"Oh nein!", protestierte Fryijo,
"Ich denke nicht daran, mich von zwei dahergelaufenen ------ verschleppen
zu lassen. Und überhaupt! Was sind das für Methoden?" Er wusste,
dass seine Chancen gegen die beiden im Kampf gegen Null gingen. Doch Fryijo
war einer der schnellsten Läufer in Draau und hoffte, im Gewimmel
der Stadt entkommen zu können, wenn er Garth und Torian bis auf’s
Blut reizen sollte. Und so zeterte er weiter um sie einzulullen: "Zu einer
Exkursion hättet ihr mich auch ganz normal einladen können -
nachdem ihr euch vorgestellt habt und zwar mit mehr als nur euren Namen,
die können ja schließlich auch falsch sein. Aber so - Nein!!
Ich gehe nicht in das Gebiet des stillen Todes. Allein der Name klingt
mehr nach einem Abenteuerspielplatz für übergeschnappte Abenteurer,
aber ich bin ein friedlicher Fischer. Also, meine Herren: Ich gehe", sprach’s,
wandte sich um und rannte los.
Er hörte kein Stiefeltrampeln
von den beiden Kriegern. Garth warf ihm auch nicht seine schreckliche Axt
nach. Er hörte auch nicht, wie sie ihm irgendwelche unsittlichen Flüche
hinterherbrüllten. Zu Fryijos Verwunderung war alles, was er von den
beiden noch vernahm, ein schallendes Gelächter. Erst danach bemerkte
er, dass er sich trotz größter Kraftanstrengung um keinen Zoll
von der Stelle bewegte. Keuchend blieb er stehen. Torian grinste ihn an:
"Nur zu, Fischer, lauf! Lauf so schnell du kannst! Du wirst dich trotzdem
nicht aus der Nähe von Garth’s Axt entfernen können, es sei denn,
ich erlaube es.
Ich kenne mich ein wenig mit Illusion
und Zauberei aus, weißt du?"
Zwei Tage. Achtundvierzig Stunden.
Doch der Weg, den sie zurückgelegt hatten, war weit mehr, als zwei
Tagereisen, denn Torian hatte keine Ruhezeiten gehalten. Gegessen hatten
sie fast gar nicht und getrunken nur hastig im Marschieren. Zum Leidwesen
Fryijos war das Tempo sehr scharf gewesen. Keuchend und taumelnd blieb
er dankbar stehen, nachdem sie einen Berg irgendwo in einem kleinen Gebirge,
weit, weit Weg von seinem Zuhause, erklommen hatten. Fryijo wusste, dass
hier irgendwo entfernte Verwandte von ihm wohnten, doch man hörte
bloß alle paar Jahre voneinander und Besuche waren noch seltener.
Beinahe wäre er umgekippt, hätte Garth ihn nicht aufgefangen.
"Wir sind da", sagte Torian. Der Söldner zeigte keinerlei Anzeichen
der hinter ihm liegenden Strapazen. Wie waren er und sein Kumpan ausgebildet
worden? Schwer atmend antwortete Fryijo: "Nein. Ich kenne diese Gegend.
Ich war als kleines Kind bereits hier. Harmloses Ackerland."
"Wie sehr du dich irrst, Fryijo",
entgegnete Torian, "dieses Gebirge ist alles andere als harmlos. Dieser
Berggipfel hier ist zum Beispiel die Pforte zum Gebiet des stillen Todes.
Man kann nur unter bestimmten Umständen dorthin gelangen. Dadurch,
dass du die Fähigkeit besitzt, kannst du die wichtigste Bedingung
erfüllen und trotzdem überleben.
Diese Kuppel war vor undenklichen
Zeiten Opferstätte eines perversen Glaubens an irgendeinen Pseudo-Gott,
genannt der Stille Tod, der den Bewohnern ringsum seinen Schutz versprach,
vorbehaltlich, dass hier jedes Jahr ein wahres Schlachtfest für ihn
stattfände. Er forderte in jedem Jahr eine Jungfrau, einen Jüngling,
Vater, Mutter, Alte und einen Alten, sowie zwei Neugeborene, die hier auf
dem Gipfel um Mitternacht geopfert wurden. Ihnen wurden Arme und Beine
abgetrennt und die lebenden Torsi hier über Nacht liegengelassen.
Bei Sonnenaufgang waren sie verschwunden. Bei Weigerung drohte er, alles
Leben in diesem Landstrich auszulöschen und ließ die Bauern
in jeder Vollmondnacht durch seine Diener erinnern, die in den Feldern
wüteten und Unvorsichtige, die in der Nacht noch unterwegs waren,
verschwinden ließen. Der Steinkreis da drüben war die Stelle,
die Pforte." Torian zeigte zum höchsten Punkt des Gipfels. "Irgendwann
kam ein ziemlich großer Magier her, hörte die Geschichte und
entschloss sich dem Stillen Tod ein Ende zu setzen. Fest steht nur, dass
er die Fähigkeit nicht besaß - und dass er es irgendwie trotzdem
geschafft haben muss, denn seit jener Nacht, in welcher der Magier (übrigens
diesmal als einziger) seiner Extremitäten entledigt durch die Pforte
ging, ist Ruhe. Es gab keine Heimsuchungen mehr und obwohl das Opfer im
Jahr darauf nicht dargebracht wurde, kam die Vernichtung nicht über
die Bauern."
"Wie edel", entfuhr es Fryijo,
der völlig vergessen hatte, dass das alles noch etwas mit ihm zu tun
haben müsse. Er war fasziniert von dieser Geschichte aus Licht und
Schatten, die sich hier, an diesem Ort, wo er nun war, zugetragen hatte.
"Naja, immerhin hat dieser Magier
ewigen Ruhm zu erwarten gehabt; ich glaube, man feiert immer noch seinen
Namenstag ohne allerdings so recht zu wissen, warum. Aber das kann uns
auch herzlich egal sein. Wir sind wegen der Jahrhunderte vorher hier.
Einer der Geopferten nämlich
war ein Dieb gewesen bevor er sich hier als Bauer niederließ. Und
er hat den Elben etwas für sie sehr wertvolles gestohlen, das sie
'Herz der Flamme' nennen. Da in der Zwischenzeit kaum noch ein Elbe der
damaligen Zeit lebt, weiß niemand mehr, was das 'Herz der Flamme'
eigentlich ist. Aber da es nicht gefunden wurde, haben die Elben geschlussfolgert,
dass es mit dem Dieb zusammen in das Gebiet des Stillen Todes geraten ist.
Trotzdem wollen sie es zurückhaben. Schon seit, ah, wie lange war
es, Garth?"
"Dreihundert", grinste der Hüne.
"Danke, - seit dreihundert Jahren
haben sie nach jemandem gesucht, der es zurückbeschaffen kann. Und
vor kurzem sind sie auf uns gestoßen. Die Belohnung ist gewaltig."
"Ja, das freut mich für euch",
antwortete Fryijo, dem nun langsam zu dämmern begann, was seine Rolle
bei dem allen sein sollte. Sein Bewusstsein weigerte sich trotzdem beharrlich,
die Erkenntnis hinzunehmen und stellte sich dämlich. "Und weshalb
bitte schleppt ihr mich quer durch das Land und erzählt mir dann Legenden?
Ich will nach hause", schluchzte er.
"Nun ja", dozierte Torian weiter,
"uns war klar, dass dieser Auftrag mit Schwierigkeiten verbunden sein würde.
Denn auch mit der besten Ausbildung - und die haben wir beide durchlaufen,
das kannst du mir glauben! - kämpft es sich recht schwer ohne Gliedmaßen.
Aber Garth wusste von der Fähigkeit, die auch du besitzt, weil seine
Großmutter sie hatte."
"In schlechten Zeiten hat sie damit
die Familie durchgebracht", erklärte der Koloss gutmütig.
"Und eine Elbin erinnerte sich
an ein Kind in Draau, an dich, weil sie vor so zwanzig Jahren gesehen hatte,
wie du bei einem Brand eine ganze Hälfte deines Körpers verloren
hattest und trotzdem überlebtest, weil sie binnen fünf Stunden
wieder nachwuchs."
Entsetzt nahm Fryijo das Unvermeintliche
nun doch zur Kenntnis, wenn auch nicht verbal, denn sein Kommentar dazu
war nur ein verzweifeltes "Nein..."
"Doch" widersprach der Söldner,
"heute ist Neumond, du wirst durch die Pforte gehen und mit dem 'Herz der
Flamme' zurückkehren. Du wirst nicht ganz alleine sein, du weißt
doch, ich kann ein wenig zaubern. Und zwar genug, um dir Garth’s Kampfkraft
und Erfahrung zur Verfügung zu stellen, indem ich dich, wenn du drüben
bist mit ihm verbinde. Ich habe keinen blassen Schimmer, was dich erwartet,
aber ich beneide dich ehrlich um diese Reise." Die Worte klangen aufrichtig.
"Ruh dich jetzt aus, es ist noch Zeit bis Mitternacht."
Sie aßen und tranken, für
Fryijo war es nach dem 48-stündigen Dauermarsch ein wahres Festessen,
und dann fiel er einfach um und schlief einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Er erwachte vom Wind, der über
die Ebene wehte und ihn in der Nase kitzelte. Als er sich kratzen wollte,
stellte er entsetzt fest, dass sein gerade nachwachsender Arm dafür
zu kurz war. Fryijo lag auf dem Rücken und sah dürres Steppengras.
Innerlich verfluchte er den Zauberer, der ihn tatsächlich im Schlaf
durch die Pforte geschickt hatte. Was, wenn der Stille Tod ihn holen würde,
bevor er wieder Arme und Beine hatte und auf magische Weise mit Garth verbunden
war? Finster und von Angst gepeinigt starrte er in das graue Firmament
und wartete...
© Uriel
Sakarhim
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