Celéron ging nervös
auf und ab. Koshanas Katze, die eigenartigerweise mit ihnen gekommen und
nicht mit der Magieren gegangen war, maunzte ihn an. Sie mochte wohl sein
hektisches Gerenne nicht leiden. Seit sie im Wald angekommen waren, hatte
der Meisterweber nichts unternommen, um Ranike zu helfen. Er hatte lange
mit allen möglichen Leuten gesprochen. Über Götter und Welten,
so kam es dem jungen Elben vor. Sie sprachen zwar auch über die bewußtlose
Frau, und Lorenghart schien alles wissen zu wollen, sogar welche Farbe
die Socken hatte, die sie zuletzt getragen hatte. Aber nicht über
eine Möglichkeit Ranike zu helfen. Es war zum Haare raufen. Dabei
schien das ganze schon greifbar nahe gewesen.
Celéron wollte sich nicht
mehr damit abfinden. Das einzige was ihn davon abhielt, dem Meisterweber
mal so richtig die Meinung zu sagen, war die Tatsache, daß auch wirklich
jeder ihn mit einer Ehrfurcht und einer Demut begegnete, wie er es noch
nie vorher erlebt hatte. Klar hatte er den Meisterweber schon früher
gesehen, aber da hatte er immer mehr Augen für Ranike gehabt.
Gerade als Celéron glaubte,
es nicht mehr aushalten zu können, gesellte sich Lorenghart zu ihm.
Er lächelte überaus freundlich und es war nichts Gönnerhaftes
oder Herablassendes in seinem Blick. All der Ärger und die Frustration
in Celéron verpuffte augenblicklich.
"Ich kann mir gut vorstellen, wie
es in dir aussieht, mein junger Freund." Die beiden Männer setzten
sich hin. "Und es tut mir leid, daß ich es dir nicht erklären
konnte, aber ich glaube, daß Zeit ein kritischer Faktor in unserem
Fall ist."
Celéron war völlig
verwirrt.
"Zeit?" stotterte er. "Aber seit
Tagen machst du nichts anderes als mit jedem ein Schwätzchen zu halten."
"Wie gesagt, es tut mir leid, daß
ich es nicht erklären konnte. Aber glaub mir, jedes dieser Gespräche
war nötig und mir wäre es lieber ich hätte noch eine Woche
länger Zeit. Aber ich glaube, ich weiß nun genug, um einen Versuch
zu wagen. Allerdings brauche ich deine Hilfe dazu. Du kanntest sie am besten.
Das wird uns von großem Vorteil sein."
"Ich helfe wo ich kann", beteuerte
Celéron
"Es wird gefährlich werden.
Jemand im Gebäude seines Geistes zu besuchen und zu suchen, wenn dieser
womöglich gar nicht gefunden werden mag, birgt Risiken, die du dir
nicht vorstellen kannst."
"Ich tu es trotzdem."
"Das habe ich nie bezweifelt. Aber
du wirst Geduld brauchen. Und du mußt meinem Rat folgen, wie eigenartig
er auch erscheinen mag."
"Ich mache was du mir vorgibst".
Celéron nickte dem Meisterweber zu.
"Gut, dann laß uns beginnen."
Gemeinsam begaben sie sich an den
Ort, an dem Ranike aufgebettet lag. Das Zimmer war abgeschieden vom Rest
des Hauses und hatte ein großes Fenster. Die Nachmittagssonne schien
herein und tauche alles in ein sanftes Licht. Der Gesang von Vögeln
drang herein, nur ab und zu unterbrochen vom gelegentlichen Hacken eines
Waldspechts. Das ganze machte einen fast schon unnatürlich friedlichen
Eindruck. Celéron war sich nicht sicher ob der Meisterweber da nicht
seine Finger im Spiel hatte. Subtile Gewebe waren seine Spezialität
und er hatte es darin zu unübertroffener Meisterschaft gebracht. So
hieß es jedenfalls.
Lorenghart nahm an der einen Seite
von Ranike Platz und Celéron auf der anderen. Die Katze schlich
um sie herum. Der Meisterweber legte eine Hand auf die Stirn der bewußtlosen
Elbe und eine auf ihren Bauch eine Handbreit oberhalb des Nabels. Celéron
tat das Gleiche und sie verschränkten ihre Finger.
"Bereit?" fragte der Meisterweber.
"Bereit", antwortete der junge
Elb.
"Ein Wort noch zu Koshanas Katze.
Sie hat angeboten, uns zu helfen und ich bin ihr sehr dankbar dafür.
Es wird jedoch ein wenig merkwürdig scheinen. Laß dich nicht
von der Katze ablenken."
Celéron nickte nur.
Lorenghart begann mit leiser Stimme
zu summen. Das Licht im Zimmer veränderte sich rasch. Von dem lieblichen
Sommernachmittag war nichts mehr zu spüren. Wie von Fackeln erleuchtet
schien der Raum inzwischen. Eigenartige Schatten huschten über die
Wände. Sie waren kaum zu fassen und das war vielleicht auch besser
so, denn sie beunruhigten Celéron. Der junge Elb konzentrierte sich
nur auf Ranike, doch je mehr er sich bemühte, desto realer wurden
die Schatten und desto bedrohlicher schienen sie. Die Temperatur war deutlich
gefallen. Celéron konnte seinen Atem sehen, wie er stoßweise
aus Mund und Nase kam. Dann konnte er den Schatten der Katze ausmachen,
die den unheilvollen Schatten nachjagte und sie einen nach dem anderen
vertrieb. Einige Szenen waren mehr als nur beunruhigend und vor Schreck
wäre Celéron einmal fast zurück gezuckt, doch die beruhigende
Nähe Lorengharts hielt ihn zurück.
Nicht lange und der Spuk war vorbei.
Sie standen in einem großen
Zimmer. Viele Türen gingen davon ab. Manche waren geöffnet. Manche
angelehnt. Manche verschlossen. Das Zimmer war bar jeder Einrichtung und
jedweden Schmucks.
"Willkommen in Ranikes Geist."
"Was war denn das gerade?" fragte
Celéron.
"Das war die innere Barriere von
Ranikes Geist", erläuterte der Meisterweber. "Jeder Geist hat eine
solche Barriere. Daher ist es nie ungefährlich den Geist eines anderen
Menschen zu schauen. Im Weben bewanderte Wesen sind jedoch darauf trainiert
ihren Geist zu kontrollieren. Das macht ihre Barriere um einiges Schwieriger
zu überwinden.
"Aber ich habe doch gar nichts
gemacht."
"Nein. Du nicht. Sei froh drum.
Und nun begeben wir uns auf die Suche nach Ranike."
"Dies ist das Gebäude von
Ranikes Geist", fuhr der Weber fort. "Wir sind sozusagen in der Eingangshalle.
Von hier aus werden wir den Ort finden müssen, an dem Ranike sich
versteckt hält. Jede dieser Türen enthält einen Bereich
von Ranikes Geist. Erinnerungen, Vorstellungen, Wünsche und so weiter.
Manche lassen sich leicht öffnen. Manche werden schwer bewacht. Am
Anfang wird es fast egal sein durch welche Tür wir gehen. Aber ich
möchte, daß du jedes Mal, wenn wir einen Raum betreten, versuchst
dir vorzustellen, wo Ranike wohl sein könnte. In dieser Richtung werden
wir dann weiter suchen."
"Aber wie soll ich das erkennen?"
fragte Celéron.
"Nun, du mußt einfach darauf
vertrauen, daß du es erkennen wirst. Du kanntest Ranike am besten.
Das wird uns sehr helfen. Das ist übrigens auch der Grund warum ich
so oft und lange mit den anderen Leuten über Ranike gesprochen habe.
Das ermöglicht es mir ein detailliertes Bild von ihren letzten Tagen
zu bekommen. Das wird mir helfen am Anfang den richtigen Weg zu wählen."
"Warum rufen wir sie nicht einfach.
Wenn sie hier ist wird sie uns schon antworten."
"So einfach ist das leider nicht",
bedauerte Lorenghart, "wenn man Zuflucht in seinem eigenen Geist sucht,
dann versucht man sich vor irgend etwas Schrecklichem zu verstecken. Und
die schrecklichsten Dinge haben die unangenehme Angewohnheit in Verkleidung
von etwas sehr vertrautem daher zu kommen."
"Oh."
"Dann laß uns mal den ersten
Raum betreten."
Lorenghart deutete auf eine Tür
und die beiden gingen hindurch. Der Raum dahinter war so ganz anders als
Celéron ihn sich vorgestellt hatte. Über und über bewachsen,
wucherten alle möglichen Arten von Sträuchern und Gewächsen
in dem Raum. Das ganze roch so intensiv nach Wald, daß es schon fast
unnatürlich schien. Ein Ende oder ein anderer Ausgang war nicht zu
erkennen. Celéron konnte keinerlei Präsenz von Ranike bemerken.
Er bemerkte aber eine böswillige Stimmung. Er wollte das gerade als
übersteigerte Einbildung aufgrund extremer Umstände abtun, als
plötzlich eine der Pflanzen nach ihm griff. Unvermittelt baumelte
er kopfüber über dem Boden und ein paar Ranken versuchten seinen
Kopf zu erreichen. Andere Ranken begannen, sich um seinen Körper zu
winden und sich langsam zuzuziehen. Da fiel ihm ein, daß Ranike ihm
davon erzählt hatte. Als Kind hatte sie schreckliche Alpträume
von wild und bösartige gewordenen Baumriesen. Sie hatte darauf bestanden,
daß er die Worte lernte, mit denen man sie beruhigen konnte. Damals
hatte Celéron darüber gelacht und als sie nicht lockerließ
geflucht, denn die Sprache war für ihn kaum auszusprechen. Nun war
er mehr als froh für die Stunden, die er damals seine Stimmbänder
malträtiert hatte. Er rief die Worte so laut er konnte bevor die Ranken
ihm die Luft aus der Lunge drückten. Sofort hielten die Äste
inne. Das bedeutete, sie drückten nicht weiter zu, ließen aber
nicht locker. Mühsam befreite sich Celéron aus der Umklammerung
und entfesselte dann auch Lorenghart.
"Ist das in allen Räumen so?"
wollte der junge Elb wissen.
"Hoffen wir mal nicht."
Sie bahnten sich einen Weg durch
das Grünzeug und fanden bald einen Ausgang.
Die nächsten paar Räume
verliefen ereignisloser. Der Meisterweber erklärte Celéron
was sie sahen. Oder er versuchte es zumindest, denn einiges widersprach
jeder Logik. Bei einigen Dingen konnte Celéron die entscheidenden
Hinweise liefern, um zu verstehen was ihnen gezeigt wurde. Ihrem Ziel kamen
sie jedoch nicht näher. Einmal glaubte der junge Elb etwas zu spüren,
aber er konnte es nicht orten und im nächsten Raum war nichts zu spüren.
Dann erreichten sie einen völlig
schwarzen Raum. Vier Türen gingen davon ab. Es gab keinerlei Einrichtung,
keinerlei Gegenstände oder anderes Zeug, was auf eine Funktion des
Raumes hindeuten konnte. Lorenghart war ratlos. Hier kam er nicht weiter
mit dem was er von den Leuten über Ranike und ihre letzten wachen
Tage erfahren hatte. Celéron war ebenfalls ratlos. Er spürte
absolut nichts.
Rein aus Neugier probierte er eine
beliebige Tür aus ob sie verschlossen war oder sich öffnen ließ.
Schlagartig änderte sich die Umgebung. Wo vorher alles schwarz gewesen
war loderten nun heftige Flammen. Die Hitze war innerhalb kürzester
Zeit unerträglich. Alle ungeschützten Bereiche seiner Haut zeigten
bereits erste Anzeichen von Verbrennungen. Celéron wußte nicht
wohin. Die Flammen fauchten ihm entgegen und füllten seine komplette
Wahrnehmung aus. Ganz entfernt vermeinte er eine Stimme flüstern zu
können. Zuerst konnte er sie nicht verstehen, doch dann erkannte er,
daß sie ihn zum Sprung aufforderte. Springen? Das ist doch wohl dämlicher
als alles andere, dachte sich Celéron. Gleichzeitig erinnerte er
sich jedoch an sein Versprechen Lorenghart gegenüber. Er nahm allen
Mut zusammen, sprang und landete wieder in dem schwarzen Raum. Das Feuer
war weg und auch die Verbrennungen waren nicht real. Sein Herz schlug trotzdem
wie wild und er war ausser Atem geraten.
"Wir sind auf dem richtigen Weg."
Der Meisterweber nickte dem jungen Elb aufmunternd zu.
Celéron hustete.
Danach wurde der Weg beschwerlicher.
Lorenghart hatte schließlich die Funktion des schwarzen Raumes erkannt
und seine Wirkungen neutralisieren können. Wie er das hin bekommen
hatte, war zumindest Celéron völlig unverständlich gewesen,
obwohl der Weber es ihm zu erklären versucht hatte. Hinter dem schwarzen
Raum hatte Celéron zum ersten Mal Ranikes Anwesenheit gespürt
und mit jeder Tür, die er durchquerte, wurde die Präsenz stärker.
Allerdings waren auch die Räume gefährlicher. Sie wurden fast
vergiftet, verstümmelt, zerquetscht oder in Stücke gerissen.
Aber gemeinsam meisterten sie alle Gefahren und standen schließlich
in einem winzigen Zimmer, das wie ein gemütliches Studierzimmer eingerichtet
war. In einem Kamin prasselte ein wärmendes Feuer und auf einem kleinen
Tisch stand eine Karaffe mit einem edlen Wein bereit. Ein paar Leckereien
waren ebenfalls zu sehen. An den Wänden standen hauptsächlich
Buchregale. In einer Ecke, in der Nähe des Kamins, stand ein außerordentlich
bequemer Sessel. In ihm hatte sich Ranike zurückgezogen.
Celéron wollte sie in die
Arme schließen, aber Lorenghart hielt ihn zurück.
"Sie wird uns nicht als das erkennen
was wir sind. Erinnere dich, sie ist aus Angst hierhin geflohen und diese
Angst wird ihr einreden wir seien Monster, die ihr etwas Böses wollen."
"Was sollen wir denn tun?" Celéron
war ungeduldig.
"Nichts. Wir warten ab. Irgendwann
wird ihr Geist das Rätsel von alleine lösen und sie wird uns
erkennen. Das ist der Geduldsteil."
Der junge Elb stöhnte. Er
setzte sich auf den Boden und sah Ranike zu wie sie versuchte ihn und den
Meisterweber zu ignorieren.
Celéron hatte schon längst
jegliches Zeitempfinden verloren. Er hatte ein paar Worte mit dem Meisterweber
gewechselt aber meistens hatten sie geschwiegen und Ranike zugesehen. Ab
und an sagte Lorenghart etwas in einer unbekannten Sprache. Endlich rührte
sich Ranike und kam zwei Schritte auf sie zu. Celéron wollte aufspringen
und zu ihr eilen, doch Lorenghart hielt ihn auch nun wieder zurück.
"Erst wenn sie vollends von unserer
Identität überzeugt ist und uns anspricht, darfst du ihr entgegentreten."
Und Ranike schien tatsächlich
Zweifel zu haben, denn nach kurzem Zögern schüttelte sie den
Kopf und ging zurück zu ihrem Sessel.
Erneut verging eine Ewigkeit für
Celéron. Er überarbeitete alle Liebeslieder, die er je für
Ranike geschrieben hatte im Kopfe und dichtete gleich ein paar neue dazu.
Das half natürlich nichts, aber es beschäftigte ihn wenigstens.
Er hatte versucht etwas anderes zu machen, aber egal was er auch versuchte,
seine Gedanken landeten bei Ranike.
Als er die Hoffnung schon fast
aufgegeben hatte hörte er Ranike sagen:
"Ist dir nicht kalt auf dem Boden,
Celéron? Und euch, Meister Lorenghart, kann ich euch etwas zu trinken
anbieten?"
Celéron wußte nicht,
ob seine Gedanken ihm einen Streich gespielt hatten, doch der Meisterweber
erhob sich bereits und ging langsam auf die Elbe zu.
"Ich kann nicht mit zurück
kommen", bekräftigte Ranike noch einmal. "Ich habe gesehen wie die
Welt vergeht. Das kann ich nicht noch einmal ertragen."
"Es muß nicht so enden",
entgegnete Lorenghart. "Wir sind bereits auf der Suche nach der Ursache
und brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können. Und wenn selbst
ein einfacher Schäfer die Gefahren der magischen Reisen auf sich nimmt,
dann kannst du bestimmt Herr deiner Visionen werden. Erinnere dich an das,
was ich dir beigebracht habe."
"Aber es ist so groß, so
unsagbar schrecklich, daß ich nicht weiß, ob ich das schaffe."
Ranikes Augen weiteten sich einen Augenblick und sie wurde blaß.
"Ich helfe dir wo ich kann", bot
Celéron an, nur bitte komm wieder." Celéron nahm ihre Hand
und legte sie an seine Stirn. "Bitte."
Ranike sah Celéron lange
an. Sie sah auch Lorenghart lange an. Keiner der beiden bewegte sich.
"Ich glaube nicht, daß ich
das überlebe, aber euch zuliebe komme ich mit", beantwortete sie schließlich
die unausgesprochene Frage.
"Ich werde immer bei dir sein",
versprach Celéron.
Der Rückweg war denkbar einfach.
Ranike öffnete die einzige Tür in dem Studierzimmer und sie befanden
sich in der Eingangshalle. Ein weiterer Schritt und Celéron fand
sich am Bett Ranikes wieder. Ihm gegenüber saß der erschöpft
wirkende Meisterweber. Ranike lag auf dem Bett und atmete regelmäßig.
Die Katze lag auf ihrem Bauch und schlief ebenfalls. Es war dunkel. Der
Mond schien durch das Fenster und alles wirkte so unwirklich wie die Räume
in Ranikes Geist unwirklich gewirkt hatten.
Lorenghart wollte Ranike wachrütteln,
doch Celéron schüttelte den Kopf.
"Laß sie schlafen", sagte
er. Dann erschrak er, denn es war nicht seine Stimme, die geantwortet hatte
sondern Ranikes Stimme.
Verwirrt blickten sich die beiden
Männer an.
"Nun macht nicht gar so verdutzte
Gesichter", sagte Celéron erneut mit Ranikes Stimme. "Wie Celéron
es versprochen hat, bin ich nun immer bei ihm. Uns zu trennen wird wahrlich
unmöglich sein."
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