Shannaya betrat die Kneipe. Sie
wußte immerhin was nun passierte. Die Besucher des wilden Eber jedoch
nicht. Zuerst verstummten üblicherweise alle, zumindest alle männlichen
Gäste. Die weiblichen rollten normalerweise mit den Augen oder schüttelten
mit dem Kopf. Dann fiel normalerweise irgend jemandem ein Krug, ein Glas
oder Teller auf den Boden. Gefolgt von einem, meiste mit weiblicher Stimme
vorgetragenen Vorwurf, "Pass doch auf wo du hinsiehst." Je nach Situation
gab noch eine gratis Ohrfeige dazu.
Im wilden Eber sollte es nicht
anders zugehen. Dummerweise befand sich dieses Mal jedoch ein Troll in
der Schankstube. Kashak lehnte gemütlich an der Rückwand der
Kneipe und verdrückte gerade eine dreifache Portion Gulasch, als Shannaya
den Raum betrat. Erstaunt über die plötzliche Stille konnte er
sich von seiner fast leeren Schüssel losreißen und sah auf,
um zu ergründen, was der Grund für die Ruhe sein mochte. Als
er die schöne Erscheinung der Elbin sah, schlug er in seiner Begeisterung
mit der Hand auf den Tische, was dieser nicht verkraftete und zusammenbrach.
Danach warf er den Kopf in den Nacken, um seine Mähne etwas vorteilhafter
zur Geltung zu bringen. (Trollfrauen scheinen also Wert auf Äußerlichkeiten
zu legen). Die Mauer hinter Kashak gab nach und der Raum hatte ein neues
Fenster. Das Splittern von Holz und die Geräusche des Mauerdurchbruchs
brachten die Gäste wieder zur Vernunft. Doch die meisten hatten keine
klare Erinnerung an die letzten Sekunden und so übernahmen die Reflexe
die Herrschaft. Waffen wurden gezogen, Tische umgestoßen und jeder
suchte eine möglichst gute Verteidigungsposition. In kürzester
Zeit herrschte Chaos. Shannaya setzte sich auf den Tresen und beobachtete
das Treiben zufrieden. Eine solche Show war selbst für sie nicht alltäglich.
Nachdem sich alle wieder beruhigt
hatten, gingen die Elbin und Fryjio zum ruinierten Tische der restlichen
Gefährten und stellte die Elbin vor.
"Seid gegrüßt Freunde.
Mein Name ist Shannaya to Moonlight Shadow und ihr seid also die Gefährten
von diesem Bürschchen hier, wenn ich Meister Manilo richtig verstanden
habe." Shannaya machte ein ernstes Gesicht. "Vielleicht solltet ihr etwas
besser auf ihn aufpassen, wenn er so wichtig für euch ist. Wäre
ich nicht dagewesen, dann wäre es vorbei gewesen mit was auch immer
ihr mit ihm vorhabt."
"Verzeiht verehrte Shannaya, aber
Fryjio braucht nicht unseren Schutz als Waffengefährten", erwiederte
Tartan. "Doch woher wußtet ihr von der Gefahr?"
Shannaya berichtete von dem Kampf,
über die Warnung von Manilo, und seine Bitte, Fryjio zu helfen.
Der Troll bedauerte danach außerordentlich,
nicht dabei gewesen zu sein, der Zwerg wollte mehr über den Schattenkrieger
erfahren und der Barde sah sich nachdenklich im Schankraum um. Die Leute,
die Shannaya beschrieben hatte, waren erwartungsgemäß nicht
in die Schankstube zurückgekehrt, und im Moment benahmen sich alle
Gäste sehr merkwürdig.
"Warum wollt ihr eigentlich durch
den Elbenwald reisen?" fragte Shannaya nach einiger Zeit.
"Wir müssen nach Hillgreen,
um dort noch zwei Freunde zu treffen", antwortete Tartan etwas ausweichend.
"Soso, zwei Freunde wollt ihr treffen.
Daher also der große Aufwand mit Manilo, der Warnung, dem Überfall
und dem Schattenkrieger. Wenn wir in dem Tempo weiter unsere Informationen
weitergeben, dann sitzen wir noch nächste Woche hier." Shannaya betrachtete
den Barden leicht belustigt.
"Wir müssen ins Nebeltal zu
den Schwestern von Moorlock", platzte Fryjio heraus. "Nur so können
wir erfahren, wie wir die Welt retten können."
"Aha die Welt retten. Ist das nicht
etwas zu viel für dich?" Shannaya wandte sich Fryjio zu, der zwar
erfreut über die Aufmerksamkeit der Elbin war, aber gleichzeitig auch
schreckliche Angst bekam, sich fürchterlich zu blamieren, indem er
etwas Dummes sagte. "Was kannst du denn so besonderes, was dich befähigt,
die Welt zu retten?"
"Ich kann nicht sterben", stammelte
Fryjio und wurde rot.
"Na das nenn ich doch mal ein sinnvolles
Talent. Und was weiter?"
Hier griff Tartan ein und legte
beruhigend seine Hand auf Fryjios Arm. "Alles weitere sollten wir vielleicht
nicht gerade hier besprechen."
"Nun gut, dann laßt uns das
morgen auf der Reise tun." Shannaya stand auf, verbeugte sich anmutig vor
den vieren und ging zum Wirt, um ein Zimmer zu bestellen. Wie üblich
wollte sie den Schaden bezahlen, der durch ihr Eintreten verursacht wurde,
und wie üblich wurde das abgelehnt. Der Wirt behauptete sogar steif
und fest, daß der Raum eh zu dunkel gewesen wäre, und er schon
immer ein Fenster hatte einbauen wollen.
Kurz danach gingen auch Tartan,
Breutel und Fryjio auf ihr Zimmer. Kashak bevorzugte es im Stall zu übernachten.
Alle anderen bevorzugten das übrigens auch; auch die Pferde im Stall.
Am nächsten Morgen verließen
die fünf schon früh den Gasthof, um sich auf den Weg zum Sá-yé
zu machen.
Das Tempo war recht gemütlich,
da Breutel sich standhaft weigerte auf einem Pferd zu reiten und vom Angebot
Kashaks ihn zu tragen höflich aber bestimmt Abstand nahm.
Unterwegs erzählten Tartan
und Fryjio abwechselnd von ihrem Plan, der Bedeutung von Fryjio und dem
Sinn dieser Reise. Shannaya hörte aufmerksam zu, und meinte zum Schluß:
"Unter diesen Umständen ist
es sicherlich kein großes Problem, eine Erlaubnis für die Durchquerung
des Waldes zu bekommen. Nur müßte sich Kashak wirklich beherrschen
und nicht aus versehen den halben Wald aufessen. Naja wir werden uns da
schon was einfallen lassen. Nicht wahr Kashak?"
"Kashak ganz brav, Kashak echt
lieb in Elbenwald, Kashak versprechen, wenn Kashak was Süßes
bekommt."
"Gut, Kashak, ich verrate dir ein
Geheimnis, mit dem du was Süßes bekommen kannst, wenn du möchtest.
Du musst aber dann wirklich den Elbenwald stehen lassen." Fryjio war nicht
ganz sicher, daß der Troll es aushalten würde, einen ganzen
Tag lang nichts zu essen, nachdem er gesehen hatte, was Kashak zum Frühstück
verdrückt hatte.
"Kashak tut versprechen, und sehr
neugierig."
Ebenfalls neugierig geworden wandte
sich Shannaya Fryjio zu.
"Na da bin ich aber mal gespannt."
"Aeh ja, du wirst schon sehen."
Fryjio geriet wieder ins stammeln.
Shannaya konnte sich ein Lächeln
nicht verkneifen. Fryjio hingegen beschäftigte sich intensiv mit seinen
Zügeln, die sich irgendwie verknotet zu haben schienen.
Shannaya ritt eine Zeitlang schweigend
neben dem jungen Gelehrten her und wandte sich dann erneut an ihn.
"Trotz der Tatsache daß du
unverwundbar bist, sollten wir etwas an deiner Kampftechnik arbeiten, mein
Junge. Die Elbin musterte Fryjio eingehend. "Es mag ja in Ordnung sein,
keinen Kratzer abzubekommen, aber irgendwann solltest du einen Angreifer
auch loswerden können, sonst schnippelt der den ganzen Tag an dir
rum."
"Wenn du meinst?" Fryjio war sich
nicht ganz sicher was nun folgen würde.
"Schaden kann es bestimmt nicht",
warf Tartan ein.
Kashak lachte nur kurz und mit
einem gewaltigen Tritt beförderte er einen kopfgroßen Felsbrocken,
der am Wegesrand gelegen hatte, außer Sichtweite.
"Kashak zeigen Muskeltraining",
meinte der Troll und nickte Fryjio aufmunternd zu.
"Vielleicht versuch ich es doch
lieber erst mal mit Shannaya, Kashak", entschuldigte sich Fryjio und versuchte
unauffällig ein wenig Platz zwischen sich und Kashak zu schaffen,
um sicher zu gehen, nicht durch einen zufälligen Tritt wer weiß
wohin befördert zu werden.
"Gut, dann laß uns gleich
anfangen." Die Elbin stieg mit einem eleganten Schwung von ihrem Pferd,
zog dabei in einer fließenden Bewegung ihr Schwert und baute sich
vor Fryjio auf. Der stieg ebenfalls ab und zog sein Schwert. Bei ihm sah
beides dagegen eher tolpatschig aus.
"Na dann zeig mal, was du so drauf
hast." Schannaya tänzelte leichten Schrittes vor Fryjio hin und her
und wartete auf dessen Angriff. Der junge Gelehrte kam sich jedoch recht
hilflos vor und wußte nicht, was er machen sollte.
"Angriff ist also nicht deine Stärke.
Wie sieht es denn mit deiner Verteidigung aus?" Mit diesen Worten atmete
die Elbin einmal tief ein und stürmte dann auf Fryjio los. Bevor der
aber auch nur mit der Wimper zucken konnte lag sein Schwert auf dem Boden
und ein Messer an seiner Kehle.
"Ich war abgelenkt", protestierte
Fryjio schwach.
"Das habe ich bemerkt", spottete
Shannaya und steckte ihren Dolch weg. Die anderen drei lachten lauthals.
Aber auch die nächsten Versuche
Fryjios, sich mit dem Schwert zu verteidigen, waren nicht wesentlich besser.
Immerhin verlor er seine Waffe nicht bei jedem Angriff.
Nach kurzer Zeit steckte Shannaya
ihr Schwert weg.
"Das scheint nicht gerade deine
Waffe zu sein", stellte sie ernüchternd fest. "Versuchen wir es mit
etwas anderem. Kashak hol mir doch mal bitte einen langen geraden Ast."
Kashak lief sofort los und kam
kurze Zeit später mit einem halben Baum zurück.
"Hmm, vielleicht könntest
du diesen Baum auf menschenverträgliche Größe zurechtstutzen,
Breutel", wandte sich Shannaya mit einem Seitenblick zum Troll an den Zwerg.
"Wenn es weiter nichts ist, werte
Schannaya." Breutel machte sich an die Arbeit und hatte kurze Zeit später
einen handlichen Stab zurechtgemacht.
Den warf die Elbin dann Fryjio
zu, der das ganze etwas ungläubig beobachtet hatte. Bisher war er
eigentlich ganz zufrieden mit seinem Schwert gewesen. Stöcke waren
doch eher etwas für Bauern und Tölpel. Aber wenn es denn sein
mußte. Und alles war besser als dauernd das Schwert aufheben zu müssen
und von den anderen ausgelacht zu werden.
Unbeholfen fuchtelte Fryjio nun
mit dem Stock in der Luft herum und kam sich dabei ebenso blöd vor
wie mit dem Schwert. Shannaya rollte mit den Augen und nahm ihm den Stab
wieder ab.
"Am besten ich zeige es dir. Zieh
dein Schwert und greif mich an."
Fryjio tat sein Bestes und mußte
feststellen, daß der Stab in Shannayas Händen noch unangenehmer
war, als ihr Schwert, denn er fand sich regelmäßig auf dem Boden
liegend vor. Sein Körper mochte zwar nicht großartig unter Schnittwunden
zu leiden haben, aber blaue Flecken waren immer noch blaue Flecken und
taten entsprechend weh. Nun war er wieder dran, mit dem Stab zu üben.
Nach etlichen Fehlversuchen und reichlich Korrekturen durch die Elbin,
schien Fryjio aber langsam zu begreifen, wie so ein Stock zu handhaben
war, um ihn effektiv einsetzen zu können.
"Mit dem Stock hast du einfach
eine größere Reichweite, und das verschafft dir ein winziges
bißchen mehr Zeit, bis der Gegner bei dir ist. Vielleicht reicht
diese Zeit ja aus, dein langsames Hirn rechtzeitig auf Touren zu bringen.
Also vergiß das Schwert und übe mit dem Stock."
Shannaya drehte sich um und ging
langsam auf ihr Pferd zu. Blitzschnell und unvermutet zog sie jedoch ihr
Schwert wirbelte herum, war mit zwei Schritten bei Fryjio und hielt ihm
die Klinge an die Kehle. Fryjio war völlig überrascht und ließ
vor Schreck sogar den Stab fallen. Zwerg, Barde und Troll lachten erneut
lauthals.
"Und immer schön wachsam bleiben",
grinste Shannaya. "Das hilft dir mehr als alle Waffenkünste der Welt."
Fryjio bekam erneut rote Ohren
und hob seinen Stab auf. Heute war wohl nicht sein Tag. Niedergeschlagen
ging er zu seinem Pferd. Gerade wollte er aufsteigen, als Shannaya neben
ihm auftauchte und ihn freundlich ansah.
"Mach dir nichts draus. Ich habe
auch lange üben müssen, und mit dem Stab kommst du recht gut
zurecht, scheint es mir. Du begreifst jedenfalls schnell. Das ist mehr
als ich von den meisten anderen behaupten kann, denen ich etwas beibringen
wollte. Heute Abend üben wir weiter, in Ordnung?" Dann küßte
sie Fryjio leicht auf die Wange und ging zurück zu ihrem Pferd. Vielleicht
war heute doch ein wenig sein Tag, dachte sich Fryjio, als er seine erneute
Verwirrung überwunden hatte.
Nach dem Training ging die Reise
ohne weitere Unterbrechungen weiter. Kurze Zeit später kamen sie an
die Grenze des Sá-yé.
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