein paar Schritte zurückging.
Olgerich schmunzelte.
"Na, da habt Ihr eure Krone, Bischof."
Der Fürst wandte sich herum und gab den beiden Gardisten, die
an der Tür standen ein Zeichen, sie zu öffnen, dann stellte er
sich an Joros rechte Seite.
Durch die Tür kamen nur zehn Priester herein, schritten langsam
auf den Thron zu und hielten dann etwa fünfzehn Schritte davor an.
Einer von ihnen, ein alter Mann mit Vollbart und wirren, langen
Haaren, die in alle Richtungen standen, trat vor und verbeugte sich tief.
"Ich grüße Euch, Erzbischof Joro Macun."
Joro nickte ihm zu und fragte:
"Wie lautet Euer Name?"
"Ich heiße Toldor Eivrin, ich bin der dienstälteste Priester
im Kloster. Man hat mich ausgewählt, um Euch die Aufwartung zu machen
und euch zu begrüßen. Diese neun und ich bilden den Ältestenrat
hier im Kloster und der ist seit jeher als Beratergruppe für den Bischof
gedacht."
Der neue Bischof kratzte sich am Kopf, beziehungsweise Helm und
schaute zu Olgerich.
"Warum heißt das eigentlich abwechselnd das eine Mal Erzbischof
und dann nur wieder Bischof?"
Toldor sprang für den Fürsten ein:
"Weil wir zehn Priester formell ebenfalls Bischöfe sind und
Ihr uns vorgesetzt seid. Diese förmliche Bezeichnung steht aber nur
auf dem Papier, wir sind Brüder im Geiste, wie alle anderen Priester
hier."
Er legte den Kopf schief.
"Wie kommt es, daß Ihr das nicht wißt?"
"Ich bin erst seit etwa einem Vierteljahr ein Diener unseres Herren
und lerne immernoch eine Menge. Es freut mich zu sehen, daß hier
Priester sind, die mir helfen können..."
Der alte Mann betrachtete verwirrt den neuen Bischof. Ein rechter
Jungspund, keine zwanzig und ohne Erfahrung? Sollte das wirklich die Wahrheit
sein?
Joro sah sich unschlüssig um, dann betrachtete er Toldor. Dieser
sah erwartungsvoll zurück und fühlte sich genötigt, den
neuen Bischof vielleicht auf die Sprünge zu helfen.
"Es wäre gut, wenn wir Euch einen Überblick über
die Vorgänge in der Kirche geben könnten. Ihr müßt
selbst nicht viel tun, außer hin und wieder ein paar Dokumente zu
unterzeichnen und bei Zeremonien anwesend sein."
Das konnte unmöglich im Sinne Celestus’ sein, das war Joro
klar. Deshalb fragte er ihn einfach.
'Du willst, daß ich das hier alles richtig mache, nicht wahr?'
'Richtig', kam es trocken zurück.
'Und ich soll einfach meinem Herzen folgen?'
'Du hast es erfaßt.'
Joro dachte angestrengt nach, während die Priester vor ihm
sich zusehends fragten, was wohl in ihrem neuen Bischof vorging.
'Wer von ihnen ist wirklich ein Gläubiger?'
'Außer Toldor keiner.'
'Keiner?'
'Das waren, wenn ich mich recht erinnere, meine Worte.'
Der Bischof stand auf und sah sich alle vor ihm stehenden Männer
genau an. Dann zeigte er auf Toldor.
"Du bleibst, alle anderen verlassen den Raum!" Er wandte sich an
Olgerich: "Würdet Ihr mich bitte mit diesem Mann alleine lassen?"
Der Fürst nickte und ging auf eine der Seitentüren zu.
Unter den neun anderen Priestern war ein Raunen ausgebrochen, das
von Joro mit einem "Schweigt und geht!" unterbrochen wurde. Widerwillig
drehten sie sich um und verließen die Halle.
"Wachen? Ihr wartet auch draußen, ich will mit ihm allein
reden. Und Jan?"
Albrecht sah zu ihm auf.
"Ja?"
"Du gehst auch."
"Zu Diensten, Euer Eminenz."
Schließlich waren nur noch Toldor und er im Saal. Der alte
Mann sah ihn völlig verwundert und mit noch größerer Verwirrung
als vorher an.
"Was ist Euer Begehr, Erzbischof?"
Joro verließ das Podest, ging an die Wand dahinter und holte
einen Stuhl, der dort stand. Dann trug er ihn herüber und stellte
ihn vor dem Thron auf.
"Setzt Euch, Toldor. Mir ist nicht entgangen, daß Ihr nicht
mehr der Jüngste seid."
Trotz seiner angeschlagenen Contenance setzte sich der alte Priester
auf den Stuhl und Joro stieg wieder die Stufen zu seinem Sitz hinauf, um
sich ebenfalls hinzusetzen.
"Nun... Ich weiß, daß Ihr ein gläubiger Mann seid,
Toldor."
"Ich bin seit über fünfzig Jahren im Dienste des Herren,
wenn Ihr das meint, Bischof Macun."
"Nein, das meine ich nicht."
Toldor wußte immer weniger, was sein Gegenüber eigentlich
von ihm wollte.
"W...was meint Ihr dann?"
"Das, was ich sagte. Ihr seid ein Gläubiger und nicht nur ein
Priester. Mir, und vor allem dem, dem wir beide folgen, ist bereits lange
klargeworden, daß es da einen großen Unterschied gibt in diesem
Hause."
Der alte Mann wirkte überrascht, aber er lächelte mit
einem Male freudig.
"Es ist lange her, daß ich solche Worte hörte, mein Bischof.
Und wahrscheinlich ist es das erste Mal seit Jahrhunderten, daß sie
sogar aus dem Munde eines Erzbischofs kommen."
"Ich bin hier, weil mich Celestus beauftragt hat, diese Kirche wieder
auf ihren Weg zu führen..."
Toldors Augenbraue hob sich, aber Joro fuhr fort:
"Aber es ist offensichtlich, daß ich praktisch gar nichts
über sie weiß, außer jenen Dingen, die ich bereits gesehen
habe und die sowohl mir, als auch unserem Herren mißfallen."
"Ein solches Vorhaben ist nicht gerade einfach, mein Bischof, vor
allem frage ich mich, wie Ihr das anstellen wollt."
Joro seufzte.
"Wenn ich das wüßte, wäre ich wesentlich glücklicher.
Aber...", er kratzte sich am Hals, "Celestus sagte mir, daß Ihr einer
der wenigen hier seid, die noch zu ihm beten und seine Wege gehen. Außerdem
macht Ihr auf mich den Eindruck, als seiet Ihr sehr bewandert in den Dingen,
die hier so vor sich gehen. Immerhin seid Ihr einer der zehn Berater, oder?"
Toldor blickte traurig zu Boden.
"Wenn Ihr nur wüsstet, Herr..." Er breitete seine Arme aus
und suchte nach Worten. "Hier ist nichts am rechten Fleck. Vor allem nicht
die Herzen der Menschen, die sich als Priester ausgeben."
Es war nicht leicht, das auszusprechen, da Joro fürchtete,
damit Toldors Widerspruch zu erregen, aber das, was ihm auf der Seele brannte,
mußte einfach heraus.
"Dann werden wir jeden, der nicht im Sinne unseres Gottes handelt
und sich nicht zu unserem Glauben bekennt, aus dem Kloster werfen."
Der Mund des alten Mannes auf dem Stuhl vor ihm klappte auf und
er schaute ihn fassungslos an.
"Wie... wie stellt Ihr Euch das vor?"
"So, wie ich es sage, Toldor."
"Aber Ihr könnt nicht einfach... ich meine, Ihr seid doch gerade
erst heute gewählt worden..."
Joro streckte das Kinn vor und sah den Mann vor ihm herausfordernd
an.
"Celestus hat mich persönlich ausgewählt und mir gesagt,
daß ich nach meinem Herzen handeln soll. Mein Herz sagt mir, daß
diese ganze Kirche in ihrem jetzigen Zustand eine einzige Lüge ist.
Und wenn sie nun auch noch so bestehen bleibt, dann wird sie nichts, aber
auch gar nichts tun, was in seinem Sinne ist."
Toldor dachte lange nach, bevor er antwortete. Doch schließlich
nickte er.
"Ja, Ihr habt recht, so ist das wohl." Er blickte ihm direkt in
die Augen. "Es erstaunt mich, von einem jungen Mann ohne Erfahrung derart
klare Worte zu hören."
"Ich weiß, daß ich kaum etwas über diesen Ort weiß.
Das ist allerdings vermutlich besser so."
"Da habt Ihr nicht ganz Unrecht..."
Sie drugsten beide eine Weile herum, dann brach Toldor das Schweigen.
"Also wollt Ihr alle, die nicht an Celestus glauben, aus
dem Kloster verbannen?"
"Von verbannen ist keine Rede. Nur herauswerfen und ihnen eine Chance
geben, vielleicht geläutert zurückzukehren."
"Das wird eine Menge Ärger und Haß verursachen."
Joro kniff die Augen zusammen und sah ihn forschend an.
"Celestus ist auf meiner Seite, Toldor. Er hat mich nicht nur schon
mehrfach gerettet, sondern immer dafür gesorgt, daß es mir an
nichts fehlte. Ich sehe keinen Grund, mein Vertrauen darauf zu verlieren,
daß er das auch weiterhin tun wird."
"Ich hoffe, daß dieses Vertrauen niemals enttäuscht wird."
In der Stimme des alten Mannes schwang ein gewisser Zweifel mit, aber Joro
wußte selbst, daß es nicht so einfach war. Er war sich auch
sicher, daß Toldor das nicht entgangen war, deshalb antwortete er
nicht.
Dieser war allerdings noch aufgrund einer anderen Sache im Zweifel.
"Was glaubt Ihr denn, wieviele Menschen noch in diesen Mauern sein
werden, wenn Ihr alle zum Fortgehen auffordert, die nicht an den Herren
glauben?"
"Drei oder vier, Euch eingeschlossen."
Toldor sah ihn verblüfft an.
"Wie bitte?"
"Celestus sagte, daß hier, mir inklusive, drei oder vier Gläubige
sind."
"Ihr sprecht wirklich mit ihm, oder?"
"Wäre es für Euch einfacher, wenn er käme, um es
Euch zu bestätigen?"
"Nein, Ihr seid ein Daishani, wie ich. Ich vertraue Eurem Wort."
"Justin hat ein gefälschtes Mal auf der Kehle."
"Ihr seid aber nicht Justin, oder?"
Joro lächelte. "Nein."
"Dann glaube ich Euch auch."
"Drei oder vier ist doch nicht schlecht, oder? Vielleicht finden
wir ja in der Stadt und den umliegenden Dörfern noch andere junge
Novizen, die vielleicht eines Tages einmal Priester werden könnten."
Toldor stöhnte leise.
"Euer Idealismus ist stark, Eminenz, aber ich hoffe auch, daß
Ihr wißt, was das für eine Aufgabe sein wird."
"Nun... Vielleicht haben wir ja einen Helfer wider Willen, der,
wenn ich nicht hier sein kann, seinen Teil dazu beitragen wird." Er wandte
sich in Richtung einer der Seitentüren: "Jan! Ich weiß, daß
du lauschst, komm herein!"
Die Tür öffnete sich und herein trat Albrecht und schlenderte,
die Arme hinter dem Rücken, auf den Thron zu."
"Ja bitte, Euer Eminenz?"
"Toldor, darf ich Euch Erzbischof Jan Albrecht Makrah vorstellen?"
Der alte Mann sah verwirrt zwischen Joro und dem vermeintlichen
Pilger hin und her.
"Wie, äh, was...?"
Albrecht sah Joro an und die Lichter unter seiner Maske schienen
ein bißchen böse zu glitzern.
"Gibt es einen bestimmten Grund, warum du ihm meine Identität
verrätst?"
"Du hast doch bestimmt gelauscht, also weißt du, was ich damit
bezwecke."
Der Leichnam grunzte.
"Mein lieber Joro, ich beginne langsam zu glauben, daß du
wesentlich mehr mit deinem Gott gemein hast, als es mir lieb ist."
"Weich nicht vom Thema ab. Du bist derjenige, der das alles hier
einst aufgebaut hat und der alle Regeln aufgestellt hat, die in den letzten
Jahrhunderten vergiftet, verdreht und zerstört wurden."
"Wollt Ihr wirklich behaupten, daß das Erzbischof Albrecht
ist, mein Bischof?" stammelte Toldor.
Albrecht kam Joro zuvor und nahm einfach seine Maske ab. Der alte
Mann sprang aus seinem Stuhl und fiel auf die Knie, um ein Stoßgebet
zu sprechen.
"Sorgt Euch nicht, Toldor, er ist auf unserer Seite, nicht wahr?"
Joro wandte sich mit nachdrücklicher Körperhaltung dem Untoten
zu.
"Es ist eigentlich nichts, was diesen Mann etwas anginge, Jungchen,
aber hast du vergessen, daß ich Celestus nicht mehr diene?"
Joro lächelte schnippisch.
"Dann sorg du für das Weltliche und ich werde in der neuen
Kirche für das Geistliche sorgen. Kannst du damit leben?"
Für einen Moment schien es, als wollte Albrecht sich umdrehen
und einfach gehen. Aber irgendetwas in ihm brachte ihn dazu, es sich anders
zu überlegen.
Indes stieg Joro vom Thron herunter und half dem völlig außer
sich geratenen alten Mann auf und ließ ihn sich wieder auf den Stuhl
setzen. Dann drehte er sich erneut zu Albrecht um und sagte:
"Du weißt genau, daß sich eine böse, goldene Welle
vom Süden her über die Länder ergießt. Ich habe auch
noch außerhalb dieser Mauern ein paar Verpflichtungen und denen muß
ich ebenfalls nachkommen. Meine Loyalität ist zwar in erster Linie
an Celestus gebunden, aber meine Freunde, die ersten wahren, die ich jemals
hatte, werde ich niemals im Stich lassen."
"Und ich halte hier deinen Sessel kalt, während du mit den
Dunkelelfen durch die Gegend ziehst?"
"Nein. Du sollst helfen, daß diese Kirche aus sich selbst
heraus existieren kann. Das Buch, das du damals geschrieben hast, existiert
das noch in seiner Originalfassung?"
Es war Toldor, der antwortete. "Ich habe eine authentische Fassung
davon." Er war wieder einigermaßen Herr seiner Empfindungen.
Albrecht und Joro sahen ihn beide verdutzt an. Naja, Albrecht wohl
einfach nur mit Interesse, aber Joro war tatsächlich überrascht.
Dennoch klang in den Worten des Leichnams irgendwie Fassungslosigkeit.
"Meint Ihr das ernst, Toldor?"
"Ja. Als mich Celestus vor dreiundfünzig Jahren berief führte
er mich zu einem verlassenen Ort, einem alten Turm, in dem es eine Kiste
mit einer Menge alter Bücher gab. Eins davon war ein Original der
Regeln, die bei der Kirchengründung aufgestellt worden waren. Persönlich
geschrieben von Erzbischof Jan Albrecht Bakrah."
Albrecht schnaubte.
"Da ist das Buch also geblieben, ich suche es schon die ganze Zeit..."
"Verzeiht?"
"Nicht weiter wichtig, Toldor. Diese Kiste war eins meiner Bücherlager...
Fahrt fort."
"Nun", der alte Mann war von Albrechts Kommentar etwas verunsichert,
"ich habe es immer wie einen Schatz gehütet, vor allem, weil ich den
starken Unterschied zwischen dem, was heute in den Büchern steht und
was in diesem einen stand, erkennen konnte."
"Dann haben wir eine gute Grundlage", meinte Joro. "Wenn Albrecht
sich entschließt zu helfen und Ihr das Eurige dazu beisteuern könnt,
dann haben wir einen soliden Boden, um darauf zu pflanzen."
Toldor sah Albrecht an.
"Wie... wie seid Ihr zu dem geworden, was Ihr seid?"
"Das werde ich Euch schon noch erzählen, Toldor, mein Wort
darauf."
Dieser Ausspruch des Leichnams war für Joro die Bestätigung,
daß sich der alte Erzbischof entschlossen hatte zu helfen. Nur über
die wahren Gründe war er sich nicht ganz klar, aber er beschloß,
ihn irgendwann näher danach zu fragen. Jetzt wandte er sich erst einmal
wieder an Celestus.
'Kannst du mir die Namen derer nennen, die wir behalten sollen?'
'Laß dir von Toldor helfen', antwortete der Gott nur knapp.
Joro wandte sich an Toldor.
"Sagt, wüsstet Ihr noch einen oder zwei hier im Kloster, der
wirklich gläubig ist?"
Der alte Mann grübelte eine Weile, dann sagte er:
"Nur noch Franz, der Koch. Er ist kein Daishani, aber einer der
gläubigsten Anhänger unseres Herren, den ich kenne. Er hat in
seinem Heimatland als Totengräber gearbeitet, obwohl er eigentlich
Koch war. Da gab es eine große Seuche, die er als einer der wenigen
überlebt hat... Ist auch schon ein paar Jahre her...", sein Blick
schweifte ab.
"Sonst keiner?"
"Nein", antwortete Toldor niedergeschlagen.
Joro streckte sich und dabei knackten seine Schultern, die vom Gewicht
der Rüstung stark belastet waren. Dabei kam ihm kurz der Wunsch auf,
ein gewisses Paar schwarzer Hände zu spüren, wie sie... nein,
für solche Gedanken war jetzt kein Platz.
"Dann werde ich nun das tun, was notwendig ist."
Er ging zur Eingangstür und öffnete einen der beiden Flügel.
Die Wache auf der rechten Seite sah ihn verwundert an.
"Soldat?"
"Ja, Euer Eminenz?"
"Holt mir den Koch, Franz."
Obwohl der Gardist einigermaßen erstaunt war, schlug er die
Hacken zusammen und trabte los. Die Menge vor Joro sah ihn schweigend und
erwartend an. Er sah einmal in die Runde und fühlte ein Gefühl
der Verachtung in sich aufsteigen.
"Hört mich an, alle, die hier sind! Ich will, daß ihr
alle eure Habseligkeiten zusammenpackt und euch auf eine Reise vorbereitet.
Sobald ihr fertig seid, versammelt ihr euch im Hof, ich werde euch dann
sagen, wo es hingeht."
Eine Stimme erscholl aus den Reihen der Priester.
"Um was für eine Reise handelt es sich dabei, Bischof Macun?"
Joro lächelte eisig.
"Nennt es eine Pilgerfahrt. Zur Läuterung."
© Matthias
Wruck
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bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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