Die Welt von Zappon von Adlers Auge
3. Kapitel: Ein fataler Fehler

So machten sich die Helden an den Abstieg, hinunter in die Stadt Golg. Der Weg schmiegte sich an die Klippen an und war gerade so breit, dass zwei Männer nebeneinander hätten laufen können. Um Wanderer wenigstens einigermaßen zu sichern, war ein einfaches Geländer angebracht worden.
Danach kamen sie an ein kleines Grenzhäuschen, in dem drei Wachen saßen. Der eine sonnte sich gemütlich in den letzten Sonnenstrahlen des Oktobers, während die anderen beiden sich mit Kartenspielen die Zeit vertrieben.
"Geht nur durch!" sagte der Mann, der sich sonnte. "Ihr seht mir nicht gefährlich aus."
"Die Garnison ist unvorsichtig geworden, durch die langen Jahre des Friedens. Früher hätten sie uns erst nach gründlicher Befragung Einlass gewährt", berichtete Zizam. "Das ist böse, sehr böse."
So gingen die drei Wanderer durch die engen Gassen der Stadt. Get und Pret konnten sich kaum an all den neuen Eindrücken satt sehen, die die Stadt für sie bereithielt.
Die Häuser ragten bis zu vier Stockwerke hoch in den Himmel. Überall waren Menschen. Auf jeder Straße wohl mehr als das Dörfchen Ash Einwohner gehabt hatte. Sie liefen mal hierhin und mal dorthin und Get faszinierte die Vorstellung, dass jeder von ihnen ein Ziel hatte; eine eigene Geschichte zu erzählen und jeder von ihnen Freunde und Familie besaß, die ebenso Ziele und Geschichten hatten.
Bald darauf verließen sie das Gewirr der Straßen und kamen auf einen weitläufigen Marktplatz. Hier verloren die beiden jungen Helden nun endgültig die Übersicht.
Hier war alles noch lauter und voller. Die Händler hatten jeden leeren Fleck des mit Steinen gepflasterten Platzes für sich beansprucht. Laut kreischend gab jeder von ihnen seine Waren zum Verkauf frei.
Straßenmusiker und Gaukler gaben ihr bestes, um den wohlhabenden Städtern mit ihrer Kunst ein paar Goldstücke aus den Taschen zu leiern und bald schon waren die drei Gefährten von einer Horde zerlumpter Bettler umringt, die sie gierig nach Almosen anbettelten. Dazu kamen noch viele kleiner Kinder, die Get ganz fasziniert anblickten, da er seinen Adler Arai auf der Schulter trug.
"Passt auf eure Habe auf, meine Freunde. Hier auf dem Turpusmarkt ist man sich ihrer nie sicher."
Get bewunderte den alten Zauberer. Während er selbst schon lange die Übersicht verloren hatte, ging Zizam unbeirrt seines Weges und wusste genau, was er zu tun und wohin er zu gehen hatte.
Sich durch die schier endlose Ansammlung von Verkaufsständen zu kämpfen, erschien Get als der bisher anstrengenste Teil ihrer Reise.
Doch schon bald hatten sie sich bis zum Fluss durchgeschlagen. Auch hier ging es weiterhin geschäftig und undurchsichtig zu. Viele Handelsschiffe ankerten im Hafen der Stadt und jedes von ihnen war dabei neue Waren aufzunehmen, seine alten Ladungen zu löschen oder noch einige Reparaturen durchzuführen, bevor man das letzte Mal vor Wintereinbruch den langen Lauf des Kedans hinaufsegeln würde.
Zizam führte sie an den einzelnen Landungsstegen entlang, es waren sicher mehr als 200 von ihnen mit Schiffen aller Klassen und Arten belegt, bis sie eine steinerne Brücke erreichten, die den Kedan überspannte.
Der alte Zauberer deutete auf ein heruntergekommenes Gasthaus in der Nähe. "Dort suchen wir am besten nach einer Mitfahrgelegenheit." Mit diesen Worten betrat Zizam den "Rostigen Anker".
Innen war es recht stickig und Get fand kaum Atem, auf Grund des vielen Tabakrauches, der die Luft verdickte. Alles in dem Schankraum wirkte leicht marode und angeschlagen.
Die drei Gefährten setzten sich auf einige alte vergammelte Holzstühle direkt an der Bar. "Wirtas?" sprach Zizam den riesigen glatzköpfigen Wirt an.
"Beim Barte Baals! Wenn das nicht Zizam der Ruhelose ist. Was treibt dich denn nach all den Jahren in unsere Stadt und das auch noch in solch turbulenten Tagen?"
"Wir sind nur auf der Durchreise. Ich und meine Gefährten suchen eine Bleibe für die Nacht und ein Schiff, das zum nächstmöglichen Zeitpunkt den Hafen Richtung Norden verlässt. Aber zunächst hätten wir lieber ein paar Krüge Bier und ein vernünftiges Abendessen."
"Nehmt Platz, es wird alles arrangiert werden." Er verließ das Zimmer und kam wenige Minuten später mit drei großen, wenn auch schmutzigen Gläsern Bier zurück.
"Euer Abendessen ist in Bearbeitung, das Zimmer wird hergerichtet und wenn der alte Kapitän Elsmer später wie jeden Abend hier auftaucht, habe ich auch sicher eine Mitfahrgelegenheit für euch." Wirtas sah mächtig zufrieden mit sich aus.
"Sehr gut! Ich hoffe, das ist Lohn genug." Zizam drückte ihm zwei Silbermünzen in die Hand.
"Ach das ist doch eigentlich zuviel. Aber danke!"
Er setzte sich zu ihnen an den Tisch und es begann eine angeregte Diskussion über die Ereignisse der letzten Wochen. Zizam hielt sich bedeckt mit ihren Plänen, aber Wirtas erzählte ihnen, dass vor etwa drei Monaten eine Gruppe von Westholden Eintritt in die Stadt gefordert hatten, um nach einem gestohlenen Artefakt zu suchen. Sie hatten es mit bitten, bestechen und bedrohen versucht, doch der Bürgermeister war hart geblieben, denn er hatte einen Eid geschworen, jeden Eindringling von Osten abzuhalten. "Dennoch rätseln wir alle was das alles sollte. Und ob es dieses rätselhafte Artefakt wirklich gibt.
Was aber noch seltsamer ist, die Orks haben seitdem wieder angefangen uns zu attackieren. Es sind nur kleine Scharen und die Garnison hat kaum Probleme mit der Abwehr.
Dennoch halte ich es für eine gefährliche Angelegenheit. Denn es scheint mir, als wären das alles nur Testangriffe, um unsere Schwachstelle ausfindig zu machen.
Außerdem sind unsere Soldaten seitdem doch sehr nachlässig geworden. Scheint so, als wären ihnen die vielen leichten Sieg zu Kopf gestiegen.
Nunja aber selbst wenn uns ein größerer Angriff bevor steht, wird schon nichts passieren, denn unser Bollwerk hat schon immer allem standgehalten."
"Und was war mit der Invasion der Abtrünnigen?" warf Get in den Raum.
"Ach, das war etwas Einmaliges und ich glaube kaum, dass sich so etwas wiederholen kann."
Später gesellten sich dann auch noch Kapitän Elsmer und seine Matrosen zu den Vierern. Sie wollten am nächsten Tag zum Tränenmeer aufbrechen, um ihre Waren dort abzuliefern, und hatten deshalb vor in dieser Nacht noch einmal zu feiern. Zizam verhandelte kurz mit ihm und so war er sich sicher, innerhalb eines Monats an König Lutronds Hof Einkehr zu halten.
Get und Pret hatten sich schon bald mit den lustigen Matrosen angefreundet. Sie tranken zusammen literweise Gerstensaft und schon bald waren die beiden in einen heftigen Rausch verfallen.
Es entwickelte sich mehr und mehr zu einem großen herrlichen Fest, die Schänke war bald schon überfüllt und Wirtas kam mit dem Ausschenken kaum noch hinterher.
Es wurde gesungen, getanzt und gelacht. Get freute sich schon darauf, die nächsten Wochen mit dieser symphatischen Truppe zu verbringen.
Doch dann rempelte Get aus Versehen einen Waldläufer an, der darauf zu Boden ging. Er entschuldigte sich sofort bei ihm, doch durch den Alkohol aggressiv geworden, packte er Get am Kragen.
"Was fällt dir ein Bürschchen? Du bist wohl auf Streit aus?"
"Hey! Lass den Jungen in Ruhe!" mischte sich Jorin, einer der Matrosen, ein.
"HA! Kommst wohl ohne Hilfe nicht klar?"
"Du kommst wohl nur gegen Schwächere klar!" antwortete Get darauf.
"Na warte!" er zog ein langes Messer hervor und hielt es Get an den Bauch.
Get zog daraufhin den Splitter von Karhir hervor.
"Knie nieder Unwürdiger" sagte Get im Alkoholrausch. "Ich bin ein Gesandter Baals und du meiner nicht würdig!" wie an dem Tag, an dem er den Splitter erhalten hatte, wurde der Raum wieder von einem weißen Licht ausgefüllt.
Plötzlich wurde es still in der Schänke. Alles blickte auf Get, dem gerade erst bewusst wurde, dass er seine ganze Mission aufs Spiel gesetzt hatte.
Dann knieten sich sämtliche Personen im Raum nieder. Selbst die beiden Zwerge und der Elb, die sich dort aufhielten, wagten es nicht, dem vermeintlichen Auserwählten den nötigen Respekt zu verweigern.
"Sehet das Reich Baals ist gekommen!" rief einer von ihnen. "Preiset den Jungen. Er ist der Auserwählte", schrie ein anderer.
"Für das Reich!" - "Ja für das Reich!" Dann begannen sie wie im Chor zu rufen und alle waren beseelt vom Gedanken an die Einigkeit aller Völker des Lichtes unter dem Banner Karhirs.
Sie packten Get und zerrten ihn hinaus auf die Straße, um allen Menschen von der Ankunft des Reiches zu kündigen. Es war eine spontane Massenhysterie, von der später niemand mehr wusste, woher sie gekommen war.
Nur Zizam versuchte die Masse zu beruhigen, doch er scheiterte kläglich. Bald hatten sich immer mehr Menschen dem Mob angeschlossen, der nun aufgebracht Richtung Turpusmarkt marschierte.
Dabei stürmten sie auch die vertäuten Schiffe und begannen, einige von ihnen sogar in ihrem merkwürdigen Überschwung in Brand zu stecken.
"Für das Reich! Für das Reich!" schallte es bald über den ganzen Turpusmarkt. 
Erst als Die Garnison von Norden her auf den Platz marschierte, beruhigten sie sich ein wenig.
Niemand weiß mehr genau wie es passierte, doch nach einigen Aufforderungen der Soldaten den Mob aufzulösen, schlugen die beiden Parteien aufeinander ein. Die Garnison hatte sich nur mit Stöcken bewaffnet, um niemanden zu verletzen. Dennoch hatten die Matrosen keine Chance gegen die gut ausgebildeten Soldaten.
Get sah sich bald von den Soldaten eingeschlossen. Er versuchte sich nach Kräften zu wehren, aber er bekam einen schweren Schlag auf den Hinterkopf und dann umgab ihn tiefe Dunkelheit.
 
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Und schon geht's hier weiter zum 4. Kapitel: "Das Herz von Zappon"

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