Nevon marschierte stolz über
den Marktplatz von Mardhil. Zuvor hatte er eine extra Stunde lang seinen
Brustharnisch poliert, der nun in der Sonne glänzte. Auch die Hellebarde
war auf Hochglanz gebracht worden. Schließlich repräsentierte
Nevon die Autorität des Grafen in diesem Teil der Welt. Nevon war
noch nicht lange Teil der Wache, aber genau so hatte er sich das vorgestellt.
Eine wichtige Aufgabe innehaben und von den Leuten respektiert werden.
Genau so musste es sein.
Am Morgen war ein Reiter in die
Stadt geprescht und hatte verlangt den Hauptmann der Wache zu sprechen.
Kurz darauf war Nevon gerufen worden und ihm war der Schutz des Ortes überantwortet
worden. Daraufhin verließ der Rest der Wache zusammen mit dem Reiter
den Ort im Eilschritt. Angeblich war irgendwo ein Riese und ein Dämon
ausgebrochen und die verwüsteten nun die Gegend.
Umso besser, fand Nevon. Die beiden
würden dann wohl kaum hier auftauchen. Sonst wäre der Rest der
Wache ja nicht abberufen worden. Die Gelegenheit, um zu zeigen, dass er
verstand, in Mardhil für Recht und Ordnung zu sorgen.
Gerade beendete er seine zweite
Runde und wandte sich um. Auf dem Weg zum Tor wollte er eine kurze Pause
am Brunnen einlegen, damit die Frauen, die dort Wasser holten, ihn auch
gebührend bewundern konnten, als eine der Marktfrauen auf ihn zeigte
und einen hysterischen Schrei ausstieß.
Osghar führte seine Gäste
durch ein paar breite und gut ausgebaute Gänge. Selbst für den
Prólm war es kein Problem hier aufrecht zu gehen.
"Früher gab es hier natürlich
viel mehr Zwerge. Wir unterhielten hier eine wohlfunktionierende Kristallmine,
aber es besteht einfach kein Bedarf mehr an unseren Kristallen in letzter
Zeit und daher... Naja ich will euch nicht damit langweilen." Der Zwerg
blickte einen Augenblick versonnen in die Ferne und erzählte dann
weiter.
"Mardhil liegt direkt an einer
Bergflanke. Das macht es natürlich zu einem idealen Handelsort für
uns. Wir mussten die Kristalle nicht endlos über die Erde transportieren,
sondern konnten sie direkt aus dem Berg an die Händler übergeben.
Dazu haben wir einfach einen Teil des Berges, der in Mardhil eine fast
senkrecht abfallende Wand besitzt, ausgehöhlt und in ein paar große
Lagerhallen verwandelt. So weit ich weiß werden diese Hallen noch
immer verwendet. Allerdings nun von den Menschen. Nichts desto trotz sind
diese Hallen unser Ziel, denn dort gibt’s natürlich auch einen Ausgang
zu den Minen."
Osghar erzählte ihnen noch
mehr von diesen Hallen, welche Besonderheiten sie aufwiesen und welche
architektonischen Feinheiten zu beachten waren und was bei der Erstellung
beachtet werden musste. Das ganze hörte sich an als wären die
Arbeiten erst vor ein paar Tagen abgeschlossen worden und Osghar der ausführende
Baumeister, so dass noch alles frisch in Erinnerung war. Auf Nachfrage
von Kani stellte sich heraus, dass die Hallen bereits seit 200 Jahren nicht
mehr von den Zwergen verwendet wurden.
Nach einer knappen Stunde erreichte
die Gruppe ein großes Tor. Osghar zog einen Schlüssel hervor
und machte sich damit an dem Schloß zu schaffen. Dabei murmelte er
ein paar eigenartige unverständliche Worte. Schließlich öffnete
sich das Tor und gab den Blick frei auf eine wirklich geräumige Halle.
Selbst Hragnir musste zugeben, dass die Halle groß war. Am Ende der
Halle konnte man Tageslicht erkennen.
"Und was machen wir nun?" fragte
Kani.
"Na wir machen uns so schnell wie
möglich aus dem Staub." Zirnaubishath schien erpicht darauf zu sein
Mardhil so schnell als möglich hinter sich zu lassen.
"Hmm", gab Chotis zu bedenken,
"wir sollten zumindest ein paar Vorräte mitnehmen, wenn wir weiter
nach Wren Medir wollen.
"Ich glaube nicht, dass die Wache
uns so einfach aus dem Ort spazieren lässt nachdem wir was eingekauft
haben." Der Zauberer rieb sich das Kinn. "Nein, ich glaube nicht. Der Hauptmann
der Wache ist Wargrov treu ergeben."
"Oh, Wachen." Chotis versuchte
besorgt auszusehen. "Das könnte tatsächlich ein Problem sein.
Wie viele gibt es denn so im Schnitt?"
"Neun wenn ich mich recht erinnere."
antwortete Zirnaubishath.
Chotis sah vielsagend zu Hragnir.
"Oh nein, mein Herr Ich mach
das nicht schon wieder. Die Soldaten im Schloß haben mir gereicht.
Ich werde mich nicht schon wieder mit denen anlegen, während ihr euch
den Wanst voll schlagt." Der Prólm verschränkte die Arme vor
der Brust und verzog das Gesicht.
"Nicht doch, Hragnir", Chotis versuchte
immerhin empört auszusehen, "so was würde ich dir nie abverlangen.
Die Sache auf Burg Wabe war einfach eine Verkettung unglücklicher
Umstände." Damit machte sich der Dämon auf den Weg zum Ausgang.
Die anderen folgten ein wenig unsicher.
"Wie ist nun der Plan?" wollte
der alte Möchtegernmagier wissen.
"Welcher Plan?" Kani zuckte mit
den Schultern.
Nevon drehte sich um so schnell
es ging. Inzwischen schrieen auch andere Leute und die ersten wandten sich
zur Flucht. Nevon traute seinen Augen nicht. Vor ihm standen ein Reise,
ein Zwerg und drei Menschen. Einer davon war augenscheinlich ein Zauberer.
Ein weiterer zeigte ein ungeheuer breites Lächeln. Die Hellebarde
fiel der Wache aus der Hand und landete klappernd zu Boden. Das konnte
nur eins bedeuten: Invasion. Nevon machte einen Schritt rückwärts,
verhedderte sich irgendwie in der fallengelassenen Waffe und fiel rücklings
auf den Boden. Der Mann mit dem Lächeln kam auf ihn zu.
"Alarm!" schrie Nevon. Dann fiel
ihm ein, dass er der einzige Wachhabende in Mardhil war. So sollte das
aber nicht sein.
Chotis baute sich vor der am Boden
liegenden Wache auf. Hragnir schnappte sich den Mann und stellte ihn wieder
auf die Füße. Der Marktplatz hatte sich inzwischen merklich
geleert. Abgesehen von ein paar wagemutigen oder neugierigen, hatten sich
alle soweit entfernt wie möglich.
"Nicht doch, nicht doch, guter
Mann."
"Ähh..." Nevon beäugte
vorsichtig den Prólm, der sich sogar die Mühe gemacht hatte,
die Hellebarde aufzuheben.
"Wir sind nur auf der Durchreise."
Chotis Lächeln wurde noch eine Spur breiter.
"Keine Invasion? Kein Massaker?"
Nevon guckte ungläubig in die Runde.
"Aber nicht doch. So etwas würden
wir nie tun, nicht war Hragnir?"
"Nicht, wenn es sich vermeiden
lässt." Hragnir drückte der Wache die Hellebarde in die Hand
und versuchte dem verwirrten Soldaten den Staub von der Rüstung zu
wischen.
"Aaaber ihihihich dahahahachte
eieien Rieiese uhuhund eieien Dähähähmon verwüwüwüsten
dieieie Gegegegend" Nevon wurde von der Reinigungsaktion des Prólm
kräftig durchgeschüttelt.
"Ach das..." Chotis bedeutete Hragnir
mit dem Putzen aufzuhören und legte vertrauensvoll einen Arm um Nevon.
"Das kann ich erklären. Sieh her: wir sind ein Prólm, ein Zwerg
und drei Menschen, nicht ein Riese und ein Dämon. Zugegeben, das mit
dem Riesen ist etwas verwirrend, aber das ist auch das einzige übereinstimmende
zwischen unserer und deiner Geschichte."
Nevon blickte ein wenig unsicher
zu Hragnir.
"Siehst du, ist doch alles geklärt.
Am besten gehst du nun schnell zu deinen Leuten und erklärst ihnen
alles." Chotis klopfte der Wache aufmunternd auf die Schulter.
"Die sind heute morgen abkommandiert
worden, den Riesen und den Dämon jagen." Nevon plagten immer noch
Zweifel.
"Na siehst du. Dann können
wir ja gar nicht die Gesuchten sein, denn sonst würden deine Kollegen
ja hier nach uns suchen. Nicht wahr?" Chotis nickte der Wache zu. "Und
am besten machen wir uns nun direkt auf den Weg. Um weitere Missverständnisse
zu vermeiden."
Chotis ließ denn immer noch
verwirrten Nevon stehen und wandte sich an den Rest der Gruppe.
"Ahh, ich sehe, du hast schon für
unsere Verpflegung gesorgt." Chotis nickte Kani anerkennend zu, die den
fast verlassenen Marktplatz genutzt hatte, einen Sack mit Lebensmittel
voll zu packen, den sie nun dem Prólm in die Hand drückte.
"Ich werde mich wieder dem Kristallsuchen
widmen." Osghar verbeugte sich. "Es war mir eine Freude, euch kennen zu
lernen, und ich wünsche euch viel Glück bei eurer Quest."
Alle schüttelten einander
die Hände und der Zwerg ging wieder zum Lagerhaus. Die Gruppe machte
sich auf und versuchte den Marktplatz zu verlassen.
Inzwischen hatte sich Nevon jedoch
von der schlimmsten Verwirrung erholt und stellte sich Chotis in den Weg.
"Eure Geschichte klingt irgendwie
komisch", brachte er nicht besonders überzeugend vor. Ich muß
euch festnehmen, bis der Hauptmann wieder da ist und entscheidet, was mit
euch passiert." Nevon war zufrieden mit sich. Es war immer gut, irgendwelche
Verantwortung den Offizieren zu überlassen. Hragnir zog die Augenbrauen
hoch beim Anblick des mutig gewordenen Wachsoldaten. Nevon machte einen
kleinen Schritt zur Seite.
"Hmm." Chotis sah sich suchend
um. "Müsstest du dich nicht um wichtigere Dinge kümmern als um
ein paar harmlose Durchreisende?"
"Ihr seid nicht harmlos", versuchte
Nevon seine Handlungsweise zu rechtfertigen. "Und es gibt nichts wichtigeres
im Moment." Die Wache fuchtelte mit der Hellebarde in Richtung Hragnir
herum, versuchte ein überlegendes Lächeln und scheiterte.
"Vorsicht Junge" meinte Hragnir.
"Sowas kann gefährlich werden."
"Ach!" Chotis ging auf einen Marktstand
in der Nähe zu, der frisch gebratene Köstlichkeiten anbot. Inzwischen
waren sie jedoch allesamt verbrannt. Chotis warf das Kohlebecken um. Sofort
entzündete sich ein Stück von dem Stand.
"Und was ist mit dem Feuer da?
Ist das unwichtig? Feuer kann böse Folgen haben." Der Dämon ließ
den verdutzten Soldaten einfach stehen und machte sich wieder auf den Weg.
"Kommt, Leute, wir haben noch einen
weiten Weg vor uns."
Nevon war erneut verwirrt. Er rannte
ein paar Schritte hinter der Gruppe her. Das Feuer hatte inzwischen den
ganzen Stand entzündet. Feuer war tatsächlich gefährlich.
Also lief er zurück. Aber die Leute waren jetzt tatsächlich Verbrecher.
Sie hatten einen Marktstand angezündet. So etwas durfte ja eigentlich
nicht ungestraft bleiben. Nevon versuchte ein paar von den Händlern
dazu zu bewegen, sich um das Feuer zu kümmern, aber als Chotis das
Kohlebecken umgeworfen hatte, war der Rest der Leute aus Angst verschwunden,
jetzt würde der gewalttätige Teil beginnen. Inzwischen hatte
das Feuer auf den Nachbarstand übergegriffen. Dummerweise verkaufte
dieser Stand Lampenöl.
Unbehelligt verließen die
vier ungleichen Gefährten Mardhil.
"Das lief doch eigentlich ganz
gut." Chotis war sehr zufrieden mit sich selbst.
"Naja, ich weiß nicht." Kani
sah sich um. Eine dichte Rauchwolke stieg über dem Marktplatz auf.
|