Die Reisegefährten waren wieder
unterwegs.
Die beiden Soldaten hatten beschlossen,
den letzten Teil ihres Auftrags als erledigt zu betrachten. Das Leuchtfeuer
war eindeutig entzündet worden. Den Hinweis der Zwerge, daß
sie nicht wirklich daran beteiligt waren oder gar selbst Hand angelegt
hatten, um den Effekt zu erzielen, ließen sie großzügig
unter den Tisch fallen. Die Götter würden schon dafür sorgen,
daß alles seine Richtigkeit hatte.
Svarri und Skegg konnten über
soviel Einfalt nur den Kopf schütteln, und merkten nur an, sie wären
froh, nichts damit zu tun zu haben. Yngvar war sich nicht sicher, ob die
beiden Soldaten nicht vielleicht sogar recht hatten. Schließlich
war das Leuchtfeuer tatsächlich erschienen als sie alle am Turm ankamen,
und das nach den langen Jahren in denen es nicht aktiv war, wenn die Geschichten
des Turmwächters stimmten. Und schließlich war einer aus ihrer
Reisegruppe in dem Leuchtfeuer verschwunden, was nie geschehen wäre,
wenn Grówin und Hedrik nicht zum Turm geschickt worden wären.
Er behielt seine Gedanken jedoch für sich.
Die Reise, die zu Anfang so überaus
zügig vorangeschritten war, zog sich nun sehr in die Länge. Sie
bewegten sich an der Nordgrenze der Wüste in Richtung Westen. Die
Gegend war mehr als eintönig. Südlich von ihnen erstreckte sich
eine endlose Landschaft, die hauptsächlich aus Stein und Sand bestand.
Selten unterbrach ein Strauch oder Busch die triste Gegend und Lebewesen
konnten sie überhaupt nicht ausmachen. Aber auch die andere Seite
war nicht wesentlich aufregender gestaltet. Dürres Gras erstreckte
sich so weit das Auge reichte. Immerhin gab es die ein oder andere Baumgruppe,
die sich mühsam auf dem kargen Boden halten konnte.
Ähnlich trübe wie die
Gegend war ihre Stimmung. Die Zwerge wurden mürrischer je länger
sie unterwegs waren. Yngvar hatte niemanden mehr mit dem er sich auf dem
Wagen unterhalten konnte, und Grówin und Hedrik schienen selbst
an dem andauernden Streit, wer das Maultier führen oder versorgen
musste, das Interesse verloren zu haben.. Sie waren dazu übergegangen,
das Tier einfach an Yngvars Wagen anzubinden.
Der einzige Höhepunkt war
der Augenblick gewesen, als die beiden Soldaten den nächsten Teil
ihrer Aufgabenliste entzifferten.
"Nehmt was übrig bleibt, wenn
die See die Wüste verschlungen hat", las Grówin den Abschnitt
laut vor. Inzwischen hatten die beiden den Part mit dem geheimen Status
ihrer Mission wohl vergessen.
"Zeig her." Hedrik nahm das Blatt
in die Hand und las den Teil selbst. Dann wendete er das Blatt und versuchte
weitere Hinweise zu entdecken. Frustriert reichte er das Blatt zurück
an seinen Kollegen.
"Aahhhhrrrggg! Das kann doch nicht
Wargrovs Ernst sein." Hedrik schrie seinen Frust heraus. "Das wird ja immer
dämlicher. Wo sollen wir denn hier an der Latrine der Welt einen See
herbekommen, der eine ganze Wüste überschwemmen kann. Sowas gibt
es ja gar nicht."
Grówin pflichtete seinem
Kollegen bei. Dann lamentierten die beiden noch eine Weile über die
Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen, und ihren Auftrag im Speziellen,
doch die Sonne schien heiß und kein Lüftchen bewegte sich, so
daß dieser kurze Anfall von Aktivität schnell versiegte.
Kurz darauf ritten alle wieder
schweigend und betrübt vor sich hinbrütend durch die endlos erscheinende
Landschaft.
Yngvar machte sich so seine eigenen
Gedanken über den rätselhaften Spruch. Immerhin war das unterhaltsamer
als den ganzen Tag lang gar nichts zu tun zu haben. Das Gespann vor dem
Wagen folgte dem Karren der Silbereiche Brüder, erforderte also so
gut wie keine Aufmerksamkeit, und der Weg, obwohl kaum sichtbar, war in
keiner Weise gefährlich.
Wüste und See waren sicherlich
nur Begriffe, die eigentlich etwas anderes bedeuteten. Das war schon beim
ersten Rätsel mit dem Wanderer so gewesen. Die Frage war nur, was
genau das sein mochte. Die Geschichte mit dem Leuchtfeuer, dem, wenn auch
irgendwie freiwillig, einer ihrer Reisegruppe zum Opfer gefallen war, ließ
Yngvar daran denken, daß es nicht immer so einfach ablaufen könnte,
wie es bei der Aufgabe mit dem Wanderer gewesen war... Vielleicht wäre
es daher hilfreich, wenn man etwas genauer wüsste, was man erwarten
konnte. Schaden konnte es sicherlich nicht.
Der Händler beschloss, sich
erst mit dem Begriff der Wüste auseinander zu setzen. Daß nicht
das Gebiet der Wüste an sich oder die Wüste als Ganzes gemeint
war, schien ihm klar zu sein. Aber was sonst gab es hier? Irgendwelche
Bewohner, egal ob Mensch oder Tier, hatten sie bisher noch nicht getroffen,
wenn man den ein oder anderen verzweifelten Käfer nicht mitrechnete,
der sich allabendlich gierig auf die Reste ihrer Mahlzeiten stürzte.
Damit schienen die Optionen der Wüste beinahe erschöpft. Sand
gab es natürlich noch, sowie Steine in Hülle und Fülle.
Der letzte Bestandteil war natürlich die Hitze, die sich tagsüber
lähmend auf die Reisenden legte, sowie die Kälte, die einen nachts
dankbar für das Lagerfeuer machte. Der Begriff 'See' schien sogar
noch ärmer an Optionen zu sein. In dieser Gegend gab es eh nur zwei
Stellen, an denen man Wasser antreffen konnte. Zum einen die wohl eher
seltenen Regenfälle. Zum anderen eventuelle Wasserstellen.
Nachdem Yngvar so alle Möglichkeiten,
die ihm einfielen, durchdacht hatte, kam er zu dem Schluss, es könne
eigentlich nur eine Oase gemeint sein. Nur da gab es eine Stelle an der
die Wüste mit so etwas ähnlichem wie einem See zusammentraf.
Oasen waren, soweit Yngvar wusste, normalerweise Orte, an denen keine Feindseligkeiten
ausgetragen wurden. Daher schien das kaum weiter gefährlich. Schläfrig
ließ der Händler seine Augen über den weiten Horizont schweifen,
in der Hoffung, vielleicht doch eine Abwechslung in der monotonen Landschaft
auszumachen.
Plötzlich stieß einer
der Silbereichebrüder einen Warnruf aus und zeigte auf einen entfernten
Punkt am Horizont. Zuerst erkannte Yngvar nichts an dieser Stelle, doch
dann hatte er den Eindruck, als wäre die Luft in Bewegung geraten.
Schließlich konnte er eine Staubwolke ausmachen, die schnell näher
kam.
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