Der Ruf des Raben von Christian Uhrig (Tendin) |
Von Zwergen und Elben |
Alarich fluchte. Er war, ohne es vorher zu merken, in einen spitzen Stein getreten. Brummelnd setzte er sich auf den Boden und zog sich den Stein aus dem Fuß. Es war ein kleiner, aber dafür sehr spitzer Stein. "Hrrrrrm sieht fast so aus, als hätte man den extra für mich dahin gelegt", knurrte er und schickte sich an, noch ein paar kräftige Flüche auszustoßen, als er plötzlich ein Geräusch hörte. Es war ein Geräusch als ob Metall an Metall schaben würde. Und es war direkt hinter ihm. Schnell rannte Alarich hinter einen großen Stein, um sich zu verbergen. Keine Sekunde zu früh, wie er im selben Moment merkte. An der Stelle, wo er eben noch gestanden war, liefen Krieger vorbei. Ihre Rüstungen waren zerlumpt und ein paar hatten Wunden, die sie notdürftig verbunden hatten. Jämmerliche Gestalten. Es waren insgesamt acht an der Zahl. Alarich knurrte leise, als er das Wappen an den Schilden der Bewaffneten sah. Es waren Krieger von Krem. "Wahrscheinlich direkt aus Bia, ihrer so hochgelobten Stadt. Dabei ist ihre Stadt schon fast zerfallen, weil ihr unfähiger und verbrecherischer Herr Lutius Topkin die Einnahmen der Steuern lieber für rauschende Feste und dergleichen ausgibt. Aber trotzdem loben und ehren sie ihn. Typisch Menschen", dachte Alarich. Aber das wirklich Außergewöhnliche an dieser Gruppe zerlumpter Männer war ihr Gefangener. Alarich konnte sich ein verächtliches Grinsen nicht verkneifen; die bemitleidenswerte Gestalt, die gefesselt inmitten der Männer lief, war ein Elbe. Ihn freute der Anblick so, weil Elben und Zwerge schon seit Urzeiten in Ablehnung und Abneigung lebten. Alle nennenswerten Allianzen von Zwergen und Elben waren bisher nur Mittel zum Zweck gewesen, von denen sich jeweils die eine Gruppe Vorteile versprach. Aber nun zurück zu Alarich. Der Zwerg saß immer noch hinter seinem Felsen und verschwendete keinen Gedanken an Rettung des Elben, der da so unglücklich in Gefangenschaft geraten war. Vielmehr dachte er daran, sich zurückzuziehen und ihn seinem Schicksal zu überlassen. Er ging langsam rückwärts, als er plötzlich stolperte und den Halt verlor. Alarich war sofort wieder auf den Beinen, aber das Geräusch hatte dennoch die Aufmerksamkeit der Krieger erweckt. Er sah die Sinnlosigkeit seines Versteckspiels ein und stürzte mit einem lauten Kampfschrei auf die Straße. Aus der Nähe betrachtet sahen die Krieger noch erbärmlicher aus. Viele von ihnen waren so erschöpft, dass sie aussahen, als ob sie gleich in Ohnmacht fallen würden. Der Anblick des grimmigen Zwerges, der drohend seine gewaltige Axt schwang, schien ihnen den Rest zu geben. Fünf von ihnen flüchteten sofort, weil sie wahrscheinlich keine Lust auf einen Kampf hatten. Die drei verbliebenen Krieger zogen ihre Schwerter und stellten sich Alarich entgegen. Der größte von ihnen begann zu sprechen: "Wer seid ihr, Herr Zwerg, dass ihr euch uns in den Weg stellt. Uns, die wir unter dem Banner des ehrenwerten Lutius Topkin kämpfen. Wenn ihr vorhabt, uns anzugreifen, seid gewiss, dass dies einen Angriff auf die Gestalt unseres Herrn gleichkommen würde. Weist euch aus, Zwerg, sonst werden ich und meine Männer euerem jämmerlichem Leben ein schnelles Ende bereiten." "Ich bin Alarich von Grim Brathril, Sohn von Grimhilt und Hardig und direkter Thronfolger. Wenn ihr eure Zunge nicht im Zaum haltet, Menschlein, werde ich eurem Leben ein schnelles, aber schmerzhaftes Ende bereiten", knurrte Alarich. Die beiden Krieger neben dem Wortführer spannten sich, doch ihr Anführer bedeutete ihnen mit einer raschen Handbewegung, sich ruhig zu verhalten. "Welch Überraschung, einen Erben von Hardig hier zu treffen! Doch solltet ihr wissen, dass die Mauern von Grim Barthril weit weg sind. Wobei mir eine Frage in den Sinn kommt, was macht ein zukünftiger Zwergenkönig in dem Lande unseres Herrn und ist nicht damit beschäftigt, in irgendwelchen Gängen wie eine Ratte herum zu krabbeln und Schätze zu suchen?" fragte er spöttisch, was seine Gefährten zu rauhem Gelächter veranlasste. "Ich hatte euch gewarnt, Menschensohn, nun hoffe ich, dass ihr bereit seid, die Rechnung für eure Reden entgegenzunehmen", zischte Alarich und sprang mit einem gewaltigen Axthieb auf die Krieger zu. Es war ein kurzer und blutiger Kampf. Als Alarich fertig war, lagen vor ihm die Leichen der drei Krieger. Der Elbe war nunmehr ohnmächtig. Alarich hätte ihn mit nur einer Bewegung töten können, doch er war Krieger und kein Meuchelmörder. Er bückte sich zu dem Elben und gab ihm eine kräftige Ohrfeige, die den Kopf des Elben zur Seite reißen lies. Der Hieb tat seine gewünschte Wirkung und der Elbe blinzelte benommen und fuhr dann zurück, als er erkannte wer sein Retter war. "Na na, ein bisschen mehr Dankbarkeit hätte ich mir schon erhofft, aber das ist bei einem Elben wahrscheinlich verlorene Liebesmüh", grollte Alarich. "Wer seid ihr und wo sind die Krieger, die mich gefangen hielten?" fragte der Elbe, immer noch benommen. "Ich schätze, die habe ich in die großen Gänge der Unterwelt geschickt. Aber fallt mir vor Dank nicht gleich um den Hals, ich hatte sowieso nichts bessres zu tun, als einen Baumhüpfer vor ein paar stinkenden und zerlumpten Kriegern zu retten. Wo wir wieder beim Thema wären: warum hielten euch diese Ratten gefangen?" Der Elbe ignorierte Alarichs spöttische Beleidigungen und stand zögernd auf. "Mein Name ist Echântillon. Mein Vater und ich waren auf dem Weg ins Lande Nurnemor. Uns erreichte die Kunde, dass Königin Andariel von ihrem Fluch erlöst wurde. Man erzählt sich, ein Barbar aus dem Lande Argum hätte sie von ihrer Versteinerung erlöst..." (siehe Tendins Projekt-Story) Alarich unterbrach ihn ungeduldig: "Lasst mich mit euren Geschichten in Ruhe, erzählt mir lieber das, was ich euch gefragt habe, Elb." "Nun, da ihr ein Zwerg seid, also von Natur aus ungehobelt und ruppig, verzeihe ich euch eure Frechheit noch einmal. Mein Vater und ich waren also auf dem Weg nach Nurnemor, als wir auf ein Sklavenlager stießen, das am großen Gebirge lagerte. Man entdeckte uns und nahm uns gefangen. Wir kamen in einen Verschlag mit vielen Geschöpfen. Darunter waren Elben, Menschen, Zwerge, Barbaren, und sogar ein paar Halblinge waren ihnen in die Hände gefallen." Alarich zuckte bei der Erwähnung der Zwerge zusammen. Langsam wurden ihm einige Sachen klar. Er war von seinem Vater ausgeschickt worden, um sich zu bewähren. In diesem Teil des Landes verschwanden immer wieder Zwerge, die von König Hardig ausgeschickt wurden, wichtige Nachrichten in andere Königreiche zu überbringen. Es wurde vermutet, dass sich Topkin mit Sklavenhandel verdingte. Von Alarich wurde erwartet, dass er die Sache aufklärte. Laut sprach Alarich: "Erzählt weiter Elb! Warum seid gerade ihr hier her gebracht worden?" "Sie wollten mich auf ihrem Markt verkaufen. Ich vermag mir nicht auszumalen, an wen sie mich verkauft hätten", dabei schüttelte sich Echântillon sichtbar. Alarich rieb sich nachdenklich den Bart. "Mich erheitert der Gedanke nicht gerade, Baumhüpfer, aber ich muss wohl fragen: Seid ihr bereit, mit mir die Gefangenen zu befreien? Egal wie ihr euch entscheidet, mein Ziel ist es, meine Volksgenossen zu befreien, mit oder ohne euch." "Mir behagt der Gedanke ebenso wenig wie euch, Zwerg, doch auch mein Ziel ist klar. Ich muss die bemitleidenswerten Geschöpfe befreien, die sich in der Gefangenschaft dieser Schurken befinden." Darauf erhob er sich und sprach: "Nun denn, folgt mir, ich werde euch an die Stelle führen." Der Weg war nicht lang. Sie standen bald an einer Lichtung und versteckten
sich hinter ein paar Dornenbüschen.
Als die beiden gemeinsam um ein Feuer saßen, begann Echântillon
zögernd zu sprechen: "Wohin werdet ihr gehen, Herr Zwerg, wenn ihr
die Zwerge in euer Königreich gebracht habt?"
So wurde mit Bier und viel Gelächter die Freundschaft zwischen
Alarich, dem Zwergenprinz, und Echântillon, dem Waldelben, besiegelt.
Sie sollte noch lange Zeit bestehen.
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