Magische
Welt
Íja Macár
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Ranike
K95
 von: Andreas Götz

Celéron ging nervös auf und ab. Koshanas Katze, die eigenartigerweise mit ihnen gekommen und nicht mit der Magieren gegangen war, maunzte ihn an. Sie mochte wohl sein hektisches Gerenne nicht leiden. Seit sie im Wald angekommen waren, hatte der Meisterweber nichts unternommen, um Ranike zu helfen. Er hatte lange mit allen möglichen Leuten gesprochen. Über Götter und Welten, so kam es dem jungen Elben vor. Sie sprachen zwar auch über die bewußtlose Frau, und Lorenghart schien alles wissen zu wollen, sogar welche Farbe die Socken hatte, die sie zuletzt getragen hatte. Aber nicht über eine Möglichkeit Ranike zu helfen. Es war zum Haare raufen. Dabei schien das ganze schon greifbar nahe gewesen.
Celéron wollte sich nicht mehr damit abfinden. Das einzige was ihn davon abhielt, dem Meisterweber mal so richtig die Meinung zu sagen, war die Tatsache, daß auch wirklich jeder ihn mit einer Ehrfurcht und einer Demut begegnete, wie er es noch nie vorher erlebt hatte. Klar hatte er den Meisterweber schon früher gesehen, aber da hatte er immer mehr Augen für Ranike gehabt.
Gerade als Celéron glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, gesellte sich Lorenghart zu ihm. Er lächelte überaus freundlich und es war nichts Gönnerhaftes oder Herablassendes in seinem Blick. All der Ärger und die Frustration in Celéron verpuffte augenblicklich.
"Ich kann mir gut vorstellen, wie es in dir aussieht, mein junger Freund."  Die beiden Männer setzten sich hin. "Und es tut mir leid, daß ich es dir nicht erklären konnte, aber ich glaube, daß Zeit ein kritischer Faktor in unserem Fall ist."
Celéron war völlig verwirrt.
"Zeit?" stotterte er. "Aber seit Tagen machst du nichts anderes als mit jedem ein Schwätzchen zu halten."
"Wie gesagt, es tut mir leid, daß ich es nicht erklären konnte. Aber glaub mir, jedes dieser Gespräche war nötig und mir wäre es lieber ich hätte noch eine Woche länger Zeit. Aber ich glaube, ich weiß nun genug, um einen Versuch zu wagen. Allerdings brauche ich deine Hilfe dazu. Du kanntest sie am besten. Das wird uns von großem Vorteil sein."
"Ich helfe wo ich kann", beteuerte Celéron
"Es wird gefährlich werden. Jemand im Gebäude seines Geistes zu besuchen und zu suchen, wenn dieser womöglich gar nicht gefunden werden mag, birgt Risiken, die du dir nicht vorstellen kannst."
"Ich tu es trotzdem."
"Das habe ich nie bezweifelt. Aber du wirst Geduld brauchen. Und du mußt meinem Rat folgen, wie eigenartig er auch erscheinen mag."
"Ich mache was du mir vorgibst". Celéron nickte dem Meisterweber zu.
"Gut, dann laß uns beginnen."

Gemeinsam begaben sie sich an den Ort, an dem Ranike aufgebettet lag. Das Zimmer war abgeschieden vom Rest des Hauses und hatte ein großes Fenster. Die Nachmittagssonne schien herein und tauche alles in ein sanftes Licht. Der Gesang von Vögeln drang herein, nur ab und zu unterbrochen vom gelegentlichen Hacken eines Waldspechts. Das ganze machte einen fast schon unnatürlich friedlichen Eindruck. Celéron war sich nicht sicher ob der Meisterweber da nicht seine Finger im Spiel hatte. Subtile Gewebe waren seine Spezialität und er hatte es darin zu unübertroffener Meisterschaft gebracht. So hieß es jedenfalls.
Lorenghart nahm an der einen Seite von Ranike Platz und Celéron auf der anderen. Die Katze schlich um sie herum. Der Meisterweber legte eine Hand auf die Stirn der bewußtlosen Elbe und eine auf ihren Bauch eine Handbreit oberhalb des Nabels. Celéron tat das Gleiche und sie verschränkten ihre Finger.
"Bereit?" fragte der Meisterweber.
"Bereit", antwortete der junge Elb.
"Ein Wort noch zu Koshanas Katze. Sie hat angeboten, uns zu helfen und ich bin ihr sehr dankbar dafür. Es wird jedoch ein wenig merkwürdig scheinen. Laß dich nicht von der Katze ablenken."
Celéron nickte nur.
Lorenghart begann mit leiser Stimme zu summen. Das Licht im Zimmer veränderte sich rasch. Von dem lieblichen Sommernachmittag war nichts mehr zu spüren. Wie von Fackeln erleuchtet schien der Raum inzwischen. Eigenartige Schatten huschten über die Wände. Sie waren kaum zu fassen und das war vielleicht auch besser so, denn sie beunruhigten Celéron. Der junge Elb konzentrierte sich nur auf Ranike, doch je mehr er sich bemühte, desto realer wurden die Schatten und desto bedrohlicher schienen sie. Die Temperatur war deutlich gefallen. Celéron konnte seinen Atem sehen, wie er stoßweise aus Mund und Nase kam. Dann konnte er den Schatten der Katze ausmachen, die den unheilvollen Schatten nachjagte und sie einen nach dem anderen vertrieb. Einige Szenen waren mehr als nur beunruhigend und vor Schreck wäre Celéron einmal fast zurück gezuckt, doch die beruhigende Nähe Lorengharts hielt ihn zurück.
Nicht lange und der Spuk war vorbei.
Sie standen in einem großen Zimmer. Viele Türen gingen davon ab. Manche waren geöffnet. Manche angelehnt. Manche verschlossen. Das Zimmer war bar jeder Einrichtung und jedweden Schmucks.
"Willkommen in Ranikes Geist."
"Was war denn das gerade?" fragte Celéron.
"Das war die innere Barriere von Ranikes Geist", erläuterte der Meisterweber. "Jeder Geist hat eine solche Barriere. Daher ist es nie ungefährlich den Geist eines anderen Menschen zu schauen. Im Weben bewanderte Wesen sind jedoch darauf trainiert ihren Geist zu kontrollieren. Das macht ihre Barriere um einiges Schwieriger zu überwinden.
"Aber ich habe doch gar nichts gemacht."
"Nein. Du nicht. Sei froh drum. Und nun begeben wir uns auf die Suche nach Ranike."
"Dies ist das Gebäude von Ranikes Geist", fuhr der Weber fort. "Wir sind sozusagen in der Eingangshalle. Von hier aus werden wir den Ort finden müssen, an dem Ranike sich versteckt hält. Jede dieser Türen enthält einen Bereich von Ranikes Geist. Erinnerungen, Vorstellungen, Wünsche und so weiter. Manche lassen sich leicht öffnen. Manche werden schwer bewacht. Am Anfang wird es fast egal sein durch welche Tür wir gehen. Aber ich möchte, daß du jedes Mal, wenn wir einen Raum betreten, versuchst dir vorzustellen, wo Ranike wohl sein könnte. In dieser Richtung werden wir dann weiter suchen."
"Aber wie soll ich das erkennen?" fragte Celéron.
"Nun, du mußt einfach darauf vertrauen, daß du es erkennen wirst. Du kanntest Ranike am besten. Das wird uns sehr helfen. Das ist übrigens auch der Grund warum ich so oft und lange mit den anderen Leuten über Ranike gesprochen habe. Das ermöglicht es mir ein detailliertes Bild von ihren letzten Tagen zu bekommen. Das wird mir helfen am Anfang den richtigen Weg zu wählen."
"Warum rufen wir sie nicht einfach. Wenn sie hier ist wird sie uns schon antworten."
"So einfach ist das leider nicht", bedauerte Lorenghart, "wenn man Zuflucht in seinem eigenen Geist sucht, dann versucht man sich vor irgend etwas Schrecklichem zu verstecken. Und die schrecklichsten Dinge haben die unangenehme Angewohnheit in Verkleidung von etwas sehr vertrautem daher zu kommen."
"Oh."
"Dann laß uns mal den ersten Raum betreten."

Lorenghart deutete auf eine Tür und die beiden gingen hindurch. Der Raum dahinter war so ganz anders als Celéron ihn sich vorgestellt hatte. Über und über bewachsen, wucherten alle möglichen Arten von Sträuchern und Gewächsen in dem Raum. Das ganze roch so intensiv nach Wald, daß es schon fast unnatürlich schien. Ein Ende oder ein anderer Ausgang war nicht zu erkennen. Celéron konnte keinerlei Präsenz von Ranike bemerken. Er bemerkte aber eine böswillige Stimmung. Er wollte das gerade als übersteigerte Einbildung aufgrund extremer Umstände abtun, als plötzlich eine der Pflanzen nach ihm griff. Unvermittelt baumelte er kopfüber über dem Boden und ein paar Ranken versuchten seinen Kopf zu erreichen. Andere Ranken begannen, sich um seinen Körper zu winden und sich langsam zuzuziehen. Da fiel ihm ein, daß Ranike ihm davon erzählt hatte. Als Kind hatte sie schreckliche Alpträume von wild und bösartige gewordenen Baumriesen. Sie hatte darauf bestanden, daß er die Worte lernte, mit denen man sie beruhigen konnte. Damals hatte Celéron darüber gelacht und als sie nicht lockerließ geflucht, denn die Sprache war für ihn kaum auszusprechen. Nun war er mehr als froh für die Stunden, die er damals seine Stimmbänder malträtiert hatte. Er rief die Worte so laut er konnte bevor die Ranken ihm die Luft aus der Lunge drückten. Sofort hielten die Äste inne. Das bedeutete, sie drückten nicht weiter zu, ließen aber nicht locker. Mühsam befreite sich Celéron aus der Umklammerung und entfesselte dann auch Lorenghart.
"Ist das in allen Räumen so?" wollte der junge Elb wissen.
"Hoffen wir mal nicht."
Sie bahnten sich einen Weg durch das Grünzeug und fanden bald einen Ausgang.

Die nächsten paar Räume verliefen ereignisloser. Der Meisterweber erklärte Celéron was sie sahen. Oder er versuchte es zumindest, denn einiges widersprach jeder Logik. Bei einigen Dingen konnte Celéron die entscheidenden Hinweise liefern, um zu verstehen was ihnen gezeigt wurde. Ihrem Ziel kamen sie jedoch nicht näher. Einmal glaubte der junge Elb etwas zu spüren, aber er konnte es nicht orten und im nächsten Raum war nichts zu spüren.
Dann erreichten sie einen völlig schwarzen Raum. Vier Türen gingen davon ab. Es gab keinerlei Einrichtung, keinerlei Gegenstände oder anderes Zeug, was auf eine Funktion des Raumes hindeuten konnte. Lorenghart war ratlos. Hier kam er nicht weiter mit dem was er von den Leuten über Ranike und ihre letzten wachen Tage erfahren hatte. Celéron war ebenfalls ratlos. Er spürte absolut nichts.
Rein aus Neugier probierte er eine beliebige Tür aus ob sie verschlossen war oder sich öffnen ließ. Schlagartig änderte sich die Umgebung. Wo vorher alles schwarz gewesen war loderten nun heftige Flammen. Die Hitze war innerhalb kürzester Zeit unerträglich. Alle ungeschützten Bereiche seiner Haut zeigten bereits erste Anzeichen von Verbrennungen. Celéron wußte nicht wohin. Die Flammen fauchten ihm entgegen und füllten seine komplette Wahrnehmung aus. Ganz entfernt vermeinte er eine Stimme flüstern zu können. Zuerst konnte er sie nicht verstehen, doch dann erkannte er, daß sie ihn zum Sprung aufforderte. Springen? Das ist doch wohl dämlicher als alles andere, dachte sich Celéron. Gleichzeitig erinnerte er sich jedoch an sein Versprechen Lorenghart gegenüber. Er nahm allen Mut zusammen, sprang und landete wieder in dem schwarzen Raum. Das Feuer war weg und auch die Verbrennungen waren nicht real. Sein Herz schlug trotzdem wie wild und er war ausser Atem geraten.
"Wir sind auf dem richtigen Weg." Der Meisterweber nickte dem jungen Elb aufmunternd zu.
Celéron hustete.

Danach wurde der Weg beschwerlicher. Lorenghart hatte schließlich die Funktion des schwarzen Raumes erkannt und seine Wirkungen neutralisieren können. Wie er das hin bekommen hatte, war zumindest Celéron völlig unverständlich gewesen, obwohl der Weber es ihm zu erklären versucht hatte. Hinter dem schwarzen Raum hatte Celéron zum ersten Mal Ranikes Anwesenheit gespürt und mit jeder Tür, die er durchquerte, wurde die Präsenz stärker. Allerdings waren auch die Räume gefährlicher. Sie wurden fast vergiftet, verstümmelt, zerquetscht oder in Stücke gerissen. Aber gemeinsam meisterten sie alle Gefahren und standen schließlich in einem winzigen Zimmer, das wie ein gemütliches Studierzimmer eingerichtet war. In einem Kamin prasselte ein wärmendes Feuer und auf einem kleinen Tisch stand eine Karaffe mit einem edlen Wein bereit. Ein paar Leckereien waren ebenfalls zu sehen. An den Wänden standen hauptsächlich Buchregale. In einer Ecke, in der Nähe des Kamins, stand ein außerordentlich bequemer Sessel. In ihm hatte sich Ranike zurückgezogen.
Celéron wollte sie in die Arme schließen, aber Lorenghart hielt ihn zurück.
"Sie wird uns nicht als das erkennen was wir sind. Erinnere dich, sie ist aus Angst hierhin geflohen und diese Angst wird ihr einreden wir seien Monster, die ihr etwas Böses wollen."
"Was sollen wir denn tun?" Celéron war ungeduldig.
"Nichts. Wir warten ab. Irgendwann wird ihr Geist das Rätsel von alleine lösen und sie wird uns erkennen. Das ist der Geduldsteil."
Der junge Elb stöhnte. Er setzte sich auf den Boden und sah Ranike zu wie sie versuchte ihn und den Meisterweber zu ignorieren.

Celéron hatte schon längst jegliches Zeitempfinden verloren. Er hatte ein paar Worte mit dem Meisterweber gewechselt aber meistens hatten sie geschwiegen und Ranike zugesehen. Ab und an sagte Lorenghart etwas in einer unbekannten Sprache. Endlich rührte sich Ranike und kam zwei Schritte auf sie zu. Celéron wollte aufspringen und zu ihr eilen, doch Lorenghart hielt ihn auch nun wieder zurück.
"Erst wenn sie vollends von unserer Identität überzeugt ist und uns anspricht, darfst du ihr entgegentreten."
Und Ranike schien tatsächlich Zweifel zu haben, denn nach kurzem Zögern schüttelte sie den Kopf und ging zurück zu ihrem Sessel.
Erneut verging eine Ewigkeit für Celéron. Er überarbeitete alle Liebeslieder, die er je für Ranike geschrieben hatte im Kopfe und dichtete gleich ein paar neue dazu. Das half natürlich nichts, aber es beschäftigte ihn wenigstens. Er hatte versucht etwas anderes zu machen, aber egal was er auch versuchte, seine Gedanken landeten bei Ranike.
Als er die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte hörte er Ranike sagen:
"Ist dir nicht kalt auf dem Boden, Celéron? Und euch, Meister Lorenghart, kann ich euch etwas zu trinken anbieten?"
Celéron wußte nicht, ob seine Gedanken ihm einen Streich gespielt hatten, doch der Meisterweber erhob sich bereits und ging langsam auf die Elbe zu.

"Ich kann nicht mit zurück kommen", bekräftigte Ranike noch einmal. "Ich habe gesehen wie die Welt vergeht. Das kann ich nicht noch einmal ertragen."
"Es muß nicht so enden", entgegnete Lorenghart. "Wir sind bereits auf der Suche nach der Ursache und brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können. Und wenn selbst ein einfacher Schäfer die Gefahren der magischen Reisen auf sich nimmt, dann kannst du bestimmt Herr deiner Visionen werden. Erinnere dich an das, was ich dir beigebracht habe."
"Aber es ist so groß, so unsagbar schrecklich, daß ich nicht weiß, ob ich das schaffe." Ranikes Augen weiteten sich einen Augenblick und sie wurde blaß.
"Ich helfe dir wo ich kann", bot Celéron an, nur bitte komm wieder." Celéron nahm ihre Hand und legte sie an seine Stirn. "Bitte."
Ranike sah Celéron lange an. Sie sah auch Lorenghart lange an. Keiner der beiden bewegte sich.
"Ich glaube nicht, daß ich das überlebe, aber euch zuliebe komme ich mit", beantwortete sie schließlich die unausgesprochene Frage.
"Ich werde immer bei dir sein", versprach Celéron.

Der Rückweg war denkbar einfach. Ranike öffnete die einzige Tür in dem Studierzimmer und sie befanden sich in der Eingangshalle. Ein weiterer Schritt und Celéron fand sich am Bett Ranikes wieder. Ihm gegenüber saß der erschöpft wirkende Meisterweber. Ranike lag auf dem Bett und atmete regelmäßig. Die Katze lag auf ihrem Bauch und schlief ebenfalls. Es war dunkel. Der Mond schien durch das Fenster und alles wirkte so unwirklich wie die Räume in Ranikes Geist unwirklich gewirkt hatten.
Lorenghart wollte Ranike wachrütteln, doch Celéron schüttelte den Kopf.
"Laß sie schlafen", sagte er. Dann erschrak er, denn es war nicht seine Stimme, die geantwortet hatte sondern Ranikes Stimme.
Verwirrt blickten sich die beiden Männer an.
"Nun macht nicht gar so verdutzte Gesichter", sagte Celéron erneut mit Ranikes Stimme. "Wie Celéron es versprochen hat, bin ich nun immer bei ihm. Uns zu trennen wird wahrlich unmöglich sein."
 


... und wie geht's weiter? Das würde ich auch gern erfahren.
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