"Clèpattra, wo bist du gewesen?
Ich habe dich überall gesucht!"
Die Angesprochene drehte sich um
und sah ihrem Gegenüber wütend in die Augen. "Ich war in meinen
Räumen und habe meditiert!" fauchte sie und wandte sich wieder ab.
"Meditiert? Wenn ich das glauben
soll, musst du es mir beweisen! Du bist und bleibst ein faules Miststück."
Arme griffen nach Clèpattra und hielten sie mit festem Griff zurück.
"Du bleibst hier. Ich will wissen, was du in den letzten Tagen wegen unserer
Sache unternommen hast."
Clèpattra drehte sich betont
langsam um und gähnte gelangweilt: "Ich habe einen der Fünf aufgespürt,
diesen Fryijo. Meine Chrums sind an ihm dran. Deine Leute" - Clèpattra
spuckte diese Worte förmlich auf den Boden - "haben sich ja lieber
gegenseitig massakriert." Ein triumphales Lächeln umspielte ihre Lippen.
"Aha, und wieso haben 'deine' Chrums
ihn noch nicht?"
"Er hat unerwartete Hilfe bekommen:
Eine von diesen menschlichen Kopfgeldjägerinnen hat ihn rausgehauen,
als sie hörte, wie die Chrums von der Belohnung sprachen. Und dann
wurden sie von einem dieser lächerlichen Pferdemenschen gefunden.
Aber glaub mir, den kriegen wir schon klein. Ihre Stärke ist heute
nur noch ein Mythos. Er konnte noch nicht einmal etwas mit unseren Namen
anfangen! Das beweißt doch, dass ..."
"Du hast ihm unsere Namen genannt?
Sag mal, hast du sie noch alle? Wenn die Assandé erfahren, dass
wir wieder aktiv geworden sind, dann werden sie sicher auch bald über
unsere Pläne Bescheid wissen. Ist dir das klar?"
"Sei du mal ganz still, du feiges
Fliegengesicht. Du lässt dich inzwischen von so vielen Menschen anbeten,
dass es ein Wunder wäre, wenn dein Name noch nicht bei den Assandé
gelandet ist. Ich denke nicht, dass er auch nur die kleinste Gefahr für
uns darstellen wird. Ich habe ihm einen ziemlichen Schrecken eingejagt.
Der wird nichts unternehmen, wenn wir Fryijo einfordern. Und sollte ich
mich irren, haben wir immer noch das Mädchen. Wir müssen ihr
nur eine angemessene Belohnung bieten, dann wird sie ihn sicher an uns
ausliefern. Überlass das nur mir. Ich habe schon einen Plan." Das
stimmte zwar noch nicht ganz, aber Clèpattra war sich sicher, dass
ihr bald etwas einfallen würde. Sie freute sich schon auf die großen
Augen ihres Bruders, wenn sie ihm Fryijo als ersten der Fünf präsentieren
würde.
.
Als Nimieéd voller Gedanken
ins Lager kam, schienen die anderen ihn gar nicht zu bemerken. Fryijo und
Kosh, der Zwerg, beugten sich über das Mädchen. Der Drache saß
zusammengekauert am Rande des kleinen Lagers, hatte den Kopf auf die Pfoten
gelegt und die Augen geschlossen. Doch Nimieéd wusste, dass Sirti
hellwach war und jede Bewegung und jeden Geruch registrierte. Er würde
Alarm schlagen, wenn sich jemand dem Lager näherte. Nimieéd
konnte sich also eine Ruhepause gönnen. Er war so erschöpft,
dass er sich neben seinem Bündel hinlegte, ohne seine Kampfausrüstung
abzulegen. Ein wenig später war er eingenickt.
Als Kosh und Fryijo das Mädchen,
das immer noch nicht ansprechbar war, behandelt hatten, wurden sie auf
den schlafenden Assandé aufmerksam.
"Was ist denn mit dem los?" Wunderte
sich Kosh: "Der schläft doch sonst lieber im Stehen." Er betrachtete
sich den Assandé genauer und holte dann den Medizinbeutel, den er
neben der Unbekannten hatte liegen lassen. Nimieéd hatte ein paar
oberflächliche Kratzer, die von einem kleinen Kämpfchen mit einem
Trupp Chrums herrühren konnte. Aber ein solcher Zwischenfall wäre
kein Grund für die Erschöpfung gewesen, die den Assandé
anscheinend überfallen hatte. Kosh tupfte die Kratzer mit etwas Alkohol
ab, nahm selbst einen Schluck aus der Flasche und schüttelte den Kopf.
Er wollte sich jetzt keine Gedanken um seinen Freund machen, sondern erst
einmal etwas zu essen besorgen. Nach einem kurzen Gespräch mit Fryijo
nahm er seinen Bogen und ein paar Fallen und verschwand im Wald. Es hatte
den Anschein, als dass sie hier länger lagern mussten und er, Kosh,
der Zwerg, hatte in diesem Fall nicht vor zu hungern.
Fryijo setzte sich neben das Mädchen
und betrachtete sie. Wer war sie? Wie kam sie hierher? Er beschloss, diese
Fragen erst einmal zur Seite zu schieben und sich stattdessen so um die
Unbekannte zu kümmern, wie der Zwerg es ihm erklärt hatte. Langsam
merkte er, dass er Hunger bekam. Er schielte zu den Taschen, von denen
Kosh gesprochen hatte. Als er es nicht mehr aushielt, schlich er zu ihnen
und begann, nach etwas Essbarem zu suchen. Es war ihm unangenehm, die fremden
Taschen zu durchwühlen, obwohl der Zwerg es ihm erlaubt hatte. Als
er endlich ein Stück Käse, einen Kanten Brot und eine Scheibe
Schinken gefunden hatte, war er sehr erleichtert. Er setzte sich wieder
zu dem Mädchen und hoffte, dass der Zwerg bald wiederkommen oder der
Assandé aufwachen würde.
Nach einer Weile regte sich der
Drache und hob seinen Kopf. Das Gebüsch teilte sich und Kosh stand
wieder vor ihnen. Er hob einen toten Hasen hoch.
"Ich habe es selten erlebt, dass
mir so schnell ein Vieh in die Schlinge gegangen ist. Ich habe die Falle
auf dem Hinweg ausgelegt und konnte auf dem Rückweg schon ernten."
Er grinste. "Jedenfalls haben wir jetzt eine Kleinigkeit zu futtern. Such
doch schon mal den Topf aus dem großen Sack und hol Wasser. Dahinten
gibt es eine Quelle." Er zeigte an dem Esel vorbei in den Wald. "Und schau
bei der Gelegenheit auch mal, wie es unserem Graufell geht."
Fryijo tat, wie ihm aufgetragen,
froh dass er sich nicht mehr um das Mädchen kümmern musste. Er
fand es bedrückend, neben ihr zu sitzen und ihr nicht helfen zu können.
Als er wieder im Lager ankam, hatte Kosh sich schon um das Feuer gekümmert
und aus der kleinen Flamme ein schönes Feuerchen hervorgelockt.
"Ahh, das Wasser! Jetzt kann ich
endlich richtig anfangen!" Er nahm Fryijo den Topf ab, der eigentlich ein
Kessel war, und hing ihn an einem Gestell über das Feuer. Dann begann
er einige Möhren, die schon ein bisschen verschrumpelt aussahen, zu
schälen und warf sie ins Wasser. "Ich hoffe, du magst Linseneintopf
nach Zwergenart mit Hasenfleisch?"
Fryijo lief das Wasser im Mund
zusammen und er nickte schnell. Er hatte trotz seines kleinen Imbiss immer
noch einen fürchterlichen Kohldampf. Kosh drückte ihm ein Messer
und ein paar Kartoffeln in die Hand mit der Anweisung: "Schälen, klein
schneiden und ins Wasser werfen!"
Nachdem auch das Fleisch im Topf
war, wurde Nimieéd durch den Geruch des Essens geweckt. Rasch sprang
er auf. Kosh und Fryijo wurden durch die heftige Bewegung aus ihrem Gespräch
am Feuer aufgeschreckt und gesellten sich zu dem Assandé.
"Sag mal, was ist dir denn passiert?"
fragte Kosh seinen Gefährten besorgt. "Du kommst ohne ein Wort zu
sagen zurück und schläfst dann mitsamt deiner Rüstung ein."
"Wahrscheinlich haben die letzten
Tage mich ein wenig zu sehr mitgenommen. Wir sind hier nicht unbedingt
in einer Gegend, die uns Assandé im Blut liegt."
"Ach komm, ich kenne dich doch:
so ein bisschen Wald macht dir doch nichts aus. Du magst dieses Gestrüpp
doch mehr als ich! Was war jetzt wirklich los?"
"Es ist nicht nur der Wald", wich
der Assandé weiterhin aus, "ich erzählte dir doch gestern,
was ich vermute: Dass dieses Gebiet in ferner Zeit von Dämonen beherrscht
worden war. Wir Assandé spüren so etwas."
Doch bevor Kosh widersprechen konnte,
rief Fryijo: "Das Mädchen!" und eilte zu der Unbekannten. Die beiden
Freunde vergaßen ihr Gespräch und rannten dem Menschen hinterher.
© Rona
Sturmreiter
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